Entscheidung über Stadtarchiv Alzey verschoben

Erst in einer Stadtratssitzung im September soll die Entscheidung fallen, ob das Alzeyer Stadtarchiv in der Stadt bleibt oder an das Landesarchiv Speyer abgegeben wird, wie Bürgermeister Knut Benkert (SPD) gegenüber der AZ mitteilte. Ursprünglich war ein Votum für Juni vorgesehen, nachdem sich der Stadtrat im Februar 2003 noch Bedenkzeit gegeben hatte. Am kommenden Freitag, den 27. Juni, wird Benkert der interfraktionellen Arbeitsgruppe ein Papier präsentieren, in dem sich Speyer verpflichtet, die Alzeyer Archivalien innerhalb eines Jahres zu erschließen. Bürgermeister Benkert sieht sich durch dieses Schreiben aus Speyer in seiner Position bestätigt

In der Sitzung Anfang Februar 2003 hatte sich der Stadtrat nach Widersprüchen aus der Bevölkerung dem Antrag des Bürgermeisters verweigert, das Stadtarchiv an Speyer abzugeben. Stattdessen war eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden, die bis Juni Vorschläge zum weiteren Verfahren erarbeiten sollte. Diese Entscheidung ist nun aber bis September aufgeschoben worden.

Die Abstimmungsniederlage Anfang des Jahres sieht Benkert nicht als persönliche Schlappe: „Es geht um Inhalte, nicht um Personen.“ Im Stadtrat hätten ohnehin nur „ein oder zwei Leute Ahnung vom Archivwesen“. Sein Vorschlag sei eine „wirtschaftlich vertretbare, professionelle und bezahlbare Lösung“, warb Benkert. In einer Sitzung der Arbeitsgruppe am kommenden Freitag werde über eine Lösung diskutiert. Auch der Altertumsverein sei mit im Boot.

9.482 Euro müsste Alzey pro Jahr nach Speyer überweisen, das seien etwa 50 Cent pro Einwohner und Jahr, damit die Archivare dort die Kladden und Aktenbündel bearbeiten. Dass Oppenheim heute bereue, sein Archivgut abgegeben zu haben, sei ein unsinniges Argument, das „irgendwelche Idioten“ in die Welt setzten, ärgert sich Benkert. Oppenheim habe keinen Pfennig bezahlt, Alzey werde aber bezahlen und könne deswegen auch auf eine schnelle Bearbeitung vertrauen. „Die Summe ist schwer zu stemmen, aber sehr viel billiger, als einen Archivar und eine Hilfskraft einzustellen“, rechnet Benkert vor. Dies würde das Fünf- oder Sechsfache kosten. Vor allem fehlten in Alzey die geeigneten Räume für die Archivalien.

Zurzeit seien die Schriftstücke in Kellerräumen deponiert, verfielen allmählich wegen der unsachgemäßen Aufbewahrung. Für den neueren Teil des Archivs gebe es keine der so genannten Findbücher – das sind Verzeichnisse, ohne die der Forscher nicht zu seinen Unterlagen findet. Speyer werde diese Aufgabe gerne übernehmen, erklärt Benkert.

Auch wegen des Datenschutzes wehrt er sich dagegen, ehrenamtliche Kräfte an die Archivstücke zu lassen. „Das können nicht Hinz und Kunz machen, wenn es um Vermögensverhältnisse geht“, meint Benkert. Bis zum 100-jährigen Jubiläum des Altertumsvereins 2006 seien die Schriftstücke im Landesarchiv längst erschlossen. „Hätte der Stadtrat im Februar entschieden, wäre der größte Teil des Alzeyer Archivs bereits jetzt aufgearbeitet.“

Forscher und Geschichtsinteressierte sind gegen Abgabe der Akten ans Landesarchiv Speyer

In einem fünfseitigen Papier haben sich die historischen Vereine Alzeys gegen die Abgabe des Stadtarchivs an das Landesarchiv Speyer ausgesprochen. Altertumsverein, Altstadtverein und Verein für Postgeschichte setzen sich in dem Schreiben, das an alle Stadtratsmitglieder geschickt wurde und das unserer Zeitung vorliegt, für den Verbleib und Aufbau des Archivs vor Ort ein.

Wenige Tage vor der Sitzung der Arbeitsgruppe am Freitag haben die in den historischen Vereinen organisierten Fachleute und Forscher ihre Meinung zu der von Bürgermeister Knut Benkert (SPD) vorgeschlagenen Abgabe des Stadtarchivs nach Speyer dargelegt. Unter der Überschrift „Archiv der Stadt Alzey: Situation, Alternativen, Lösungen“ beschreiben die Autoren die Ausgangslage und diskutieren Für und Wider der Abgabe und des Verbleibs der historischen Dokumente. Ihr Fazit: Die Archivalien in der Stadt zu lassen sei „sachlich, personell und finanziell möglich und im Hinblick auf Geschichte und Kulturleben der Stadt wünschenswert.“

Ein Stadtarchiv in Alzey ist nach den Rechnungen der Vereine nicht teurer als die Summen, die jährlich an das Landesarchiv in Speyer entrichtet werden müssten. Für die Kassation – also das Sichten und Aussortieren – der neueren unbearbeiteten Archivalien soll ein Archivar mit einem zeitlich befristeten Werkvertrag angestellt oder aber ein Fachmann eines Archivs der Umgebung zeitweise entliehen werden. Für einen zweijährigen Werkvertrag müssten rund 12.000 Euro ausgegeben werden. Innerhalb von ein bis zwei Jahren könnten die bisher unerschlossenen Archivalien der 1950er bis 1980er Jahre bearbeitet werden. Damit werde der dringend benötigte Platz in der überfüllten Registratur der Stadtverwaltung geschaffen.

Anschließend sollten ehrenamtliche Archivare die historischen Unterlagen und Schriftstücke verwalten. Für ihre neuen Aufgaben könnten sie etwa in der Archivschule in Marburg schlau gemacht werden. Auch der Raumbedarf wird in dem ausführlichen Konzept berechnet: Für 20 Regale würden etwa 50 Quadratmeter benötigt, entsprechende Räume könnten in einer Schule oder einer Wohnung angemietet werden. Somit müssten 3000 Euro Mietkosten, 5544 Euro als Aufwandsentschädigung für die drei Archivpfleger und 906 Euro an Sachmitteln ausgegeben werden, haben die Vereine in einer Modellrechnung herausgefunden. Damit blieben die Kosten nach den ersten Anschaffungen sogar deutlich unter denen von Speyer jährlich geforderten 9.482 Euro.

„Alzey gibt mit dem Archiv seine Identität, seine Geschichte aus der Hand“, befürchtet Privatdozentin Dr. Sigrid Schmitt, die in Mainz an der Johannes Gutenberg-Universität Mittelalterliche Geschichte lehrt und Vorstandsmitglied des Altertumsvereins ist. Das Alzeyer Archiv sei bis zu den 1950er Jahren gut zugänglich, sorgfältig verzeichnet und werde professionell betreut. Im 70 Kilometer entfernten, anonymen Landesarchiv Speyer könne niemand den Forschern Auskunft über Alzeyer Geschichte geben. Dort sei mit mehr Bürokratie und deutlich höheren Kopierkosten zu rechnen. Außerdem sei der Vorschlag, das Archiv abzugeben, verwunderlich, weil die Mitglieder des Altertumsvereins in ehrenamtlicher Arbeit und auch mit hohem finanziellen Einsatz über Jahrzehnte hinweg das Alzeyer Stadtarchiv mit aufgebaut hätten.

Bei einer Abgabe des Stadtarchivs in die Pfalz seien nicht nur lange Anfahrtswege zu befürchten, sondern in letzter Konsequenz ein „Versiegen der historischen Lokal- und Heimatforschung“, heißt es in dem Papier. Dies zeige das Beispiel der Nachbarstadt Bingen, die ihr 1965 nach Speyer abgegebenes Archiv zurückhole. Dort habe die stadtgeschichtliche Aufarbeitung stark unter der Entfernung gelitten, mit dem Auszug des Archivs sei – laut Kulturdezernent – das wissenschaftliche Arbeiten zur Stadtgeschichte „abrupt abgebrochen“.

Kontakt:
Archiv der Stadt Alzey
Ernst-Ludwig-Str. 42
55232 Alzey
Tel.: 06731-4950
Fax: 06731-495555
information@alzey.de
www.alzey.de

Altertumsverein Alzey und Umgebung e.V.
Dr. Helmut Schmahl
Burgunderstraße 3
55232 Alzey
Tel. und Fax: 06731/45298
http://www.altertumsverein-alzey.de/

Altstadtverein Alzey e.V.
Wulf Kleinknecht
Ernst-Ludwig-Straße 45
55232 Alzey
Tel. 06731/2469

Verein für Postgeschichte in Rheinhessen e.V.
Manfred Hinkel
Am Roten Tor 63
55232 Alzey
Tel. 06731/43839
http://www.postgeschichte-rheinhessen.de/

Quelle: Allgemeine Zeitung, 24.6.2003

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