Und anderes Interessantes in den „Archivalien des Monats“ des vergangenen Jahres.
Amtswechsel in Führungsfunktionen markieren überall Einschnitte für eine Verwaltung wie für die von ihr Verwalteten, von den einen erhofft und von anderen gefürchtet. Aber oft sind sie auch Gelegenheiten, hinter die Kulissen zu sehen und Entdeckungen zu machen, zumal für das zuständige Archiv. Das kann Schmerzen bereiten oder Überraschungen bieten, wie Dr. Wolfram G. Theilemann, der Leiter des Stadtarchivs Nordhausen/Harz, in seinem aktuellen Beitrag „Amtswechsel im Nordhäuser Rathaus vor 130 Jahren: eine Zuwachschance für das Stadtarchiv!“ zur städtischen Webseiten-Rubrik „Archivale des Monats“ darlegt:
Denn bei Amtswechseln geht es nicht immer so zu, dass die scheidenden Chefs sagen: ‚Alles ist in den Akten, meine Schubläden sind leer!‘– und das dann auch stimmt. Gelegentlich dürfte es so sein wie z.B. beim Wechsel im Bundeskanzleramt 1998/1999: Ein Neuer zieht ein und findet, der Alte habe rechtzeitig „putzen“ d.h. heikle Akten vernichten lassen oder verlegt oder vergessen oder „eigentlich seien das ja alles private Unterlagen gewesen“… Schließlich passiert es auch, daß das Archiv ins Chefbüro am letzten Arbeitstag gerufen wird und hört: ‚Diesen Schrank habe ich so übernommen. Ich habe nie richtig hineingesehen, alles alte Sachen. Die können Sie jetzt wegräumen!‘ In Nordhausen war das vor 130 Jahren fast genauso, findet sich aber in keiner Chronik.
Abb.: Das kaiserliche Siegel aus 1541 für die Gewährung des reichsstädtische Anliegens (Sign.: StadtA NDH-1.1.-I-A-50) (Foto: Stadtarchiv Nordhausen/Harz)
Am 1.9.1892 hatte der bisherige 1. Nordhäuser Bürgermeister Karl Hahn (1846-1899) sein neues Wahlamt als Oberbürgermeister in der heutigen Partnerstadt Bochum angetreten. Daher unternahm der ihn vertretende 2. Bürgermeister Paul Friedrich Lemcke (1850-1909) – ein königlich preußischer Divisionsintendant a.D. – in den darauffolgenden Tagen eine gründliche „Durchsuchung des [Alten] Rathauses“. Im Ergebnis konnte er am Nachmittag des 14.10.1892 dem Stadtarchivar Hermann Heineck (1860-1930) einen „sehr wertvollen Fund“ übergeben, worüber dieser in der Nordhäuser Zeitung vom 15.10.1892 berichtete. Bürgermeister Lemcke hatte „in einem jedenfalls seit vielen Jahren verschlossenen, und nun aufgebrochenen Kasten in dem derzeit unbesetzten Zimmer des Ersten Bürgermeisters“ eine Kaiserurkunde und vier „umfangreiche Schriftwerke“ gefunden. Wie man bei näherem Hinsehen feststellte, hatten – wenig überraschend – Streit in der Einwohnerschaft, Finanznöte und Steuererhebungen, Ämterkonkurrenz und bürokratischer Zugriff auf die reichsstädtische Bürgerschaft viel spannendes Schriftgut hervorgebracht, das aber jahrzehntelang im Schrank vergessen gewesen war.
Archivar Heineck stufte den Fund als „einen äußerst werthvollen Zuwachs unseres städtischen Archives“ ein. Nachdrücklich drückte er abschließend seine Hoffnung aus, vielleicht berge „unser altes Rathaus bei genauer Durchforschung noch mehr dergleichen.“ Seine Hoffnung trog nicht, dieser Fund blieb nicht allein. Denn von den Zeiten Ernst Günther Förstemanns (1788-1859) und noch bis in die Jetztzeit wurden immer wieder einmal in städtischen Amtsgebäuden (Böden oder Kellern) ‚vergessene Akten‘, Amtsbücher, Sammelakten u.a. gefunden oder gar ‚gerettet‘. Sie hatten durch Personalwechsel, Raumnöte und äußere Einwirkungen nicht rechtzeitig den Weg ins Stadtarchiv gefunden. Manche historisch wichtige Unterlage überlebte jedoch nicht, aus Gründen, die u.a. im Beitrag „Stadtarchiv im „Stresstest“ – für die Nachwelt“ (Archivale des Monats Juli 2021) behandelt werden:
Die Überlieferung Nordhäuser Persönlichkeiten oder Firmen im Stadtarchiv Nordhausen ist äußerst dünn. Das erklärt sich nicht nur durch den Verlust im Bombenhagel 1945, die Flucht nach Westen oder den Entsorgungseifer vieler um1990/1991. Auch Erben sind oft überfordert, wenn ihnen bewusst wird, was die Elterngeneration aufbewahrt hat – und was nun sie ‚entsorgen‘ sollen. Oder aber es geht einer Verwaltung, einer Sammlerin oder einem Liebhaber etwas daneben, weil Kraft, Zeit und Mittel zur Unterbringung fehlen.
Abb.: Kontaminiertes Schriftgut aus Familien- und Firmenbesitz, das das Stadtarchiv Nordhausen Mitte 2021 übernahm (Fotos: Stadtarchiv Nordhausen)
Ende Juni 2021 war es wieder soweit: Bei Gefahr im Verzug muss bröselndes oder gar schimmelverseuchtes Schriftgut aus verstaubten, oft auch feuchten Kellern oder Dachböden geborgen und konservatorischer Rettung für die Nachwelt zugeführt werden. Im vorliegenden Fall durfte das Stadtarchiv Nordhausen davon ausgehen, dass die Sterilisation und Reinigung der nur 1,5 laufenden Meter stark verschimmelten Schriftgutes etwa 2.000 Euro inkl. Mehrwertsteuer kosten würden. Zunächst galt es zu klären, ob es durch Routine, ohne Gesundheitsgefährdung und mit ‚Bordmitteln‘, gelingen wird, diese wertvollen Nordhäuser Familien- und Firmenunterlagen aus dem späten 19. Jahrhundert an eine Fachfirma zur konservatorisch unverzichtbaren „Entwesung“ zu übergeben.
Das seit Ende Juni 2021 von den Archivmitarbeitern, allen voran Michael Schütze, in schubweisen Tageseinsätzen zunächst geborgene und vorsortierte Schriftgut wurde am 6.10.2021 mit Hilfe der Berufsfeuerwehr Nordhausen ins Stadtarchiv überführt. Gut 4 Kartons davon waren schwer vom Schimmel befallen (s. Fotos oben). Sie konnten durch einen Schnelleinsatz einer Restaurierungsfirma und freigegebene Haushaltsmittel komplett gereinigt werden und sind mittlerweile wieder im Archiv.
Abb.: Die gereinigte Unterlagen nach der Rückkehr aus der von der Stadt Nordhausen kurzfristig beauftragten Fachfirma, Herbst 2021 (Foto: Stadtarchiv Nordhausen).
Der Aktenbestand stammt vom Nordhäuser Kornbrenner, Eisproduzenten und Heimatforscher Hans Dieter Werther, der nach eingehenden Gesprächen und vertraglicher Regelung begann, sein Familienarchiv sowie das berufliche wie schriftstellerische Lebenswerk an das Archiv der Stadt Nordhausen zu übergeben. Es handelt sich um den bis dato größten und einen der reichhaltigsten Vorlässe aus privater Hand zur Nordhäuser Wirtschafts-, Familien- und Stadtgeschichte. Die Abgabeliste umfasste fast 1.380 vorläufige Signaturen, die in 94 Umzugskartons lagen und die jetzt 67 laufende Meter in der Hauptgruppe „Personalia“ (8.) des Stadtarchivs Nordhausen belegen.
Die vollständigen Beiträge sowie eine Übersicht über die Kategorie „Archivale des Monats“ des Stadtarchivs Nordhausen findet man hier.
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Quelle: Stadtarchiv Nordhausen, Archivale des Monats, 14.1.2022 (Auszug); Stadtarchiv Nordhausen, Archivale des Monats, 20.12.2021 (Auszug); Stadtarchiv Nordhausen, Archivale des Monats, 5.7.2021 (Auszug)