Die Situation ist paradox. Nie zuvor haben Hamburgs Geschichtswerkstätten eine solche Aufmerksamkeit der Medien gehabt und so viele Sympathiebekundungen des Publikums bekommen wie zurzeit. Gleichzeitig war ihre Existenz nie gefährdeter.
Zur Erinnerung: Ende Juli stellte die Kulturbehörde ihren Haushalt 2004 vor. Der Etat steigt, doch es gibt einen großen Verlierer. Die Zuwendung von 539.000 Euro für die 14 Hamburger Geschichtswerkstätten und Stadtteilarchive sollte komplett gestrichen werden. Erschrocken über lautstarke Proteste, kündigte die Behörde am 30. Juli an, ihren Erlass abzumildern: 133.000 Euro sollen alle 14 Einrichtungen im kommenden Jahr für Miet- und Betriebskosten erhalten. Wegfallen würden dagegen vor allem die Mittel für die sieben festen Stellen, die sich zwölf Mitarbeiter der Geschichtswerkstätten teilen.
Funktionieren könnte der Betrieb dennoch, glaubt die Kulturbehörde. Sie schlägt mehr Kooperation mit anderen Stadtteileinrichtungen vor und will die Archive stärker in den Bezirken verankern. Ähnliches stellt sich auch Gerd Hardenberg vor. Der kulturpolitische Sprecher der Schill-Fraktion will das starke ehrenamtliche Engagement in den Geschichtswerkstätten und das gesammelte Material in ihren Archiven erhalten. Doch mehr als die Basisfinanzierung hält auch er für nicht möglich.
Für Michael Joho, den ehrenamtlichen Leiter der Geschichtswerkstatt St. Georg und Sprecher der Stadtteilarchive, sind diese Vorschläge zu wenig. „Ohne die hauptamtlichen Kräfte wird es stark frequentierte Angebote wie den zentralen Bilderspeicher, die Stadtteilrundgänge, das Kinderprogramm oder die intensive Zusammenarbeit mit Schulen nicht mehr geben.“
Überdies seien die vorgeschlagenen Möglichkeiten der Kostenersparnis längst ausgeschöpft: „Räume, Sponsoren und Partner suchen wir seit Jahr und Tag. Anders als mit viel kostenloser Unterstützung wäre unser Betrieb nicht durchführbar.“ Und wer ernsthaft Kirchen als Kooperationspartner vorschlage, sei nicht mit der Situation vor Ort vertraut: „Die sind schon froh, wenn sie ihre Personal- und Raumsituation halten können und nichts abgeben müssen.“
Vor den Sommerferien haben die Geschichtswerkstätten großflächigen Protest angekündigt. Auftakt ist die Kundgebung am 19.8. auf dem Hansaplatz (Beginn 18 Uhr) – Motto: „Geschichte muss lebendig bleiben“. Es folgen zahlreiche Aktionen in den Stadtteilen noch vor der Sitzung des Kulturausschusses der Bürgerschaft Anfang September. Joho: „Bis dahin wollen wir so viel rotieren, dass es dem Senat schwer fällt zu sagen, es bleibt dabei.“
Inzwischen ist Michael Joho wieder etwas optimistischer als noch vor sechs Wochen: „Ich halte einiges für möglich. Die Korrektur der Behörde ist noch nicht das Ende der Fahnenstange. Die erste Bewegung von Kultursenatorin Dana Horáková soll nicht ihre letzte gewesen sein.“
Informationen zum Protestprogramm gibt Michael Joho, Tel. 0170/948 04 60; am 25. August findet um 19 Uhr in der Patriotischen Gesellschaft, Trostbrücke 4, eine Diskussion über Nutzen und Fördermöglichkeiten von Geschichtswerkstätten statt. Auf dem Podium sitzen u. a. Franklin Kopitzsch, Hans-Dieter Loose, Jürgen Mantell.
Die Geschichtswerkstätten:
- Geschichtswerkstatt Barmbek e.V. (seit 1986): 2 feste, etwa 10 ehrenamtliche Mitarbeiter, 76 Mitglieder. Zuschuss (der Kulturbehörde): 85 000 Euro. Archiv: ca. 5000 Fotos, Interviews, heimatkundliche Bibliothek (von 1850 bis heute).
- Kultur & Geschichtskontor Bergedorf e.V. (seit 1982): 3 feste, mehrere 100 ehrenamtliche Mitarbeiter, 60 Mitglieder. Zuschuss: 69 000 Euro. Archiv: historische Fotos, Postkarten, Stadtpläne. Eigene Bibliothek.
- Stadtteilarchiv Bramfeld e.V. (seit 1983): 1 Festangestellte in Teilzeit, 7 ehrenamtliche Mitarbeiter, 11 Mitglieder. Zuschuss: 51 000 Euro.
Archiv: Fotos, Kassetten mit Zeitzeugeninterviews, Karten. Klöntreffs und Rundgänge. - Geschichtsgruppe Dulsberg e.V. (seit 1986): keine festen Mitarbeiter, dafür 15 ehrenamtliche Mitglieder. Zuschuss: 2500 Euro. Archiv: Fotos, Zeitungsartikel (ab 1920), wissenschaftliche Arbeiten, eigene Bibliothek.
- Geschichtswerkstatt Eimsbüttel e.V. (seit 1983): 1 fester Mitarbeiter, 15 ehrenamtliche, 69 Mitglieder. Zuschuss: 66 000 Euro. Archiv: über 5000 Fotos, Tonkassetten, Dokumente zur Stadtteilgeschichte, eigene Bibliothek.
- Stadtteilarchiv Eppendorf e.V. (seit 1987): 2 feste und 5 ehrenamtliche Mitarbeiter, 30 Mitglieder. Zuschuss: 39 000 Euro. Kleines Foto- und Textarchiv. Außerdem eigenes Veranstaltungszentrum „Subbühne“ im Röhrenbunker.
- Willi-Bredel-Gesellschaft Geschichtswerkstatt Fuhlsbüttel e.V. (seit 1988): 10 ehrenamtliche Mitarbeiter, 103 Vereinsmitglieder. Zuschuss: 25 000 Euro. Archiv: Fotos, Bücher und private Gegenstände, mehr als 1000 Bücher.
- Stadtteilarchiv Hamm e.V. (seit 1987): 2 feste Mitarbeiter, etwa 12 ehrenamtliche, 100 Mitglieder. Zuschuss: 20 000 Euro. Archiv: ca. 20 000 Fotos, Zeitungsartikel. Bewirtschaftung des Bunkermuseums; Geschichtscafé (einmal im Monat).
- Geschichtswerkstatt Horn (seit 1996): 13 ehrenamtliche Mitarbeiter, kein fester Zuschuss der Kulturbehörde. Einnahmen aus Spenden und Kalenderverkäufen. Archiv: ca. 2000 Fotos, Zeitungsartikel, alte Tagebücher.
- Jarrestadt-Archiv (seit 1990): zwischen 4 und 6 ehrenamtliche Mitarbeiter. Zuschuss: 5000 Euro. Archiv: Fotos, Zeitschriften, Interviews. Eigene Bibliothek zur Stadtteilgeschichte.
- Stadtteilarchiv Ottensen e.V. (seit 1980), untergebracht in der ehemaligen Ottenser Drahtstifte-Fabrik. 3 feste Mitarbeiter, 20 ehrenamtliche, 90 Mitglieder. Zuschuss: 118 000 Euro. Audio- und Videoarchiv mit Zeitzeugeninterviews, Firmennachlässe, Fotos.
- Geschichtswerkstatt St. Georg e.V. (seit 1990): Zwischen 40 und 60 ehrenamtliche Mitarbeiter, 73 Mitglieder. Zuschuss: 6000 Euro. Archiv: ca. 1800 Fotos, Zeitungsberichte, historische Dokumente. Bibliothek mit ca. 5000 Büchern.
- St.-Pauli-Archiv e.V. (seit 1987): 1 fester Mitarbeiter, 10 ehrenamtliche, 40 Vereinsmitglieder. Zuschuss: 26 000 Euro. Archiv: Fotos und Ansichtskarten, Tonkassetten mit Interviews. Bibliothek.
- Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg (seit 1990), untergebracht im Kommunikationszentrum Honigfabrik. Zuschuss: 9000 Euro. Eine feste Mitarbeiterin, 30 ehrenamtliche, 150 Mitglieder. Fotoarchiv, literarische Barkassenfahrten, Straßentheater-Projekte.
Link: http://www.hamburger-geschichtswerkstaetten.de/
Quelle: Hamburger Abendblatt, 19.8.2003