„Wir freuen uns, wieder ein Puzzleteil in unsere Aktenbestände einfügen zu können“ berichtet Heike Sartorius, Diplom-Archivarin beim Kreisarchiv des Enzkreises. Sie spricht vom frisch erschlossenen Aktenbestand der ehemaligen Ausgleichsämter für die Gemeinden im heutigen Enzkreis, den der Historiker Dr. Volker Ziegler in den vergangenen Monaten für das Kreisarchiv bearbeitet hat. Die Ausgleichsämter waren bundesweit auf Grundlage des Lastenausgleichsgesetzes von 1952 auf Ebene der Land- und Stadtkreisverwaltungen gebildet worden. Menschen, die Kriegsschäden erlitten hatten, sollten auf diesem Wege finanzielle Entschädigung erhalten.
Abb.: Dr. Volker Ziegler und Archivarin Heike Sartorius – hier im Magazinbereich des Kreisarchivs des Enzkreises – haben sich um die Erschließung des interessanten Aktenbestandes der Ausgleichsämter gekümmert (Bild: Enzkreis; Fotografin: Nicole Sickinger)
Die Unterlagen, die im Jahr 2016 zur dauernden Aufbewahrung an das Kreisarchiv abgegeben worden waren, stammen aus dem Zeitraum ab den 1940er Jahren bis etwa 1975. Dabei handelt es sich vor allem um Akten zur Entschädigung von Kriegssachschäden, die in Enzkreis-Gemeinden entstanden, aber auch zu Aufbaudarlehen für die gewerbliche Wirtschaft, freie Berufe und die Landwirtschaft, die einen Blick in die Maßnahmen des Wiederaufbaus ermöglichen. Sehr umfangreich sind die Teilbestände der Flüchtlingsausweise mit Antragstellern aus den Ausgleichsämtern der Landkreise Leonberg, Pforzheim und dem Enzkreis. „Weniger umfangreiche, aber nicht weniger wichtige Unterlagen wurden zum Beispiel zum Soforthilfegesetz, zum Häftlingshilfegesetz und Kriegsgefangenen-Entschädigungs-gesetz sowie zum Währungsausgleich für Sparguthaben Vertriebener überliefert“, erläutert Sartorius, die die Erschließung des Aktenbestandes begleitet hat.
Bei der Auflösung des Ausgleichsamts 2015 gingen die Unterlagen zu Vertreibungsschäden an das Bundesarchiv, weshalb Teile aus Akten dafür herausgelöst wurden. So gelangte der Teil einer Akte, die den Vertreibungsschaden behandelte, an das Bundesarchiv nach Bayreuth; der andere Teil, der zum Beispiel das Aufbaudarlehen betraf und sich damit auf den aktuellen Wohnort des Heimatvertriebenen bezog, an die kommunalen Archive. Die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge finden im vorliegenden Archivbestand trotzdem einen gewissen Niederschlag, etwa bei den Aufbaudarlehen oder beim Währungsausgleich für Sparguthaben Vertriebener, vor allem aber bei den Akten zu den Flüchtlingsausweisen.
„Allerdings gibt es einen Wermutstropfen für alle, deren Interesse geweckt wurde, einmal im Archivbestand zu schnuppern: Die Einsichtnahme in die Unterlagen ist derzeit in den meisten Fällen nicht möglich. Das liegt daran, dass hier die vorgeschriebenen Schutzfristen für personenbezogenes Schriftgut noch nicht abgelaufen sind“, wie Sartorius betont. Die Erstellung eines Findbuches – auch zur Online-Recherche – sei jedoch geplant. Für Anfragen können sich Interessierte gerne per Mail an das Kreisarchiv wenden. Dort wird dann geprüft, ob in Ausnahmefällen ein Antrag auf Verkürzung der Schutzfristen gestellt werden kann.
„Wie aktuell Geschichte ist, zeigt heute das unfassbare Ausmaß an Zerstörungen von Gebäuden, Infrastruktur und vor allem an Menschenleben in der Ukraine“, so Heike Sartorius abschließend. „Bei Beginn der Aktenbearbeitung lag uns ein historischer Bestand vor, der uns aus der Vergangenheit erzählte. Nun, nach Ende der Erschließung, erfährt dieser Bestand eine Aktualität, die niemand erwartet und gewünscht hätte.“
Hintergrundinformationen zur Geschichte der Ausgleichsämter:
Auf Grundlage des Lastenausgleichsgesetzes von 1952 bildeten sowohl die Stadt Pforzheim als auch der damalige Landkreis Pforzheim zunächst eigene Ausgleichsämter, die unabhängig voneinander existierten. Auch die Kreisverwaltungen Calw, Leonberg und Vaihingen richteten Ausgleichsämter ein. Im Zuge der Kreisreform 1973 wurde der ehemals badische Landkreis Pforzheim aufgelöst und unter Eingliederung von Gemeinden aus den einst württembergischen Landkreisen Calw, Leonberg und Vaihingen der größere Enzkreis gebildet. In diesem Zusammenhang wurden Akten aus den aufgelösten Ausgleichsämtern Calw, Leonberg und Vaihingen in das Ausgleichsamt des Enzkreises übernommen.
1976 erfolgte die Zusammenlegung des Ausgleichsamtes des Enzkreises mit dem des Stadtkreises Pforzheim zum „Gemeinsamen Ausgleichsamt für die Stadt Pforzheim und den Enzkreis“, das seither bei der Stadtverwaltung untergebracht ist. Dieses wiederum wurde zum 31. Dezember 2015 aufgelöst, die Unterlagen an verschiedene Stellen – darunter auch das Kreisarchiv – abgegeben und eine Abwicklungsstelle beim Jugend- und Sozialamt der Stadt Pforzheim eingerichtet.
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