Sammlung Westerholt im Stadtarchiv Bottrop

Die Eröffnungsszene dieser ganz besonderen Buch-Geschichte spielt 1951. Im leicht lädierten Schloss Arenfels bei Hönningen: Drinnen eine Versteigerung. „Alles muss raus“. Mittendrin Dr. Rudolf Schetter, Stadtarchivar von Bottrop und Büchernarr.

Am Ende ist kaum noch einer da, die besten Möbel raus, die Auktionszeit abgelaufen. Aber oben unterm Dach, im Turm, da modert ja noch die Bibliothek, und wer sie kaufe, sagt der Auktionator, der müsse sie „sofort mitnehmen“. In Ruhe durchsehen, das ginge nun auch nicht mehr. Das schreckt auch den vorletzten Bibliophilen. Den letzten schreckt es nicht: Schetter.

Er kauft. Kauft die Bibliothek der Grafen von Westerholt. Zuschlag für 6.500 Bände. Er sieht den Turm. Er besorgt einen Flaschenzug. Er weiß, wieviel Buch auf einen Lkw geht. Er zahlt 1.300 Mark. Und reist zurück nach Bottrop.

Nun holt die Realität die Vorstellungskraft ja selten ein, aber so eine Geschichte, wie diese schreibt auch der solcher Schrägheiten nicht unverdächtige Antiquariatsmarkt selten. Denn bis Bottrop begriff, was für einen Schatz man da gehoben hatte, verging ein halbes Jahrhundert. Ende der 90er erinnerte man sich, sichtete und sah ein, dass das so nicht weiterruhen durfte.

Es sind dann die Stadt Bottrop und die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung gewesen, die aufwändige Konservierung und Erschließung finanziert haben. Das geschah an der Uni- und Landesbibliothek Münster. Und dort musste Oberbibliotheksrat Reinhard Feldmann nur einmal hinschauen, um zu sehen: rar, rarer, Bottrop. Der Großteil der Titel ist kein zweites Mal in NRW vorhanden. „Ein Kapital, das geräuschlos unberechenbare Zinsen spendet“, würdigt Feldmann mit Goethe die Bibliothek, die schöner kaum repräsentieren könnte, was hiesiger Adel (und die Westerholts waren westfälischer Uradel!) im 18. und 19. Jahrhundert zu lesen pflegte.

„Eine Universalbibliothek“, nennt Feldmann das – erweitert um ein pittoreskes und heute sehr seltenes Feld des Antiquariats. Denn die Zerstreuungsliteratur für die Dame, die hatten die großen Bibliotheken ihrer Zeit allzu oft links liegen lassen. Aber die Westerholt zu Gysenbergs, die stellten ins Regal, was Frau Gräfin unter der Romanüberschrift „Gefunden und vereint (früher verriet man den Ausgang hemmungslos im Titel) durch den Lese-Winter brachte: „Was ist aus Amy Wynne und ihrem wackern Knaben, dem seines edlen Vaters durch einen niederträchtigen Meuchelmord in so zarter Jugend beraubten Owen Wynne geworden?“ – fragt im Vorwort eine gewisse Miss Southworth.

Auf dergleichen darf sich nun die Wissenschaft stürzen. Und – was noch schöner ist – der gemeine Leser auch. Nur das gebe Sinn, sagt Reinhold Feldmann. „Sich beschäftigen“ mit dieser Bibliothek, müsse man. Dann sei sie „viel unmittelbarer als ein altes Bauwerk“. Und ihr Wert: groß. „Gut angelegt“, so weit lehnt sich der Experte aus dem Fenster, seien die 1300 Mark ganz zweifellos gewesen.

Vor ein paar Wochen, da ist der Großteil frisch restauriert nach Bottrop zurückgekehrt. Wer an den Buchrücken vorbeigeht, freut sich an königlich-preußischen Staatskalendern. An Büchern zur Staatskunde und Prinzenerziehung. An schöner Literatur. An Historischem zur Juristerei („Ueber die Proceßkosten“). Oder an praktischer Literatur, was sowohl die Landwirtschaft (1797: „Bratung der Kartoffel, beste Benuzzung“) als auch „Eine sehr nützliche und wohl-eingerichtete Land- und Städte-Beschreibung von Asia, Africa, America“ (1708) bedeutete. Dort erfuhr der Westfale von Stand schließlich, was die weite Welt ausmachte. „Die Chinesen haben sehr schöne Betten“ etwa. Nicht ohne als Westerholter Graf zugleich über Nachteile des Alltags in Asien unterrichtet zu werden. „Die chinesischen Weiber lassen sich von niemand sehen, selbst nicht von des Mannes nechsten Freunden, wäre es auch gleich der Schwiegervater“.

Info beim Stadtarchiv Bottrop
Blumenstr. 12-14 / Postfach 101554
D-46215 Bottrop
Telefon: 02041-70-3754
Telefax: 02041-70-3833

Vom 28. November bis 16. Januar wird die Bibliothek in Bottrops Kulturzentrum vorgestellt. Die Titel sind im Verbundkatalog des Hochschul-Bibliotheks-Zen-trums-NRW http://www.hbz-nrw.de per Internet recherchierbar.

Quelle: WAZ, 4.9.2003

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