Born free. Ausstellung zu 30 Jahren Unabhängigkeit der Ukraine

Nachdem Michail Gorbatschow im Jahre 1985 die „Perestrojka“ (Umbau) der Sowjetunion eingeleitet hatte, änderte sich in der Ukraine vorerst wenig. Der Parteichef Schtscherbytzkyj blieb bis 1989 im Amt. Die Katastrophe im nördlich von Kiew gelegenen Kernkraftwerk von Tschernobyl hatte allerdings schon 1986 vorübergehend breitere Kreise mobilisiert. Als dann Ende der 1980er Jahre der Kollaps des Sowjetsystems einsetzte, zeigten sich politische Oppositionsbewegungen öffentlich und schlossen sich 1989 in einer „Volksbewegung“ (Ruch) zusammen, die vom ehemaligen politischen Häftling Wjatscheslaw Tschornowil (1937-1999) präsidiert wurde. Ruch organisierte 1990 eine Menschenkette mit über 400.000 Personen von Kiew nach Lemberg. In den ersten freien Wahlen im März 1990 erreichte die von der Volksbewegung angeführte Allianz ein Viertel der Stimmen gegenüber 70 Prozent für die Kommunisten.


Abb.: Abgeordnete der Werchowna Rada (Oberster Sowjet) der Ukrainischen SSR: Wjatscheslaw Tschornowil (links) und O. Shevchenko (rechts) mit Streikposten in der Nähe des Gebäudes der Werchowna Rada der Ukrainischen SSR, Kiew, Juni/Juli 1990 (Foto: Central State CinePhotoPhono Archives of Ukraine named after H. Pshenychnyi. No. of arch. u. 0-220463).

Die Oppositionsbewegung wandelte sich allmählich in eine nationale Unabhängigkeitsbewegung. An ihre Spitze stellten sich Vertreter der KP unter Führung von Leonid Krawtschuk, der zum Parlamentspräsidenten gewählt wurde. Im Gleichschritt mit den meisten anderen Sowjetrepubliken erklärte die Ukrainische Republik im Juli 1990 ihre Souveränität und am 24. August 1991, nach dem gescheiterten Putsch reaktionärer Kräfte in Moskau, ihre Unabhängigkeit und den Austritt aus der Sowjetunion. Am 1. Dezember 1991 stimmten in einem Referendum 90 Prozent der Bevölkerung dafür und wählten gleichzeitig Krawtschuk mit 61 Prozent zum Präsidenten der Ukraine. Wenige Tage später trafen sich die Präsidenten Russlands, Boris Jelzin, Belarus, Stanislau Schuschkewitsch, und der Ukraine und beschlossen die Auflösung der Sowjetunion. Es war Krawtschuk, der den Ausschlag für diesen welthistorischen Akt gab.

Zum 30. Jahrestag der Unabhängigkeit der Ukraine 2021 hat der Staatliche Archivdienst der Ukraine gemeinsam mit anderen staatlichen Archiveinrichtungen und Staatsarchiven eine Online-Ausstellung unter dem Titel „Born free. 30 Years of Independence of Ukraine“ erarbeitet. Die Ausstellung, die angesichts des am 24.2.2022 von Russland begonnenen Angriffskrieges gegen die Ukraine eine besondere Aktualität erhält, nimmt ihren Ausgangspunkt am Unabhängigkeitstag (24. August 1991), widmet sich aber in neun Kapiteln dem „sehr langen und ereignisreichen“ Weg bis zur ukrainischen Unabhängigkeit. Die einzelnen Kapitel oder Abschnitte sind mit Dokumenten, Abbildungen und Fotos unterlegt:

Seit Dezember 1991 gibt es einen unabhängigen ukrainischen Staat. Er umfasst 603.628 Quadratkilometer und ist damit der nach Russland zweitgrößte Staat Europas. Sein Territorium ist identisch mit demjenigen der Ukrainischen Sowjetrepublik und grenzt an Russland, Belarus, Polen, die Slowakei, Ungarn, Rumänien und die Republik Moldau.

Die Beziehungen zu den Nachbarstaaten wurden in bilateralen Verträgen geregelt, so auch das Verhältnis zu Russland, mit dem im Jahre 1997 ein Freundschaftsabkommen geschlossen wurde, in dem sich die beiden Staaten ihre territoriale Integrität garantierten. Die Ukraine war Mitglied der von Russland dominierten Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS), die jedoch von sekundärer Bedeutung blieb. Gleichzeitig vollzog sich eine Annäherung an den Westen, beginnend mit einem 1994 abgeschlossenen Partnerschaftsabkommen mit der EU und der Aufnahme in den Europarat ein Jahr später. Die Ukraine ist eine parlamentarische Präsidialrepublik. Sie ist administrativ in 24 Gebiete geteilt, die Autonome Republik Krim hat einen Sonderstatus.

Russlands Annexion der Krim 2014 und der verdeckte Krieg im Donbas haben die Ukraine nach ihrer Unabhängigkeit im Jahr 1991 abermals in den Mittelpunkt der europäischen und der Weltpolitik gerückt. Die Schärfe der russisch-ukrainischen Krise seit 2014 leitet sich laut Andreas Kappeler, emeritierter Osteuropahistoriker der Universität Wien, nicht aus der Geschichte, sondern aus extrem widerstreitenden Interessen der politischen Gegenwart ab. „Eine russisch-ukrainische Versöhnung hält Kappeler nur für möglich, wenn Russland sich aus der Ukraine zurückzieht und die Rolle als großer Bruder aufgibt“, fasst Martin Aust in einer Rezension das Kappeler-Buch „Ungleiche Brüder. Russen und Ukrainer vom Mittelalter bis zur Gegenwart“ (2017) zusammen.

Die Gefahr einer russischen Invasion bestand in den vergangenen Jahren mehrfach, unter anderem seit Frühjahr 2021 aufgrund von Truppenkonzentrationen entlang der ukrainischen Grenze. Russlands Präsident Wladimir Putin unterzeichnete am 21. Februar 2022 ein Dekret zur Anerkennung der Unabhängigkeit der besetzten ukrainischen Gebiete. Am 24. Februar 2022 griff Russland die Ukraine völkerrechtswidrig von mehreren Seiten an, sowohl aus Russland als auch von der annektierten Halbinsel Krim und aus dem Nachbarstaat Belarus. – Die jüngste Geschichte der Ukraine stellt ein neues, dramatisches Kapitel für den Kontext der 2021 erarbeiteten Jubiläumsausstellung „Born free“ dar.

Kontakt:
State Archival Service of Ukraine
24 Solomianska Str.
Kyiv, Ukraine, 03110
Tel.: +38 (044) 275-27-77
Fax: +38 (044) 275-36-55
info@arch.gov.ua
https://archives.gov.ua/en

Quelle: State Archival Service of Ukraine: Born free. Documentary exhibition, 24.8.2021; Informationen zur politischen Bildung 28/2015: Ukraine, 8.7.2015, Autor: Andreas Kappeler, 2015; Art. Ukraine, in: Wikipedia, 1.3.2022; Martin Aust (Bonn): Rezension von Andreas Kappeler: Ungleiche Brüder. Russen und Ukrainer vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 2017. 267 Seiten, ISBN: 978-3-406-71410-8, in: JGO 68, 2020/1, 95-97; Redaktion H-Soz-Kult: Informationsmaterialien zum Krieg in der Ukraine, 3.3.2022.

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