Aus seiner Reihe „Archivalien erzählen Geschichte(n)“ stellt das Stadtarchiv Bingen das Ereignis aus dem Jahr 1909 vor, als der Zeppelin zweimal über Bingen flog.
Was für eine festliche, feierliche Stimmung herrschte am 2. August 1909 in Bingen! Und was für ein wunderbarer Sommermorgen! Alle Häuser sind mit Fahnen geschmückt, alle Menschen auf der Straße mit hoffnungsvollem Blick nach oben. Es waren nicht nur Einheimische auf den Straßen, sondern auch Menschen aus dem Hunsrück, dem Naheland und dem heutigen südlichen Rheinhessen nach Bingen gekommen. Und sie schauen nicht nur aus ihren Wohnungen und von den Straßen gen Himmel, sondern auch auf allen Flachdächern, vielen Schornsteinen und dem Turm der Pfarrkirche saßen und standen Menschen. Immer wieder ruft jemand, der etwas schemenhaft am Himmel zu erkennen oder zu hören vermutet.
Im 60 Kilometer entfernten Frankfurt am Main fand seit Ende Juli die Internationale Luftfahrtausstellung statt. Hier hatte auch das neueste Luftschiff des Grafen Zeppelin kurz Halt gemacht. Am Montag, dem 2. August 1909, startete der Zeppelin Z II kurz nach zehn Uhr Richtung Köln. Graf Zeppelin, der Namensgeber und Erfinder des markanten Luftschiffes, war höchstpersönlich der Kapitän für die Reise entlang von Main und Rhein nach Köln.
Zeppeline waren am Anfang des 20. Jahrhunderts noch etwas Seltenes. Der erste Zeppelin hatte sich vor damals ziemlich genau neun Jahren zum ersten Mal vom Boden in die Luft erhoben. Der LZ 5 war eine deutliche Verbesserung des ersten Zeppelins. Wenige Tage nach seinem Jungfernflug, unternahm er die sensationelle 38-Stunden-Rekordfahrt vom Bodensee nach Bitterfeld. Kurz danach wurde der Zeppelin vom deutschen Heer übernommen und von LZ 5 in Z II umbenannt. Auf seiner Überführung vom Bodensee nach Köln machte er bei besagter Internationalen Luftfahrtausstellung in Frankfurt am Main Halt und war nun auf seiner Weiterfahrt nach Köln auf dem Weg Richtung Bingen.
Abends zuvor um 21:00 Uhr hatte die Binger Stadtverwaltung ein Telegramm an den Grafen Zeppelin in Frankfurt verschickt.
Abb.: Telegramm der Stadtverwaltung Bingen an Graf Zeppelin (Stadtarchiv Bingen, Best. 13, Nr. 15)
„Exzellenz Graf Zeppelin. Frankfurt am Main
Tausende Bewohner des Rheinstromes in der Umgebung des Nationaldenkmals erwarten mit Begeisterung Eur. Exzellenz hohen Besuch.
In froher Erwartung verharrt
Namens der Stadt Bingen
Großherzogl. Bürgermeisterei.“
Eigentlich flog das 136 m lange Luftschiff mit 15.000 m³ Wasserstoff und zwei Daimler-Motoren mit je 105 PS knapp unter 50 km/h. Aktuell, bei dem zweiten Teil seiner Überführung, bewegte es sich mit etwa 35 km/h auf Bingen zu. Da kam es wirklich aus Osten auf Bingen zu!
Viele harrten seit den frühen Morgenstunden in Bingen aus, weil unklar war, wann das Luftschiff die Reise beginnen werde. Um halb zwölf krachten auf dem Rochusberg zur Begrüßung die Böller und alle Glocken der Rochuskapelle läuteten. Von der Erhebung konnte man Z II schon ein gutes Stück entfernt sehen. Zwanzig Minuten später hörte man die Propeller surren und weitere 25 Minuten später, um 12:15 Uhr, flog der Zeppelin zuerst auf das Nationaldenkmal im Rheingau zu, führte dann über dem Rhein einige Manöver zur Schau aus und flog dann genau über die Binger Dächer.
Abb.: Der Zeppelin Z II am 2. August 1909 über Bingen (Stadtarchiv Bingen, Fotosammlung)
Mittlerweile läuteten auch alle anderen Kirchenglocken und die zahlreichen Böllerschüsse vermischten sich mit dem ohrenbetäubenden Jubel. Graf Zeppelin reagierte auf die Begrüßung und schwenkte zum Gruß seine gut sichtbare weiße Mütze aus der Zeppelingondel.
Noch eine Weile sah man das Luftschiff am Himmel, bevor es hinter dem Binger Loch und der Burg Rheinstein verschwand.
Was Bingen nicht wusste: Der Zeppelin flog direkt in ein Gewitter hinein. Schon ab Boppard wurde der Flug durch die Windböen sehr beschwerlich und das Luftschiff konnte nur noch mit 10 km/h weiterreisen. Als sich hinter Koblenz die Rheinebene öffnete, war das Gewitter am stärksten. Über Neuwied kam der Zeppelin für eine halbe Stunde nicht weiter. Und als es das Gewitter durchquert hatte und ein Stück voran kam, waren die Windböen über Oberwinter bei Bonn so stark, dass sie das Luftschiff mit achtköpfigen Mannschaft schlicht zurücktrieben.
Das war schade für die Menschen zwischen Oberwinter und Köln, die wider Erwarten nicht den Zeppelin zu sehen bekamen. Dafür konnten die Menschen zwischen Oberwinter und Frankfurt überraschenderweise erneut den Z II über den eigenen Dächern bewundern. So auch 19:15 Uhr Bingen, wo das Luftschiff allerdings durch den Gewitterwind getrieben mit gut 100 km/h vorbeiflog.
Drei Tage später, am 5. August 1909, wurde ein neuer Versuch unternommen, den Z II nach Köln zu überführen – diesmal war er erfolgreich. Und Bingen kam noch ein drittes Mal in den Genuss, einen Zeppelin mit seinem Erfinder höchstpersönlich über Bingen surren zu sehen und hören.
Im Luftfahrtarchiv von Köln gibt es über diese Reise von Frankfurt am Main nach Köln einen ausführlichen, mit zahlreichen Fotos, Zeichnungen und Postkarten illustrierten Bericht.
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Quelle: Stadtarchiv Bingen, Archivalien erzählen Geschichte(n)