Fotos von herausragenden Kunstschätzen im Stadtarchiv Reutlingen

Mit etwa einer halben Million Einzelbildern besitzt das Stadtarchiv Reutlingen eine der großen kommunalen Fotosammlungen in Deutschland. Viele Teile des Bestandes sind kaum oder gar nicht erforscht. So auch bis vor kurzem eine Fotodokumentation des Fotografen Carl Näher (1901-1981) über geschichtsträchtige Kunstwerke, deren Bedeutung aber inzwischen entschlüsselt ist.


Abb.: Anke Bächtiger, Volker Lässing und Stadtarchivleiter Dr. Roland Deigendesch mit den Fundstücken aus dem Stadtarchiv Reutlingen (Foto: Stadt Reutlingen).

Im Sommer 1942 erreichte ein Transport mit zahlreichen Kisten die Burg Hohenzollern. Darin befanden sich herausragende Kunstschätze aus Kölner Museen, Skulpturen und Gemälde von der Romanik bis zur klassischen Moderne, die vor der Zerstörung des Zweiten Weltkrieges geschützt werden sollten. Unmittelbar nach Kriegsende interessierte sich der neu eingesetzte Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer dafür, der die Werke zurück in seine Stadt holen wollte. Zur gleichen Zeit tauchten französische Experten für Raubkunst auf der Burg auf – es gab berechtigte Hinweise, dass unter den Kunstschätzen aus Frankreich entwendete Stücke waren. Bevor die Kunstwerke zurück nach Köln beziehungsweise in ihre französische Heimat gelangten, wurden sie zunächst in Tübingen gezeigt. Der Reutlinger Fotograf Carl Näher bekam 1946 den Auftrag, die Kunstschätze für die Ausstellung „Meisterwerke aus den Kölner Museen“ zu dokumentieren.

Der Buchautor Volker Lässing aus Albstadt ist dieser kaum bekannten Geschichte auf die Spur gekommen und entdeckte bei seinen Recherchen ein Glasplattenkonvolut im Bestand des Fotografen Näher im Reutlinger Stadtarchiv, das bislang nicht zugeordnet werden konnte. Die Glasplatten zeigen in beeindruckender Qualität Fotos der Werke international renommierter Künstler wie van Gogh, da Vinci oder Renoir.


Abb.: Ausschnitt aus dem Buchtitel von Volker Lässing: „Das Kunstdepot auf der Burg Hohenzollern. Wie Kunstschätze aus drei Kölner Museen den Krieg überlebten“, 2022, 108 S. (ISBN: 9783939219040). – Volker Lässing studierte Betriebswirtschaft in Nürnberg und Mannheim. Bis zu seiner Pensionierung war er an der Walther-Groz-Schule in Albstadt tätig. Lässing publizierte bislang unter anderem über die „Kaiser-Wilhelm-Institute und ihre Nobelpreisträger in Hechingen, Haigerloch und Tailfingen“. Sein neues Buch über das Kunstdepot auf dem Hohenzollern erschien zu Jahresbeginn 2022.

„Manchmal kann man erst nach Jahren oder Jahrzehnten erschließen, was da eigentlich im Archiv schlummert“, freut sich Reutlingens Kulturamtsleiterin Anke Bächtiger über die neuen Kenntnisse über die Fotodokumentation. Das Glasplattenkonvolut von Näher sei zwar bekannt gewesen, dass sie die Kunstausstellung in Tübingen zeigen jedoch nicht, ergänzt Stadtarchiv-Leiter Dr. Roland Deigendesch. Auch ein Auftragsbuch Nähers, in dem Namen wie van Gogh oder da Vinci auftauchten, konnte im Archiv zunächst nicht zugeordnet werden. Erst mit den Recherchen von Volker Lässing wurde die Bedeutung der Fotodokumentation klar. Für Anke Bächtiger ein echter Mehrwert: „Es ist immer gut, wenn wir Stücke aus unserem Stadtarchiv erschließen und zuordnen können.“ So seien auf Grundlage der neuen Erkenntnisse beispielsweise tiefergehende Forschungen denkbar. Bis dahin verbleiben die Stücke sicher verwahrt im Stadtarchiv.

Video: RTF.1-Nachrichten: Fotobestand Stadtarchiv Reutlingen, 10.12.2014

Wer war Carl Näher?
Seit 1925 betrieb der Fotograf Carl Näher (*1901 in Straßburg, + 1981 in Reutlingen) gemeinsam mit Arnulf Schweyer die Lichtbild- und Verlagsanstalt Schweyer & Näher in der Kanzleistraße 9. Nähers Schritt in die Selbstständigkeit erfolgt vier Jahre später. Mit Platten- und Kleinbildkamera fotografierte er in Reutlingen und auf der Schwäbischen Alb, Motive aus dem Schwarzwald, den Alpen oder vom Bodensee kamen ebenso in den Kasten. Private Feiern, detaillierte Firmenporträts, in Szene gesetzte Postkartenmotive: Nähers Repertoire passte sich der Nachfrage des Marktes an und war entsprechend breit gefächert. Bald war er auch bei aktuellen Ereignissen im Einsatz, die er als Reportagefotograf dokumentierte. Seine Aufnahmen aus der Zeit des Nationalsozialismus sind heute wertvolle Bildquellen.

Kontakt:
Stadtarchiv Reutlingen
Marktplatz 22
72764 Reutlingen
Tel.: 07121-303-2386
Fax: 07121 / 303-2758
stadtarchiv@reutlingen.de
https://www.reutlingen.de/stadtarchiv

Quelle: Stadt Reutlingen, Neues, 21.3.2022; Stadtarchiv Reutlingen: Der Fotograf Carl Näher – Fotografien von 1934 – 1952; SWR aktuell, 18.3.2022; Regionalfernsehen RTF1: 330.000 Bilder des Fotografen Carl Näher dokumentieren Reutlinger Stadtgeschichte, 10.12.2014.

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