40.000 laufende Meter Akten werden im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden aufbewahrt. Ein schöner, aber klotziger, denkmalgeschützter Bau im Dresdner Regierungsviertel, voll mit Unterlagen, Urkunden, Karten und Plänen aus mehr als tausend Jahren. Die Überlieferung des sächsischen Staates seit dem 10. Jahrhundert. Hier wird aufbewahrt, was in sächsischen Behörden und Gerichten produziert oder dokumentiert wurde, damit unsereiner heute noch mal nachlesen kann: Zum Beispiel, wie sich die Markgrafen Friedrich III. und Balthasar von Meißen am 13. Mai 1356 über die Unteilbarkeit ihrer Länder auf Lebenszeit einigten, oder wie die Abgeordneten des Sächsischen Landtags 1881 den „humoristischen Rundgesang“ pflegten, oder wie die Jugendlichen der Firma Sanitätshaus Beckert in Bautzen Spottgedichte auf die SED schrieben. Aufbewahrt auch, damit künftige Generationen noch einmal im „Bericht der Unabhängigen Kommission der Sächsischen Staatsregierung zur Flutkatastrophe 2002“ nachschlagen können.
Da kommt natürlich ganz schön was zusammen. 20 Kilometer Akten werden jährlich in sächsischen Behörden angelegt, schätzt Andrea Wettmann, die Sprecherin des Staatsarchivs. Aber höchstens zwei bis fünf Prozent landen nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist im Staatsarchiv. „Wir schlagen Schneisen“, sagt Andrea Wettmann. „Eine unserer Hauptaufgaben ist das Vernichten.“ Was übrig bleibt, ist umfangreich genug. Der Archivbestand wächst und wächst, dabei ist das Gebäude auf der nach ihm benannten Dresdner Archivstraße schon mehr als voll. Längst werden Neuzugänge andernorts in Depots verwahrt, beispielsweise in Kamenz.
Thermokopien sind der „totale Horror“
Dringend müsste das Haus aus dem Jahre 1915 saniert werden. Der Fahrstuhl ist von 1935, Heizung, Elektrik und andere Technik sind ebenfalls antik. Von Klimatisierung ganz zu schweigen. Die großen Jugendstilfenster sind zwar schön, aber so viel Licht ist Gift für die offen in Regalen lagernden Akten. Behelfsweise sind die Scheiben derzeit mit gelber Folie beklebt, die vor UV-Strahlen schützt. „Wir brauchen auch dringend einen Magazin-Neubau“, sagt Archivleiter Guntram Martin. Fürs kommende Jahr sind erste Planungsmittel versprochen, vielleicht wird 2005 mit einem Neubau begonnen.
Die äußere Hülle ist das eine, das Innenleben ist nicht weniger problematisch. Denn die Aktenberge bröseln. Ungeschützt liegen die Mappen übereinander in alten Regalen, verstauben und verrotten. Dabei sind die rein mechanischen Schäden am Papier noch harmlos, erklärt Archivleiter Martin. Vor allem Industriepapiere sind anfällig für chemische Prozesse, die die Unterlagen schrittweise auflösen. Thermokopien zum Beispiel seien „der totale Horror“. „Wir sind bei der Lagerung bis an die Grenze des Machbaren gegangen“, sagt Martin.
Seit eineinhalb Jahren wird nun endlich verpackt. Ein riesiger Kraftakt bei laufendem Betrieb. 26 Hilfskräfte packen Päckchen, zwei Jahre lang. 25.000 laufende Meter Archivgut werden in 150.000 Kartons umgelagert. „Arbeit statt Sozialhilfe“ heißt die Fördermaßnahme, die die Hilfskräfte stellt und bezahlt. Auch dazu wird es wohl Akten geben, und auch die landen wohl wieder in Archiven, um verpackt zu werden.
Heiko Voigt steht zwischen den verstaubten Regalen im stickigen sechsten Stock und schwitzt. 18 Grad wären ideal, in den vergangenen Wochen war er froh, wenn es nur 35 waren. Mitten im Sächsischen Kriegsarchiv. Zurzeit sind die Monatslisten des königlichen Hauptzeughauses dran. 1859 und folgende. Verpflegung und Ausstattung der 7. Artillerie-Division. Mit viel Mühe lassen sich die Namen der Soldaten entziffern. Heiko Voigt guckt aber gar nicht rein. „Man kann das Meiste sowieso nicht lesen“, sagt der 34-Jährige.
Er greift zum Staubsauger. Mappe für Mappe entstaubt er mit einer Spezialbürste, schaut nach äußerlichen Beschädigungen, wickelt die Mappen in weißes Pergamentpapier und legt sich sorgfältig ab in säurefreie „Stülpdeckelkartons Nr. 4, aus Archivpappe, hell“. Alles wird sorgfältig beschriftet. Überall stehen Unmengen Kartons rum, zwischen den Regalen, in den Gängen auf den Fluren. Der Platz reicht einfach nicht mehr aus, denn verpackt brauchen die Akten viel mehr Lagerraum. Dafür kommen die Archivare sehr viel schneller an das, was sie suchen.
Zehn bis zwölf Meter schafft Heiko Voigt pro Tag. Eine ganz leichte Arbeit ist das nicht. Der Staub, die stickige Luft. Und volle Konzentration. Wehe, irgendwas kommt hier durcheinander. „Eine Minute Unaufmerksamkeit bedeutet 100 Jahre suchen“, hat Archivleiter Martin den Hilfskräften anfangs klargemacht. Den Spruch haben sie sich ans schwarze Brett geheftet. 20 000 laufende Meter haben die 26 Männer und Frauen bisher geschafft. Die Akten aus dem Forstrevier Moritzburg zum Beispiel warten noch oder die der sächsischen Gesandschaft in Wien aus der Zeit, als Sachsen noch Außenpolitik betrieb.
Eigentlich sei es ein Unding, dass überhaupt in den Magazinen gearbeitet wird, sagt Martin. Allein die menschlichen Ausdünstungen machen vielen Dokumenten zu schaffen. Anderswo, in modernen Archiven, sei das undenkbar. Aber irgendwie müssen die Mappen ja in die Kartons kommen. Nur die ganz wertvollen Stücke werden schon immer in Spezialschränken unter besonderen Bedingungen gelagert.
Die Schlüssel zu Augusts Privatgemächern
Die Schlüsselaffäre am Hof August des Starken zum Beispiel, dokumentiert durch königliche Schreiber und zwei Abdrücke von Schlüsseln zu Augusts persönlichen Gemächern. Die hatte 1718 seine Mätresse Maria Magdalena Gräfin von Dönhoff herstellen lassen. Die geplante Nachfertigung der Schlüssel in Prag kam jedoch aus unbekannten Gründen nicht zustande. 1719 übergab die an der Intrige beteiligte Maria Magdalena Helena von Schlangen die Schlüsselabdrücke an den König und geriet dabei selber in Verdacht. Doch August ließ schließlich Gnade vor Recht ergehen. Dies ist eine von vielen Episoden, deren Dokumente das Hauptstaatsarchiv am Sonnabend während eines Tags der offenen Tür zeigt. Besucher können dort interessantes Archivgut einsehen. Den Niederlassungsvertrag zwischen Sachsen und den USA mit eindrucksvollem Siegel zum Beispiel, 1846 unterschrieben vom US-Präsidenten James K. Polk und dem Außenminister und späteren Präsidenten James Buchanan. Oder die kuriose Tatortskizze eines Mordfalls in der Niederlößnitz. Die Leiche der Hanne Rosine Hässlich war am 5. März 1847 im Hof ihres Hauses gefunden worden. Direkt neben der Hundehütte. Das machte der Zeichner gleich mehrfach deutlich. Vor der Hütte bellt auf der Skizze ein kleines Tier, und damit’s keiner übersieht, steht noch deutlich darüber geschrieben „Hund“.
Am Sonnabend, 23. August, beteiligt sich das Sächsische Hauptstaatsarchiv erstmals mit einem „Tag der offenen Tür“ am „Gläsernen Regierungsviertel“ in Dresden. Von 11 bis 16 Uhr werden einmalige Originale aus der sächsischen Geschichte gezeigt.
Kontakt:
Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden
Archivstraße 14, 01074 Dresden
Frau Dr. Andrea Wettmann
Tel.: 0351/8006-138
andrea.wettmann@archive.smi.sachsen.de
Quelle: sz-online, 22.8.2003