Eine Premiere besonderer Art fand kürzlich in Lemgo statt. Erstmals führte der Stadtrundgang „Jüdisches Leben in einer alten Stadt“ ins Stadtarchiv. Dort wurden den Gästen zum Abschluss der Führung zahlreiche ergänzende Unterlagen präsentiert.
Der Lemgoer Rundgang zum jüdischen Leben wird bereits seit 1994 angeboten und vor allem von Erwachsenengruppen wahrgenommen. Nach dem Rundgang, begleitet von Stadtführern Liesel Kochsiek-Jakobfeuerborn schloss sich erstmals ein Besuch im Stadtarchiv an. Archivleiterin Dr. Gisela Wilbertz erläuterte die von ihr zusammengestellten Unterlagen. Sie spiegeln Ereignisse und Schicksale wider, wie sie nicht nur in Lemgo für die Geschichte der jüdischen Minderheit „typisch“ waren, sondern weit darüber hinaus. Ältestes Stück der Lemgoer Überlieferung ist eine Urkunde von 1351. Auch in Lemgo war es zu einem Pogrom gekommen. In der Urkunde verlangte der Landesherr, Edelherr Otto zur Lippe, von den Lemgoern dafür Entschädigung.
Meist nur in begrenzter Zahl durften sich Juden irgendwo niederlassen. Die Stadt Lemgo duldete zunächst nur eine Familie, im 17. Jahrhundert zwei und seit 1735 drei Familien. Dafür benötigten diese eine besondere Erlaubnis („Geleit“) des Landesherrn, die nur gegen hohe Geldzahlungen zu haben war. Das Original eines solchen „Geleitbriefs“ mit Siegel und Unterschrift des Grafen Simon August zur Lippe ist in den Lemgoer Akten aus dem Jahr 1720 für Isaak Goldschmidt erhalten. Als Simon August 1728 erkrankte, wurden in Lippe alle Mitglieder der jüdischen Gemeinde aufgerufen, für ihn zu beten.
Besonders gefesselt waren die Besucher von mehreren Pergamentzetteln, die man 1734 nach seiner Verhaftung dem Rabbiner Ephraim Hirschel abnahm. Ephraim Hirschel gehörte zu den so genannten „unvergleiteten“ Juden, die sich nirgendwo rechtmäßig niederlassen durften und deshalb zum unsteten Umherziehen gezwungen waren. Wie seine ebenfalls einbehaltenen Pässe zeigen, hatte er sich bereits an vielen Orten, immer nur kurzfristig, aufgehalten. Da im 18. Jahrhundert die Bevölkerungszahl stark anstieg, ging es immer mehr jüdischen Menschen so wie Ephraim Hirschel.
Diese Situation zu verändern, hatten sich die Aufklärer auf die Fahnen geschrieben. Es war der Lemgoer Christian Wilhelm Dohm (1751-1820), Diplomat in preußischen Diensten, der 1782 das bedeutendste und einflussreichste Werk zur Unterstützung dieser Forderung veröffentlichte: „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden“. Bereits acht Jahre vorher äußerte der junge Jurist Dohm diesen Grundgedanken erstmals in einem Beitrag, den er in den „Lippischen Intelligenzblättern“,der ersten Lemgoer Zeitung, publizierte. Dohms Gedanken wurden in Lippe sehr bald aufgegriffen. Doch erst 1858 erließ die Regierung des lippischen Fürstentums ein so genanntes Emanzipationsgesetz, das die Geleitbriefe und Sonderzahlungen abschaffte und den jüdischen Einwohnern bürgerliche Gleichberechtigung gewährte. Die Integration und Anerkennung der jüdischen Bürger in Lemgo endete nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933. In den 1980er Jahren begann in Lemgo die Aufarbeitung der jüdischen Geschichte der Stadt. 1986 wurden in der neu gegründeten Reihe „Forum Lemgo“ die Erinnerungen von Karla Raveh, einzige Überlebende der Familie Frenkel, veröffentlicht. In den folgenden Jahren wurden der Platz der 1938 zerstörten Synagoge an der Neuen Straße zum Mahnmal umgestaltet und im „Frenkel-Haus“ in der Echternstraße 70, Karla Ravehs Elternhaus, eine museale Dokumentationstätte zum jüdischen Leben in Lemgo eingerichtet.
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Quelle: Lippische Landes-Zeitung, 2.9.2003