Das Stadtarchiv Regensburg wird um einen Schatz reicher. Als Schenkung erhält das Gedächtnis der Regensburger Stadtgesellschaft einen Koffer, der über sieben Jahrzehnte hinweg unbeachtet auf einem Dachboden im niederbayerischen Hauzenberg lag. Darin befinden sich persönliche Unterlagen der jüdischen Regensburger Familien Brandis und Holzinger, die während der NS-Zeit enteignet und 1942 ins jüdische Ghetto Piaski (Generalgouvernement, heute Polen) deportiert wurden. Die Familie Brandis besaß zuvor in der Regensburger Maximilianstraße ein großes Textilgeschäft.
Abb.: Im Koffer befinden sich auch Reise-Pässe und Geburtsurkunden der deportierten Familie (Foto: Bilddokumentation Stadt Regensburg)
Vor ihrer Deportation hinterlegten die Familien einen großen Lederkoffer mit verschiedenen Familien- und Geschäftsdokumenten offenbar bei ihrer Angestellten Fanny Hartl, die die Unterlagen für sie verwahren sollte. Zu einer Rückgabe kam es aufgrund des Todes aller deportierten Familienmitglieder aber nicht mehr.
Der Koffer mit dem geschichtlich wertvollen Inhalt überdauerte den Krieg und verblieb auf einem Dachboden in Hauzenberg, wo ihn der BR-Journalist und Autor Thomas Muggenthaler schließlich nach längerer Recherche aufspürte (siehe seinen Bericht im BR).
Mit der heutigen Eigentümerin Jutta Koller, einer Nichte Fanny Hartls, war sich Muggenthaler schnell einig, dass der Koffer samt Inhalt als einmaliges Zeugnis der jüdischen Regensburger Geschichte an das Regensburger Stadtarchiv abgegeben werden sollte, damit die Dokumente für künftige Generationen erhalten und für die Öffentlichkeit aufgearbeitet werden können. Neben Geschäftsunterlagen, Briefen, Postkarten und privaten Familienfotos befinden sich unter anderem auch zwei Schreiben von Alice Brandis an Fanny Hartl aus Piaski im Koffer. In diesen bitte sie Fanny darum, ihnen Lebensmittel, Wäsche und Zahncreme ins Ghetto zu schicken.
Abb.: Zwei Schreiben von Alice Brandis an Fanny Hartl aus dem Ghetto mit der Bitte um Lebensmittel und Dinge für den täglichen Gebrauch (Foto: Bilddokumentation Stadt Regensburg)
„Solche Unterlagen aus privater Hand, die überraschend zu uns kommen, sind für das Stadtarchiv ein echter Glücksfall. Sie ergänzen auf geradezu ideale Weise das bereits digitalisierte Archiv der jüdischen Gemeinde“, so Archivleiter Lorenz Baibl.
Nach der Befreiung des Ghettos wurde das Unfassbare bald Gewissheit. Die Familie Brandis hatte, als es noch möglich gewesen wäre, zu lange gezögert auszuwandern. Offenbar versuchte Hedi Rossmann, eine Freundin von Alice Brandis, noch 1941 die Familie in die USA zu holen. In einem Brief, der ebenfalls in diesem Koffer liegt, schreibt Hedi Rossmann 1947 an Fanny Hartl:
Nach langen Mühen war es mir gelungen, eine Bürgschaft für alle Brandis aufzutreiben – man findet nicht leicht jemand, der für sechs Personen gutsteht, dass sie dem Staat nicht zur Last fallen werden. Es war aber leider zu spät – der Krieg kam, die Verbindung war abgeschnitten. Mir war es auch eine Hoffnung gewesen, dass man vielleicht durch irgendein Wunder wenigstens von diesen lieben, so herzensguten Menschen etwas hören würde – aber nun ist so viel Zeit verstrichen, dass man wohl die Hoffnung aufgeben muss.
Auch bei den Verwandten der Familie Brandis ist die Hoffnung auf ein Wiedersehern bald geschwunden. 1947 schrieb Neffe Ernst Holzinger, der mit seinen beiden Schwestern noch emigrieren konnte, aus Tel Aviv an Fanny Hartl nach Hauzenberg:
Über die Familie Brandis haben wir leider nie mehr wieder etwas gehört und die Hoffnungen sind geschwunden, denn jeder Gerettete hat einen Weg gefunden, sich irgendwo zu melden. Es ist eine sehr traurige Angelegenheit. Lotte wäre jetzt 21 Jahre alt, was für eine Pracht von einem Mädel. Wir dürfen alle nicht daran denken.
Ernst Holzinger hat Fanny Hartl nach dem Krieg ein paarmal in Niederbayern besucht, aber den Koffer, den Jutta Koller nun dem Regensburger Stadtarchiv übergeben hat, hatte er nie mitgenommen.
Geplant ist, den Koffer samt Inhalt im Stadtarchiv Regensburg aufzubereiten und künftig in der Archivpädagogik und historischen Bildungsarbeit einzusetzen. „Mit diesen Dokumenten lassen sich persönliche Schicksale während der NS-Zeit ganz plastisch vermitteln und so auch neue Zugänge für Schülerinnen und Schüler eröffnen“.
Kontakt:
Stadtarchiv Regensburg
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93047 Regensburg
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Fax (0941) 507-4458
stadtarchiv@regensburg.de
Quelle: Lorenz Baibl und Claudia Biermann: Ein Koffer voller Erinnerungen, in: regensburg 507 – das Online-Magazin aus dem Rathaus, 30.6.2022; Thomas Muggenthaler: Koffer der jüdischen Familie Brandis an Stadtarchiv übergeben, in: „Hier ist Bayern“ BR24 Newsletter, 29.6.2022 (Sendung: Regionalnachrichten aus der Oberpfalz vom 29.06.2022 – 15:00 Uhr); Stolpersteine Regensburg: Familie Brandis – Maximilianstraße 16