Was können Fotografien – historische wie zeitgenössische – über das Kleinbasel erzählen, über die Menschen, die hier wohnen und arbeiten? Diesen Fragen spürt die Ausstellung «Kleinbasel» nach, die seit dem 19.3.2022 im Ausstellungsraum BelleVue (Breisacherstrasse 50, Basel) zu sehen ist. Es ist die zweite Ausstellung in einer vierteiligen Reihe, die das Staatsarchiv Basel-Stadt in Kooperation mit dem Verein BelleVue – Ort für Fotografie realisiert (Ausstellungsflyer).
Abb.: Das ganze Leben auf Ansichtskarten – Richard Spillmann, «Klein-Basel». Gebr. Metz, Kunstverlagsanstalt, Basel; gel. 12.8.1902(Foto: Staatsarchiv Basel-Stadt).
Kleinbasel (früher: „minderes Basel“) wird der rechtsrheinische Teil der Schweizer Stadt Basel genannt. Das Kleinbasel umfasst die Kleinbasler Altstadt und einige Quartiere. Das Kleinbasel galt als Stadtteil der „einfachen Leute“, während die Basler Oberschicht in Grossbasel residierte. BelleVue hat vier FotografInnen beauftragt, eine aktuelle Arbeit mit jeweils eigenem Fokus auf das Kleinbasel zu realisieren. Maria Patzschke berichtet in einer Art fotografischem Tagebuch über Alltagssituationen, die sie zufällig angetroffen hat. Ursula Sprecher und Viviane Herzog präsentieren in Bild und Text Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, die in diesem Stadtteil zu Hause sind. Roland Schmid zeigt das Kleinbasel bei der Arbeit und Christian Jaeggi setzt sich mit den Grün- und Erholungsräumen auseinander. Zusätzlich haben zwei Klassen aus dem Bläsi- und dem Sandgrubenschulhaus Fotoarbeiten entwickelt.
Den zeitgenössischen Bildern stehen in der Ausstellung historische Fotografien aus dem Staatsarchiv Basel-Stadt gegenüber. Die vom Staatsarchiv ausgewählten Straßenansichten, Porträts und Baustellenbilder aus den 1880er- bis 1920er-Jahren veranschaulichen, welche fotografischen Zeugnisse überliefert sind. Eine Bildanimation, Fotoalben und eine Installation laden ein, sich in die Details zu vertiefen und überraschende Entdeckungen zu machen. Richard Spillmann bietet mit einer Auswahl alter Ansichtskarten aus seiner privaten Sammlung weitere Einblicke in das frühere Kleinbasel und in ein Bildmedium, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen rasanten Aufschwung erlebte.
Ausstellungsflyer: Dank des fotografischen Blickes auf einzelne Menschen, Straßen und Plätze und den interessanten Bezügen zwischen der historischen und der zeitgenössischen Fotografie macht die Ausstellung nicht nur ein Stück Kleinbasler Alltag sichtbar, sondern öffnet auch neue Blickwinkel auf das Altbekannte. Eine Einladung zum Hinsehen, Entdecken und Nachdenken, aber auch zu eigenen Streifzügen durch die Stadt.
Mehrere Millionen historischer Fotografien bewahrt das Staatsarchiv Basel-Stadt auf. Wie viele davon Ereignisse, Gebäude oder Menschen aus Kleinbasel abbilden, lässt sich unmöglich sagen. Der Blick in die Bildersammlung macht hingegen eines klar. Um zu erahnen, was für Fotografien überliefert sind und in welcher Menge, muss man die Logik historischer Bildproduktion verstehen. Bevor Fotografieren zum Volkssport wurde, dominierte der Berufsfotograf. Wer es sich leisten konnte, ließ sich im Studio porträtieren. Markante Stadtansichten wurden auf Postkarten verbreitet; der moderne Staat liess Schulhäuser und Brückenbauten als Fortschrittsdokumentationen festhalten. Medizin und Polizei vermaßen die Menschen mittels Fotografie. So taucht Basels nördlicher Stadtteil mit seiner Bevölkerung zwar immer wieder auf Fotografien auf, aber auch immer wieder nur als Randthema.
Fotografische Dokumentationen von Arbeit und Alltag gab es im 19. Jahrhundert bereits, allerdings nicht für Basel. Erst ab den 1920er-Jahren rückten diese Themen auch hier in den Fokus der Fotografierenden. Die neu entwickelte Kleinbildkamera mit Rollfilm ermöglichte mobile, schnelle Aufnahmen. Bis dahin dominierten die Grossbildkameras mit Glasplatten- und Filmnegativen und entsprechend statischen Aufnahmen. Bewusst zeigt die Ausstellung «Kleinbasel» nur Fotografien aus dem Zeitraum der 1880er- bis 1920er-Jahre, sozusagen aus der Jugendzeit des Mediums Fotografie. Die Begrenztheit und Fremdheit dieser Bilder bietet eine gute Gelegenheit, das Lesen von historischen Fotografien zu lernen.
Für die Ausstellung «Kleinbasel» wird an einzelnen Beispielen erlebbar, was und wie viel historische Fotografie erzählen kann. Eine Fotografie sagt nur dann mehr als tausend Worte, wenn man ihr Fragen stellt. Was ist im Detail zu sehen? Was wird nie sichtbar? Worauf richtete der Fotograf seinen Fokus – und was für Informationen verbergen sich am Bildrand? Die Ansicht einer Gasse war einst als Postkarten-Vorlage fotografiert worden. Dem neugierigen Auge einer heutigen Betrachterin kann sie ungewollt vieles erzählen: zum Beispiel über die Sichtbarkeit von weiblicher Arbeit oder über die weltweite Vernetzung der Kleinbasler Wirtschaft.
Und wie kam es zu dieser Ausstellung? Basel ist reich an Fotografie, aktueller wie historischer. Aber ist dieser Reichtum auch öffentlich bekannt, wird er genutzt? Da besteht Vermittlungsbedarf, meinten 2018 drei Organisationen, die sich mit Fotografie befassen: die Christoph Merian Stiftung, BelleVue – Ort für Fotografie und das Staatsarchiv Basel-Stadt. Auf Anregung der Stiftung entstand die Idee, im gemeinsamen Projekt «Im Bild – Archivierte und zeitgenössische Fotografie im Dialog» historische Fotografien mit heutigen zu kombinieren. Das sollte eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Medium Fotografie und mit aktuellen Fragen ermöglichen. «Kleinbasel» ist die zweite Ausstellung der vierteiligen Projektreihe «Im Bild».
Info:
Ausstellungsraum BelleVue
Breisacherstrasse 50
4057 Basel
19. März bis 26. Juni 2022
Öffnungszeiten: Samstag und Sonntag, 11 bis 17 Uhr
Führungen auf Anfrage: info@bellevue-fotografie.ch
Kontakt:
BelleVue – Ort für Fotografie
Breisacherstrasse 50 (im Hinterhof)
4057 Basel
info@bellevue-fotografie.ch
www.bellevue-fotografie.ch
Kanton Basel-Stadt
Staatsarchiv Basel-Stadt
Martinsgasse 2
4001 Basel
Telefon +41 61 267 86 01
Telefax +41 61 267 65 71
stabs@bs.ch
https://www.staatsarchiv.bs.ch
Quelle: Kanton Basel-Stadt, Pressemitteilung, 18.3.2022; Daniel Hagmann, Kleinbasel im Blick, Blog Staatsarchiv Basel-Stadt, 14.3.2022; Daniel Hagmann, Neue Fragen an alte Bilder, Blog Staatsarchiv Basel-Stadt, 21.3.2022; Art. Kleinbasel, in: Wikipedia, 5.2.2022; BZ Basel, 23.3.2022