Das Zentrum für Zeithistorische Forschung, das Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF) und die University of North Carolina at Chapel Hill arbeiten seit 2001 an dem von der Volkswagen-Stiftung finanzierten Projekt „Beschlüsse, Befehle, Anordnungen, Verfügungen und Direktiven der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD), Berlin-Karlshorst, und der regionalen Verwaltungen der Sowjetischen Militäradministration (VSMA's) in Brandenburg, Mecklenburg, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt (1945-1949).“ Dieses Projekt ist Teil einer Kooperation des GARF mit verschiedenen Partnern bei der Erschließung der Archivmaterialien der SMAD im Bestand des GARF.
Mit dem Befehl Nr. 1 vom 9. Juni 1945 wurde die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) als oberste Regierungsgewalt in dem von sowjetischen Truppen besetzten Gebiet eingesetzt. Der Zentrale in Berlin-Karlshorst waren fünf regionale Militärverwaltungen in den ostdeutschen Ländern unterstellt. Die SMAD regelte alles: die Einbringung der Ernte, den Aufbau von Justiz und Verwaltung sowie die Internierung der Kriegsgefangenen. Erst mit der Gründung der DDR im Oktober 1949 wurde die SMAD aufgelöst. Sie ging in die Sowjetische Kontrollkommission über, die Moskau vorsorglich der SED-Führung an die Seite stellte.
Die SMAD hinterließ 11.000 Akten, die jahrzehntelang in sowjetischen Archiven lagerten, wo sie für westliche Forscher nahezu unzugänglich waren. Erst mit dem Zerfall des Sowjetreichs öffneten sich die Archive. Teile der SMAD-Akten, die heute vor allem im Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF) aufbewahrt werden, aber auch über andere Moskauer Archive verstreut sind, wurden 1991 freigegeben, jedoch im August 1992 durch einen Erlass Jelzins gleich wieder gesperrt. Bis zum vollständigen Abzug der russischen Truppen aus Deutschland sollten sie unter Verschluss bleiben – mit Geld oder guten Kontakten war freilich vieles zu haben.
Inzwischen widmen sich zwei Gemeinschaftsprojekte der systematischen Erschließung der SMAD-Akten. Im Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) trafen sich am 19. Juni Archivare und Historiker, um eine erste Bilanz zu ziehen (vgl. den Tagungsbericht auf H-Soz-u-Kult).
Der Amerikaner David Pike präsentierte eine elektronische Datenbank der SMAD-Befehle, an der er seit zwei Jahren in Kooperation mit dem Moskauer Staatsarchiv und dem ZZF arbeitet. Finanziell wird das Projekt durch die Volkswagen Stiftung unterstützt. Pikes Datenbank, in die bisher 60 000 Einzeldokumente eingeflossen sind, ist ein wahres Wunderwerk mit komplexen Suchoptionen und umfangreichen Registern. Zumeist sind die Beschreibungen der Befehle mit vorzüglichen Reproduktionen der Originale verknüpft. Nach Abschluss des Projekts im nächsten Frühjahr soll die Datenbank so rasch wie möglich in Moskau, in Potsdam sowie im Bundesarchiv zugänglich sein. Sie wird zahlreiche Recherchen vor Ort ersetzen können.
Die Symbolik der Befehle
Das deutsch-russisch-amerikanische Gemeinschaftswerk war – wie keiner der Beteiligten verhehlt – von zahlreichen Schwierigkeiten begleitet. Sie liegen wohl auch in der symbolischen Dimension begründet, die die Aufarbeitung der SMAD-Akten unweigerlich besitzt. In ihnen konkretisieren sich vier Jahre einer oft schmerzlichen Vergangenheit.
In Russland, so erklärte Vladimir Tarasov vom Föderalen Russischen Archivdienst, wurde die Freilegung der SMAD-Akten von nationalistischen Kreisen als Preisgabe der heroischen Vergangenheit kritisiert. Die deutschen Archivare wiederum klagten in Potsdam über das Regeldickicht der russischen Archive und den schwerfälligen Prozess der „Deklassifizierung“, also der Freigabe gesperrter Akten. Bereits deklassifizierte Akten bleiben gelegentlich unzugänglich oder werden aus undurchschaubaren Gründen wieder gesperrt. Immerhin sind heute 95 Prozent der SMAD-Akten zugänglich – westliche Militärarchive verfahren durchaus restriktiver.
Auf Wunsch der russischen Seite wird die Mikroverfilmung und Digitalisierung der SMAD-Befehle von Quelleneditionen begleitet. So soll offenbar der Eindruck vermieden werden, die archivierte Vergangenheit werde einfach nur kopiert und gleichsam ins Ausland entwendet. Zugleich dienen die Editionen den russischen Archiven als eine Art Leistungsnachweis gegenüber den vorgesetzten Behörden. Bisherige Bände widmen sich der Demontage und der Zerstörung des NS- Militärapparates, sie geben etwa Aufschluss über die Vernichtung der deutschen Chemie-Waffen. Auch diese Editionen sind ein Kompromiss, denn ihre Themen werden von den russischen Partnern vorgegeben.
Parallel zur Inventarisierung der SMAD-Befehle durch David Pike arbeitet das Bundesarchiv an der vollständigen Verfilmung und Digitalisierung des SMAD- Erbes. Auch hier war der Weg zur Kooperation steinig. Zunächst wurden in einem Pilotprojekt die Akten zur Kulturpolitik erschlossen. Gegenwärtig läuft ein neues Vorhaben zur Wirtschaftspolitik. Es gab und gibt, das verschweigen die Mitarbeiter des Bundesarchivs nicht, technische Hindernisse und Konflikte in methodischen Fragen. Doch in fünf Jahren sollen sämtliche freigegebenen SMAD-Akten erfasst sein. Die bereits existierenden Mikrofilme mit immerhin 350.000 Aufnahmen sowie die digitalisierten Daten sind im Bundesarchiv einsehbar.
Damit steht den Zeithistorikern schon jetzt und erst recht in den nächsten Jahren ein riesiger Datenschatz zur Verfügung. Noch ist nicht absehbar, wie die SMAD-Akten die Forschung beeinflussen werden – die ist schließlich nicht Sache der Archivare. Aber die Erschließung der Bestände dürfte in Zukunft viele beschwerliche Odysseen durch Moskauer Archive überflüssig machen. Vladimir Kozlov, der stellvertretende Leiter des Russischen Staatsarchivs, formulierte es so: Die Jagd nach den Dokumenten soll endlich ein Ende haben, damit die Historiker sich an die Arbeit begeben können.
Quelle: SZ vom 28.6.2003.