Mit den rund 560 „Kriegs- und Einmarschberichten“ von Geistlichen des Erzbistums München und Freising besitzt das Archiv des Erzbistums München und Freising einen der wichtigsten Quellenbestände zum Ende des Zweiten Weltkriegs im südlichen Bayern. Die vollständige Edition dieser Berichte, die 2005 in Buchform erschien, ist seit langem vergriffen. Nun wird der komplette Text online gestellt.
Abb.: Ausschnitt aus der Anweisung zur Erstellung der Kriegs- und Einmarschberichte vom 7. Juni 1945 (Foto: Archiv des Erzbistums München und Freising)
Als im Gebiet des Erzbistums der Zweite Weltkrieg in den letzten April- und ersten Maitagen 1945 mit dem Einmarsch amerikanischer Truppen zu Ende ging, hatten die Behörden des nationalsozialistischen Regimes ihre Tätigkeit bereits eingestellt; die Wehrmacht befand sich in Auflösung. Die kirchlichen Verwaltungsstrukturen funktionierten dagegen weiterhin. Dies war die Voraussetzung dafür, dass die Ereignisse vor 77 Jahren heute noch fast unmittelbar nachverfolgt werden können: Am 7. Juni 1945 forderte der Münchner Generalvikar Ferdinand Buchwieser (1874-1964) alle Seelsorgestellen auf, über die Kriegsereignisse und speziell das Kriegsende in der jeweiligen Pfarrei zu berichten.
Die so entstandenen, zwischen August 1945 und Juni 1946 im Ordinariat eingegangenen „Kriegs- und Einmarschberichte“ bieten eine Fülle von Informationen zum Kriegsende an fast jedem Ort des Bistumsgebiets. Sie beruhen größtenteils auf eigenem Erleben der Geistlichen und wurden sehr bald nach den Ereignissen niedergeschrieben, auch wenn man bei der Auswertung natürlich stets den subjektiven Blickwinkel der einzelnen Berichterstatter berücksichtigen muss.
Entsprechend oft wurden und werden die Berichte genutzt, seitdem das Archiv sie 2005 erstmals vollständig in Buchform veröffentlicht hat. In vielen Ortsgeschichten sind sie zitiert. Zahlreiche Schülergruppen haben mit ihnen gearbeitet, um das Kriegsende in ihrer Heimatregion zu erforschen und mit Dokumenten von amerikanischer Seite sowie mit Berichten noch lebender Zeitzeugen zu vergleichen. Sie wurden genutzt, um die Vergewaltigung deutscher Frauen bei Kriegsende zu dokumentieren und sogar um Blindgänger auf Baugrundstücken aufzuspüren. Vor allem aber bieten sie den einzelnen Pfarrgemeinden die Möglichkeit, diesen einschneidenden Moment ihrer Geschichte besser kennen zu lernen und die Erinnerungen ihrer früheren Seelsorger etwa bei Gedenkveranstaltungen zum Kriegsende einzubeziehen.
Besonders eindrucksvoll und für Unterrichtszwecke gut einsetzbar sind hier zum Beispiel folgende Berichte:
- Pfarrei München-St. Sylvester (Dekanat München-Nord) mit einer Beschreibung der Erstkommunion kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner, während der bereits Kanonendonner vom Stadtrand her zu hören ist
- Pfarrei Pullach (Dekanat München-Süd) mit dem eindrucksvollen Bericht über die Ermordung eines alliierten Fliegers kurz vor und der Tötung des NS-Ortsgruppenleiters kurz nach dem Kriegsende
- Pfarrei Dachau-St. Jakob (Dekanat Dachau) mit (diskussionsbedürftigen) Aussagen zur Befreiung des Konzentrationslagers und zum Wissen beziehungsweise Nichtwissen der Dachauer über die NS-Verbrechen
- Pfarrei Degerndorf (Dekanat Wolfratshausen) mit einer bewegenden Schilderung des „Todesmarsches“ von KZ-Häftlingen, der durch den Ort führte
Die anhaltende Nachfrage nach den Berichten hat das Archiv des Erzbistums verlasst, den gesamten, 1.498 Seiten umfassenden Buchtext der Edition mit Einverständnis des Verlags Schnell & Steiner (Regensburg) in seinem Internetangebot online zu stellen:
Peter Pfister (Hg.):
Das Ende des Zweiten Weltkriegs im Erzbistum München und Freising. Die Kriegs- und Einmarschberichte im Archiv des Erzbistums München und Freising,
Regensburg 2005, 2 Teile, 1.498 S., ISBN 3-7954-1761-9, € 29,90 (vergriffen)
Link zum PDF-Volltext: https://www.erzbistum-muenchen.de/cms-media/media-59068120.pdf
Mit Hilfe des Ortsregisters können alle gesuchten Einzelberichte schnell aufgefunden und dann heruntergeladen oder ausgedruckt werden. Die Texte sind mit kurzen Angaben zu den berichtenden Geistlichen versehen. In einer ausführlichen Einleitung werden Entstehung und Quellenwert der Berichte sowie – vom renommierten Münchner Landeshistoriker Prof. Dr. Walter Ziegler – der Verlauf des Kriegsendes im Erzbistum dargestellt.
Kontakt:
Archiv und Bibliothek des Erzbistums München und Freising
Prof. Dr. Johannes Merz (Leiter Archiv und Bibliothek)
Karmeliterstr. 1
80333 München
Telefon: 089 2137-1346
Fax: 089 2137-1702
archiv@eomuc.de
https://www.erzbistum-muenchen.de/archiv-und-bibliothek
Quelle: Dr. Roland Götz, Archiv und Bibliothek des Erzbistums, Mai 2022 (Link).