Nachlass der Dohnanyis ausgewertet

Seit Anfang der dreißiger Jahre spielte die geistige und politische Opposition gegen den Nationalsozialismus im Umfeld der Familien Dohnanyi und Bonhoeffer eine zentrale Rolle. Besonders der aus einer angesehenen ungarischen Familie stammende Hans von Dohnanyi hatte als Jurist in herausgehobener Position einen guten Einblick in die Methoden und Ziele der nationalsozialistischen Politik. Die nach der „Machtübernahme“ in Eile erlassenen inhumanen Verordnungen und Gesetze beunruhigten ihn zutiefst. Auch seine Frau, die aus einer christlich fundierten Berliner Professorenfamilie stammte, bedrückte der verhängnisvolle Weg des NS-Regimes. So zählen sie zu den entschiedensten Gegnern Hitlers der ersten Stunde.

Die zum 100. Geburtstag Dohnanyis vorgelegte erste umfassende Biographie über Hans und Christine von Dohnanyi ist in einem nahezu zwei Jahrzehnte umfassenden Forschungszeitraum entstanden. Ein Forscherkreis an der Theologischen Fakultät der Universität Würzburg hatte 1983 damit begonnen, Vorarbeiten zu leisten, auf die Marikje Smid, Pastorin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover, aufbauen konnte. Smid wurde 1992 mit der Erarbeitung der Biographie betraut. Immerhin dauerte es auch dann noch zehn Jahre, bis sie endlich gedruckt werden konnte.

Grundlegend für Smids Dohnanyi-Biographie war der umfangreiche Nachlass, den sie erstmals gründlich aufarbeiten konnte. Hieraus gewann sie auch die Erkenntnis, dass der Einfluss von Christine von Dohnanyi auf die politische Haltung und Entscheidungen ihres Mannes von erheblicher Bedeutung gewesen ist. Faktenreich und einfühlsam breitet die Autorin das Leben der beiden Eheleute vor dem Leser aus, ihre Herkunft, ihre Ausbildung, den beruflichen Aufstieg Hans von Dohnanyis, den Familienalltag, das berufliche Umfeld, die Bemühungen, aus der Opposition heraus Hitler zu beseitigen, und schließlich die Überlebensstrategien in der Haft.

Die Tätigkeit Hans von Dohnanyis im NS-Reichsjustizministerium von 1933 bis 1938 war schwierig und zum großen Teil auch entmutigend, sie glich der Rolle eines Grenzgängers zwischen zwei Wertesystemen. Bei der Bewältigung der täglichen Anforderungen im Ministerium half ihm seine ausgeprägte systemkritische Einstellung, die eigene Identität nicht zu verlieren und moralisch unbeschadet zu überleben. Bemerkenswert war hierbei, dass ein von Hitler eingesetzter Justizminister, der nationalkonservative Franz Gürtner, seine schützende Hand über ihn hielt.

Bei Ausbruch des Krieges wurde Hans von Dohnanyi zum Oberkommando der Wehrmacht, Amt Ausland/Abwehr eingezogen. Die bereits im Justizministerium begonnene Sammlung von Dokumenten über Verbrechen nationalsozialistischer Organisationen führte Dohnanyi an seiner neuen Wirkungsstätte weiter. Diese „Verbrechenskartei“ sollte die Skrupellosigkeit des NS-Systems dokumentieren.

Am 5. April 1943 wurden Hans und Christine von Dohnanyi verhaftet. Während seine Frau nach gut dreiwöchiger qualvoller Haft krank aus dem Gefängnis entlassen wurde, sah Hans von Dohnanyi die Freiheit nie wieder. Christine von Dohnanyi kümmerte sich nach ihrer Freilassung in beeindruckender und selbstloser Weise um ihren Mann, gab ihm durch ihre Zuversicht Kraft und Mut, die seelischen und körperlichen Qualen der Haft durchzustehen, und versuchte, ihm seine selbstquälerischen Schuldgefühle zu nehmen; denn er warf sich vor, durch seine Tätigkeit im Widerstand sie, seine Familie und seinen Schwager Dietrich Bonhoeffer in Gefahr gebracht zu haben. „Du hast mein Leben so reich gemacht, wenn es jetzt auch einmal trübe aussieht, unser Glück kann uns niemand nehmen“, schrieb sie ihm – zu diesem Zeitpunkt noch selbst inhaftiert – in sein trostloses Gefängnis.

Der unmittelbare Grund für die Verhaftung von Hans und Christine von Dohnanyi war ein angebliches Vergehen der Veruntreuung und persönlichen Bereicherung, das ihnen von ihren nationalsozialistischen Gegnern angehängte wurde. Unter dem Sammelbegriff „Depositenkasse“ war versucht worden, vor allem Hans von Dohnanyi zu kriminalisieren. Er hat gegen diese ehrverletzenden Vorwürfe während seiner zweijährigen Inhaftierung massiv angekämpft. Auch in der Nachkriegszeit sind diese verleumderischen Behauptungen der NS-Justiz nicht immer in befriedigender Weise richtig gestellt worden.

Schließlich wurde er vielfach in der Memoirenliteratur für die folgenreiche Aufdeckung von Namen und Handlungen von Mitverschworenen persönlich verantwortlich gemacht, weil er angeblich nicht genügend Sorge getragen habe, die von ihm gesammelten Akten des Widerstandes – die im September 1944 von der Gestapo in einem Panzerschrank in Zossen aufgespürt wurden – rechtzeitig zu vernichten. Die Autorin des Buches arbeitet nun die Tatbestände und Zusammenhänge dieser Anschuldigungen gründlich heraus und kommt dadurch zu einer objektiven Beurteilung dieser Vorgänge. Es ist glaubhaft überliefert, dass Dohnanyi – wie seine Frau versicherte – nach seiner überraschenden Verhaftung „vehement um die Vernichtung des verräterischen Materials“ gerungen hat, denn „jeder der Zettel“ sei, so Dohnanyi, „ein Todesurteil“. Dieses Bemühen scheiterte jedoch am Einspruch von General Beck, der im Mittelpunkt der militärischen Opposition stand und als Staatsoberhaupt vorgesehen war. Beck glaubte, dass die Aufzeichnungen als dokumentarische Belege für eine spätere Geschichtsschreibung unentbehrlich seien, um einer neuen „Dolchstoßlegende“ vorzubeugen.

Nach einer unvorstellbaren Leidensgeschichte zwischen Hoffen und Bangen wurde der in der Haft schwer erkrankte Hans von Dohnanyi am 6. April 1945 im KZ Sachsenhausen von einem SS-Standgericht – nach einer juristisch wie menschlich abscheulichen Scheinverhandlung – zum Tode verurteilt und vermutlich am 9. April ermordet.

Dohnanyis Gestapo-Peiniger, Kriminalkommissar Sonderegger, brachte als Grund für die Hinrichtung vor, er sei das „geistige Haupt des 20. Juli“. Vor einigen Wochen, am 18. Juni 2003, wurde Dohnanyi posthum von der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte mit der Auszeichnung „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. Diese höchste Auszeichnung, die Israel an Nicht-Juden verleiht, ist eine späte Würdigung von Hans von Dohnanyis Einsatz für verfolgte Juden, die besonders in der großartigen Rettungsaktion „Unternehmen Sieben“ sichtbar wird.

Diese Biographie ist ein beeindruckendes Zeugnis vom Kampf gegen die Diktatur des „Dritten Reiches“. Es zeigt den Mut und die Entschlossenheit von Menschen auf, die sich durch ein besonderes Pflichtgefühl dazu berufen fühlten, der „grauenhaften Barbarisierung“ entgegenzuwirken und – ohne Rücksicht auf das eigene Leben – der Welt den Beweis von der Existenz eines „anderen“ Deutschlands zu geben. Marikje Smids verdienstvolles Buch über Hans und Christine von Dohnanyi wird hinfort zu den Standardwerken des deutschen Widerstandes zählen.

  • Marikje Smid: Hans von Dohnanyi – Christine Bonhoeffer. Eine Ehe im Widerstand gegen Hitler. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2002, 630 Seiten, 69 €.

Marikje Smid, geboren 1957, Studium der Evangelischen Theologie, ist Gemeindepastorin in Sottrum (Kreis Rotenburg/Wümme); Mitarbeit in der Bonhoeffer-Forschungsstelle, Heidelberg.

Quelle: Frankfurter Rundschau, 5.9.2003

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