Das Stadtarchiv Friedrichshafen hat die bislang bestehenden Listen zu den Opfern des Zweiten Weltkriegs, die in Friedrichshafen oder als Militärangehörige oder als Opfer des nationalsozialistischen Regimes auswärts ums Leben kamen, überprüft und zusammengeführt. Die Listen zu den Opfern können nun von Interessierten in einem Schauraum im Stadtarchiv eingesehen werden.
Abb.: Die zerstörte Altstadt gilt als Symbol für die Schrecken des Luftkriegs über Friedrichshafen. Hier eine Aufnahme nach dem 28.4.1944, von der Wilhelmstraße Richtung Westen (Foto: Stadtarchiv Friedrichshafen, Sammlung Jakob Hättig).
Das Stadtarchiv Friedrichshafen hat die zur Verfügung stehenden Quellen nach vier Kategorien ausgewertet und in jeweils neuen Aufstellungen zusammengefasst: „Opfer des Widerstands und der Verfolgung durch das NS-Regime“, „Luftkriegstote“, „Ausländerinnen und Ausländer“ sowie „Soldaten“. – Bei den Opfern von Widerstand und Verfolgung wurden ums Leben gekommene jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, Widerstandskämpfer sowie in Friedrichshafen eingesetzte deutsche KZ-Häftlinge aufgenommen. Im Unterschied etwa zu KZ-Häftlingen aus Osteuropa war bei dieser Personengruppe in der Regel ein politischer Hintergrund für die Einweisung verantwortlich. Diese Liste umfasst derzeit 25 Personen.
Als Luftkriegstote sind mit Namen fassbar 734 Personen, darunter 233 Ausländerinnen und Ausländer, überwiegend in der Zwangsarbeit oder als KZ-Häftlinge eingesetzt, 437 deutsche Zivilisten und 64 Militärangehörige. Die Friedhofslisten verzeichnen zehn über Friedrichshafener Stadtgebiet gefallene alliierte Flieger.
Rund 380 Ausländerinnen und Ausländer sind im Zweiten Weltkrieg in Friedrichshafen gestorben. Zu den bereits erwähnten Opfern während der Luftangriffe kamen vor allem Todesfälle durch schwere Krankheiten, begünstigt durch Unterernährung und mangelnde Hygiene. Größte Einzelgruppe waren die russischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter mit 114 Toten, im Jahre 1950 auf dem Ehrenfeld 32 des Hauptfriedhofs Friedrichshafen beigesetzt. Größte Gruppe unter den „Westarbeitern“ bildeten die rund 90 auf dem Maybach-Betriebsgelände beim Luftangriff vom 20. Juli 1944 umgekommenen italienischen Militärinternierten. Hier sind dem Stadtarchiv bis heute nicht alle namentlich bekannt. Insgesamt waren Tote aus vielen europäischen Nationen zu beklagen.
Bei den Militärangehörigen überrascht die hohe Zahl von 1.211 Belegen, die die Recherche des Stadtarchivs ergeben hat. Allein in den Sterberegistern bis 1973 konnten 857 im Zweiten Weltkrieg gefallene Soldaten namhaft gemacht werden, zahlreiche weitere Listen vervollständigen das Bild.
Insgesamt kann man von rund 2.000 Kriegsopfern ausgehen, da es häufiger vorkommt, dass ein und dieselbe Person in mehreren Listen parallel geführt wird.
Betreut wurde das Projekt von Hartmut Semmler vom Stadtarchiv. Unterstützt und begleitet wurde die Recherche durch Dr. Christa Tholander aus Friedrichshafen. Carmen Dienel und Bryndis Kern, ehrenamtliche Mitarbeiterinnen des Stadtarchivs, haben bei der Erfassung des umfangreichen Datenmaterials unterstützt. Interessierte können die Listen sind nun in einem Schauraum des Stadtarchivs Friedrichshafen einsehen. Eine vorherige Kontaktaufnahme per E-Mail ist notwendig.
Bundesverdienstkreuz am Bande für Christa Tholander
Erst kürzlich hatte Friedrichshafens Oberbürgermeister Andreas Brand im Namen des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an Dr. Christa Tholander überreichen können. Vorgeschlagen für die Ehrung wurde Christa Tholander von Ministerpräsident Winfried Kretschmann.
Abb.: Oberbürgermeister Andreas Brand (rechts) überreichte im Namen des Bundespräsidenten das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an Dr. Christa Tholander (Foto: Stadt Friedrichshafen).
Ende der achtziger Jahre hatte Dr. Tholander mit 52 Jahren das Abitur nachgeholt, Geschichte und Anglistik in Konstanz studiert und ihr Magisterstudium 1996 mit der Magisterarbeit „Fremdarbeiter: Ausländische Arbeitskräfte in Friedrichshafen von 1939-1945“ abgeschlossen. Im Jahr 2000 veröffentlichte sie ihre Dissertation mit dem Titel „Fremdarbeiter 1939 bis 1945 – Ausländische Arbeitskräfte in der Zeppelin-Stadt Friedrichshafen“. Sie reiste dafür zu den Zeitzeugen bis nach Polen und Belarus und interviewte dort insgesamt mehrere Dutzend Personen.
Noch heute kümmert sich Dr. Christa Tholander um Anfragen von Nachkommen ehemaliger Zwangsarbeiter. „Mit ihrem Engagement wollen Sie Vorurteile abbauen und bemühen sich um Ausgleich und Versöhnung“, dankte OB Brand Christa Tholander. Auch das Stadtarchiv Friedrichshafen sei durch die Forschungen in der glücklichen Lage, auf fundierte Erkenntnisse über die nationalsozialistische Zeit in Friedrichshafen zurückgreifen zu können. Sie setzte sich u.a. für eine angemessene Gestaltung der beiden Ehrengräber 19 und 32 auf dem städtischen Friedhof ein. In diesen Ehrengräbern ruhen in Friedrichshafen ermordete, umgekommene und umgebettete Zwangsarbeiter, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlinge. Hier hat sie durch Nachforschungen und Erkundungen in höchstem Maße zur Klärung beigetragen.
Ein weiterer Erinnerungsort in Friedrichshafen ist die Präsentation „Zwangsarbeiter“ im Dornier-Museum. Zusammen mit ihrem Mann hat Dr. Tholander für das Museum die Geschichte der Zwangsarbeiter bei Dornier aufgearbeitet und Hördokumente von Zeitzeugen zusammengetragen.
„Sowohl für das Geschichtsgedächtnis unserer Stadt als auch für die Versöhnungsarbeit kann Ihr Engagement nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie haben in erheblichem Maße zur Aufarbeitung der NS-Geschichte in unserer Stadt beigetragen. Darüber hinaus haben Sie sich für die Bewahrung dieser Erkenntnisse eingesetzt, die Schaffung von Erinnerungsorten mit Ihrer Arbeit unterstützt und nicht zuletzt Versöhnungsarbeit durch die Begegnung von Menschen aus einst verfeindeten Nationen geleistet“, so Oberbürgermeister Andreas Brand in seiner Laudatio. Dem Dank schlossen sich die Leiterin des Zeppelin Museums, Dr. Claudia Emmert, der Leiter des Stadtarchivs, Jürgen Oellers, und der frühere Oberbürgermeister Josef Büchelmeier an.
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Quelle: Stadt Friedrichshafen, Nachrichten, 8.5.2021; Stadt Friedrichshafen, Nachrichten, 10.11.2021; Stadt Friedrichshafen, Nachrichten, 24.11.2021