Gemeinsame Stellungnahme von Bundesarchiv, VdA und VHD.
Damit ein künftiger Untersuchungsausschuss einmal nachvollziehen kann, wer in der Bundesregierung was zu welchem Zeitpunkt der Afghanistan-Krise wusste und entschied, fordern die Fraktion Bündnis90/Die Grünen im Bundestag, alle Akten und Daten dazu zu sichern. Im Auswärtigen Ausschuss des Parlaments hat der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour darum beantragt, umgehend ein Moratorium für die Löschung von Daten, die Vernichtung von Akten sowie anderer Datenträger zu erlassen, die das Thema Afghanistan betreffen. So sollen Daten gesichert werden, die mit dem Abzug aus Afghanistan und dem Schutz wie der Rettung von afghanischen Ortskräften und anderen besonders schutzbedürftigen Personen zu tun haben – und zwar über die Bundestagswahl im September 2021 hinaus. – Union, SPD und AfD lehnten Nouripours Vorstoß hingegen ab.
Abb.: Gedenken an verstorbene Abgeordnete im Plenarsaal während der Sondersitzung des Deutschen Bundestages zu den TOP Aufbauhilfegesetz 2021, Feststellung des Fortbestands der epidemischen Lage von nationaler Tragweite und Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur militärischen Evakuierung aus Afghanistan (Ort: Reichstagsgebäude, Plenarsaal, Berlin / DeutschlandAufgenommen: 25. August 2021, 12:10 Uhr, Bildnummer: 5004103; Fotograf/in: Thomas Köhler / photothek.net ).
Der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD), der VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. und das Bundesarchiv fordern eine größere Sorgfaltspflicht bei der Aktenabgabe:
Die jüngste Auseinandersetzung über die Afghanistankrise hat im Bundestag die Forderung nach einem Löschmoratorium zugehöriger Akten aufkommen lassen. Dieses Moratorium wurde im Bundestag abgelehnt. Über diesen Einzelfall hinaus berührt es die für eine Demokratie zentrale Frage, ob und wie für politische Entscheidungsprozess wichtige Mitteilungen (in Form von E-Mails, Chats oder Textnachrichten) überliefert werden. Prinzipiell sind die Vorgaben des Bundesarchivgesetzes für die Archivierung von Dienstakten und Kommunikationsmedien ausreichend. Allerdings fehlt es an dem Bewusstsein, dass auch über Messengerdienste ausgetauschte Informationen nach dem Gebot der Aktenmäßigkeit der Verwaltung in den Dienstakten zu dokumentieren sind. Somit unterliegen SMS oder vergleichbare Kommunikationsformate einer zumindest mittelbaren Anbietungspflicht. Hier entsteht in der Praxis jedoch ein großes Defizit in der Umsetzung, wie an Fällen in der jüngeren Vergangenheit deutlich wurde (etwa Umgang mit den Handydaten der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen). Der Legislaturperioden-Wechsel mit der Wahl am 26. September 2021 führt darüber hinaus zu einer Zäsur in der Aktenführung. Vor allem elektronische Daten (E-Mails, SMS, Messenger-Nachrichten) in den Ressorts sowie im Bundeskanzleramt rund um das Thema Afghanistan müssen deshalb jetzt durch ein Löschmoratorium gesichert werden.
Um wichtige Themen wie die Afghanistankrise aufarbeiten zu können, sind auch spätere Historikerinnen und Historiker zwingend auf die Rekonstruktion der internen Kommunikation angewiesen, auch wenn sie digital geschieht. Der VHD, der VdA und das Bundesarchiv möchten sich deshalb dem geforderten Löschmoratorium mit Nachdruck anschließen. Diese Informationen sind eine wesentliche Voraussetzung für jede wissenschaftliche historische Erforschung und Aufarbeitung. Vor allem möchten wir eine sachliche generelle öffentliche Diskussion über den Umgang mit flüchtigen Kommunikationsformen bei der Dokumentation von Regierungs- und Verwaltungshandeln und die oft mangelhafte Qualität und Lückenhaftigkeit der Dienstakten anstoßen. Wenn zentrale Informationen zum Verständnis politischer Prozesse dauerhaft verloren gehen, weil eine angemessene Dokumentation unterblieben ist, wird eine spätere abgewogene Rekonstruktion und Bewertung demokratischer Verfahren, die Gerüchten entgegentritt, kaum möglich sein.
Eva Schlotheuber, Vorsitzende VHD
Ralf Jacob, Vorsitzender VdA
Michael Hollmann, Präsident Bundesarchiv
Link: Download der Gemeinsamen Stellungnahme
Quelle: VdA, Gemeinsame Stellungnahme von Bundesarchiv, VdA und VHD, 10.9.2021; Süddeutsche Zeitung, 27.8.2021