Jüdisches Leben in Blankenese

Martin Schmidt, promovierter Historiker und langjähriger Bürgerschaftsabgeordneter der GAL, und dreizehn weitere Blankeneser, darunter der Reeder Engelbert Büning, der ehemalige Richter am Hamburger Verfassungsgericht Wolf Dieter Hauenschild, Monika Lühmann und der ehemalige Staatsanwalt und Autor Dietrich Kühlbrodt, haben den „Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese“ gegründet.

Zusammen wollen sie zwischen Ostern und Pfingsten 2004 eine Ausstellung im Gemeindesaal der evangelischen Kirchengemeinde auf die Beine stellen. Kern der Ausstellung sind die Schicksale von vier prominenten Blankeneser Juden: des Kaufmannes Julius Asch (1875-1939), der Autorin Sophie Jansen (1862-1942), der Malerin Alma del Banco (1862-1943) und der Witwe des Lyrikers Richard Dehmel, Ida Dehmel (1870-1942). Sie alle nahmen sich aus Angst vor der Deportation das Leben.

Für Susanne Boehlich (53), die ehemalige GAL-Bürgerschaftsabgeordnete, ist die Arbeit an der Ausstellung eine aufwühlende persönliche Erfahrung. Sophie Jansen ist ihre Urgroßmutter. Im Staatsarchiv fand sie die dicke Akte mit den Dokumenten des Lebens ihrer Ahnin. Von der Geburtsurkunde bis zu den abstoßenden Fotos der Polizei. Motiv Freitod durch austretendes Gas in der Küche der Wohnung. Zwischen den amtlichen Formularen tauchte selbst der Abschiedsbrief der Jansen auf. „Den haben sie damals eingezogen, in den Akten verschwinden lassen. Die Familie hat ihn bis heute nie zu Gesicht bekommen“, sagt Boehlich.

77 weitere Blankeneser Juden und ihre Schicksale sind im Staatsarchiv dokumentiert. Ihre Geschichte ist der zweite Schwerpunkt der Ausstellung. „Von jüdischem Leben kann in Blankenese trotzdem kaum gesprochen werden“, sagt Martin Schmidt. Viele der Juden hatten sich assimiliert, waren zum evangelischen Glauben konvertiert und wurden erst von den Nazis zu Viertel-, Halb- oder Volljuden erklärt.

Der Verein setzt in der Dokumentation auf „Oral History“: Zeitzeugen, die erzählen können. Etwa vom „Stürmer-Kasten“ mit den neuesten Ausgaben des antisemitischen Hetzblattes am Blankeneser Bahnhof, von der Richard-Dehmel-Schule, die seit dem Dritten Reich und bis heute Gorch-Fock-Schule heißt, oder von den Blankeneser Ortspolizisten, die Juden im Sommer am Baden in der Elbe hinderten. Schmidt will auch Schüler und Schulen in die Recherchen einbeziehen, die den Schicksalen ehemaliger Schüler und Lehrer nachgehen sollen. „Die Ausstellung ist ein wichtiger Schritt hin zur Herstellung eines besseren Selbstverständnisses von Blankenese“, sagt Schmidt.

Ausgerichtet und wissenschaftlich begleitet wird die Ausstellung von Hannes Heer, der auch schon die Wehrmachtsausstellung leitete. Finanziert wird sie von Gönnern, die Schmidt in der betuchten Blankeneser Gesellschaft sucht. Schmidt: „Die Arbeit soll nach der Ausstellung weitergehen. Ein Archiv könnte entstehen, und vielleicht sollte auch jemand ein Buch darüber schreiben.“ Zeitzeugen können sich beim Verein unter 040 / 86 53 58 melden.

Quelle: Hamburger Abendblatt, 4.8.2003

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