Das Landgericht Koblenz hat in einem kürzlich ergangenen Urteil (Az. 10 O 123/21) entschieden, dass das Archiv der in der NS-Zeit verfolgten Zeugen Jehovas-Familie Kusserow aus Bad Lippspringe nicht an diese zurückgeht. Laut Bericht der Deutschen Presseagentur bleiben die Dokumente damit im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden.
Zwei Söhne der Bad Lippspringer Familie sind im Nationalsozialismus hingerichtet worden. Eine Schwester hatte dies im Familienarchiv dokumentiert und testamentarisch verfügt, dieses an die Glaubensgemeinschaft zu übergeben. In 31 Ordnern befinden sich unter anderem Zeichnungen, Todesurteile und Abschiedsbriefe. Zur Zeit ihres Todes (2005) befand sich das Archiv aber im Besitz eines weiteren Bruders, der es für 4.000 Euro an die Bundesrepublik Deutschland verkaufte. Zuvor hatte der Bruder über das Schicksal seiner Angehörigen das Buch „Der lila Winkel – Die Familie Kusserow“ veröffentlicht.
Die Mitglieder der Familie Kusserow waren in den zwölf Jahren des NS-Regimes zu insgesamt 47 Jahren und 9 Monaten Haft verurteilt worden. Mit Wilhelm (1940) und Wolfgang Kusserow (1942) wurden zwei Söhne als Kriegsdienstverweigerer im Alter von 25 beziehungsweise 20 Jahren hingerichtet. Vater Franz und Sohn Karl-Heinz Kusserow starben nach der Befreiung an den Haftfolgen.
Abb.: Gedenktafel für Wilhelm Kusserow in Münster (Autor: Seiduselbst; CC BY-SA 4.0, File:Kusserow Gedenktafel.jpg; Erstellt: 11. Mai 2015, 07:10:09)
Seit 2009 befindet sich das Archiv im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden. Da der Käufer „gutgläubig“ davon ausging, dass der mittlerweile ebenfalls bereits verstorbene Verkäufer auch wirklich der Eigentümer des Archivs war, bleiben die Schriftstücke jetzt im Museum. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Bad Lippspringer Familie hat Berufung eingelegt. Der 90-jährige Paul-Gerhard Kusserow – jüngster und einziger noch lebender Sohn der Familie – hat eine klare Meinung zum Verbleib seines Familienvermächtnisses. „Meine Brüder sind dafür gestorben, dass sie den Wehrdienst verweigert haben. Ich finde es nicht korrekt, dass dieses Erbe in einem Militärmuseum verwahrt wird.“
Info:
Hans-Werner Kusserow: Der lila Winkel. Die Familie Kusserow – Zeugen Jehovas unter der Nazidiktatur. Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn 1999, 311 S., geb.
Quelle: dpa-infocom, dpa:220118-99-756820/3; Die ZEIT, 18.1.2022; Radio Hochstift, News, 19.1.2022; Jehovas Zeugen, Pressemitteilung, 30.12.2022; Stolpersteine Bad Lippspringe: Familie Kusserow, 2020
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