„Wie wir bereits ausführlich berichteten, rüsten seit Wochen fünf junge Traunsteiner zu einer großangelegten Kundfahrt in den Hindukusch. Nun ist es so weit, sie sind unterwegs. Am Mittwoch stellten sie sich noch einmal dem Fotografen, und am gleichen Tag ging es los. Erstes Ziel ist Jugoslawien, dann geht’s durch Griechenland und über den Bosporus, durch die Türkei, nach Persien und von dort zum Ziel in Afghanistan. […] Kabul ist die letzte größere Stadt, bis die fünf jungen Traunsteiner die Fahrt in die Wildnis des Hindukusch-Gebirges wagen. Sie sind in ihren [sic] Volkswagen-Bus gut ausgerüstet. Als sie am Mittwoch Traunstein verließen, erregte der vollgepackte Bus Aufsehen, schon durch die Aufschrift: ‚Traunsteiner Hindukusch-Expedition‘. Alsdann ‚Gute Fahrt‘ […].“ So stand es vor sechzig Jahren, am 7. Juli 1961, im Traunsteiner Wochenblatt zu lesen.
Abb.: Die Teilnehmer (von links) Fritz Wagnerberger (†), Karl Brenner, Dietrich von Dobeneck (†), Otto Huber und Karl Winkler (†) vor dem Haus der Familie Dobeneck in Haslach, das „der Dietrich regelmäßig in ein ‚Expeditions-Basislager‘ verwandelte – geduldet von der toleranten Familie von Dobeneck“, so Otto Huber (Foto: Stadtarchiv Traunstein)
Zum 60. Mal jährt sich 2021 diese „Traunsteiner Hindukusch-Expedition“, und man darf sie mit Fug und Recht als „legendär“ bezeichnen. Einer der Teilnehmer war Dietrich von Dobeneck, der am 21. März 2021 verstorbene honorige Mäzen des Traunsteiner Kulturlebens. Ein Teil seines Nachlasses fand den Weg in das Stadtarchiv Traunstein (vgl. Archivale des Monats Juni 2021), darunter auch ein Fotoalbum zu besagter Expedition. Die darin enthaltenen Bilder sind von beeindruckender Schönheit und hohem dokumentarischen Wert. Nachfolgend wird der einleitende Text zu diesem Fotobuch, verfasst von Otto Huber, einem weiteren Expeditionsmitglied, im Wortlaut (nur die Rechtschreibung wurde den heutigen Regeln angepasst) wiedergegeben, illustriert mit einigen wenigen ausgewählten Aufnahmen – alle wären es wert, hier gezeigt zu werden. Sie stammen von Karl Brenner und Fritz Wagnerberger, zwei weiteren Teilnehmern. Text und Bilder schildern eine beeindruckende, ja atemberaubende Landschaft mit freundlichen Bewohnern. Dies berührt umso mehr angesichts der gegenwärtigen politischen Situation in Afghanistan; ein Land, das weltmachtpolitische Interessen und religiöser Fanatismus an den Rand des Abgrunds geführt haben.
Am 5. Juli 1961 starteten fünf Mitglieder der Traunsteiner AV-Jungmannschaft, Karl Brenner, Fritz Wagnerberger, Karl Winkler, Dietrich v. Dobeneck und Otto Huber zur „Traunsteiner Hindukusch-Expedition. Mit zwei VW-Bussen erreichten wir nach 25-tägiger Fahrt durch Österreich, Jugoslawien, Griechenland, die Türkei und Persien Kabul, die Hauptstadt Afghanistans. Zahlreich waren die Pannen auf den zeitweise sehr schlechten Straßen, und einen Bus mussten wir 700 km vom Ziel entfernt mitten in der Wüste mit Motorschaden liegen lassen.
Abb.: Die Traunsteiner Hindukusch-Expedition 1961 (Foto: Stadtarchiv Traunstein)
Der Hindukusch, unser bergsteigerisches Ziel, liegt etwa 300 km nordöstlich von Kabul, entlang der Grenze nach Pakistan. Wir hatten in der Zwischenzeit unseren ursprünglichen Plan, von Süden her über den Anjuman-Pass vorzudringen, aufgegeben und wollten nun den ganzen Gebirgszug umfahren und von Norden durch das Kokča-Tal direkt in den Zentralhindukusch gelangen. Am 14. August erreichten wir Jurm, den Ausgangspunkt für unsere Expedition.
Unser Anmarschweg führte uns zuerst durch die wildromantische Kokča-Schlucht. Hoch über dem reißenden Gletscherfluss verlief ein kühn angelegter Steig nach Süden. Am Abend des 3. Tages erreichten wird das Bergwerk Sarsang. Hier, in 2500 m Höhe, werden die weltberühmten Lapislazuli, die blauen Halbedelsteine Afghanistans, gewonnen. Unter strenger Bewachung werden hier täglich bis zu 35 kg dieses wertvollen Steins gefördert. Trotz der Argusaugen des leitenden Ingenieurs gelang es uns, einige Splitter unbemerkt in der Hosentasche verschwinden zu lassen. Vier Tage marschierten wird durch die Kokča-Schlucht. Dann traten die steilen Felswände zurück und vor uns breitete sich das weite Munjan-Tal aus. Grüne Wiesen, weidende Kühe, Terrassenfelder und der ruhig dahinplätschernde Fluss ließen Erinnerungen an unsere heimatliche Bergwelt wach werden. Freundlich wurden wir von den Bewohnern der einsamen Bergdörfer empfangen.
Von den hohen Bergen sahen wir vorerst allerdings noch nichts. Über den 3200 m hohen Padjukan-Pass erreichten wir dann 2 Tage später das Dorf Deh-Ambi am Fuß des Zentralhindukusch. Das Dorf Deh-Ambi wurde zum Ausgangspunkt unserer Bergtouren. Tags zuvor hatten wir ein Hochtal erkundet, das uns für die Errichtung des Hauptlagers ganz geeignet erschien.
Mit Pferden war allerdings die untere Schlucht nicht zu begehen. Also zogen wir mit 13 Trägern los und schlugen auf einem der letzten Wiesenflecken in 3700 m Höhe unser Basislager auf. Schon am Abend des nächsten Tages standen unsere 2 Hochlagerzelte auf einem Gletscher in 4750 Meter Höhe. Rings um uns reckten sich die Gipfel der Achmed-Baba-e-Dewana-Kette bis 5800 m in den Himmel. Fast überall abweisende Hängegletscher, steile Felsgrate und unbegehbare Wandfluchten. Mit solch schwierigen Anstiegen hatten wir eigentlich nicht gerechnet.
Karl Winter, Fritz Wagnerberger und Karl Brenner begannen am nächsten Tag mit dem Aufstieg auf den 5620 m hohen Kollae Pierjach. Dietrich und ich wollten erst morgen nachfolgen. Den ganzen Tag konnten wir die Dreierseilschaft in der 600 m hohen Eiswand beobachten. Nur langsam kamen sie in dem blanken Eis voran. In 5400 m bezogen sie ihr erstes Biwak. Es wurde ein klare, kalte Nacht. Immer wieder mussten wir an die Kameraden denken, denn ein Biwak in solcher Höhe zählt nicht zu den erfreulichsten Dingen.
Am nächsten Tag brachen Dietrich und ich auf, um den etwas weiter östlich gelegenen Kollae Achmed Baba (5880) zu besteigen. Über einen Felssporn erreichten wir relativ leicht einen Eiswulst in etwa 5200 m Höhe. Mit Hilfe einiger Eishaken konnten wir den Wulst überwinden und kamen auf ein riesiges Büßerschneefeld. Mühsam arbeiteten wir uns dann durch die teilweise mannshohen Schneesäulen.
Die Luft wurde merklich dünn. Alle paar Meter blieben wir stehen um zu verschnaufen. Ein kurzer Felsgrat noch und dann standen wir auf unserem ersten Fünftausender. Wir mussten über eine ca. 400 m hohe Eiswand absteigen, wobei wir meist nur mit den vordersten Zacken unserer Steigeisen Halt fanden. Spät am Abend erreichten wir das Hochlager. Die anderen drei schafften den Abstieg an diesem Tag nicht mehr und mussten ein weiteres Biwak beziehen. Erst am nächsten Vormittag erreichten sie todmüde die Zelte. Im weiteren Verlauf gelang es uns noch, 5 Fünftausender der Achmed-Baba-e-Dewana-Gruppe zu besteigen. Für den Anfang war das sehr ermutigend.
Von der Achmed-Baba-Gruppe aus sahen wir weiter östlich 2 herrliche Berge stehen. Der elegante Doppelgipfel Sarguna und der wuchtige Klotz des Sakh-i-Kabud – beide über sechstausend. Am 30. August war erneut das Hauptlager errichtet. Im Darrah-i-Sahran stand es in 3700 m Höhe an einem wunderschönen Bergsee. Bereits am Tag darauf brachen wir mit 5 ausgesuchten Trägern auf und schlugen in 4500 m Höhe auf einer Felsterrasse unser Hochlager auf. Diesmal wollten wir auf dem Sattel zwischen den beiden großen Bergen in ca. 5100 m ein weiteres Hochlager errichten. Eine steile Eisrinne führte zu dem Sattel empor. Schon nach den ersten Metern mussten wir allerdings einsehen, dass wir mit unseren schweren Rucksäcken einfach nicht in der Lage waren, dieses teilweise blanke Eis-Coloir zu bewältigen. Nach kurzer Beratung beschlossen wir, auf ein zweites Lager zu verzichten und ein Biwak in großer Höhe zu riskieren. Diese Methode bewährte sich auch sehr gut. Noch am gleichen Tag stand wir um halb 6 Uhr abends nach teilweise schwieriger Kletterei auf dem 6060 m hohen Gipfel.
Beim Abstieg mussten wir einmal biwakieren und erreichten erst am Nachmittag des zweiten Tages wieder unser Hochlager. Am 5. September standen wir erneut auf dem 5100 m hohen Sattel. Die anstrengende Eisrinne lag bereits hinter uns. Diesmal wandten wir uns nach rechts, um den wuchtigen Sakh-i-Kabud über den Ostgrad anzugehen. Schon die Kletterei auf den ersten Vorgipfel (5650) ließ uns deutlich werden, dass dies unsere schwierigste Besteigung werden würde. Luftige Felsgrate, brüchige Bänder und Blankeisrinnen wechselten sich ab. Die Sonne war längst verschwunden, und wir hatten erst ca. zwei Drittel des Anstiegs geschafft. In der Scharte zwischen Kabud-Turm (5800 m) und dem Gipfelaufbau hakten wir in das Eis einen Biwakplatz, der gerade so groß war, dass wir sitzen konnten. Es wurde empfindlich kalt, doch die Gewissheit, morgen auf einem der höchsten Gipfel des Hindukusch zu stehen, bewahrte uns unsere gute Stimmung. Endlos dauerte die Nacht, im Osten, im Karakorum, wetterleuchtete es gespenstisch. Am nächsten Morgen machten wir uns mit steifgefrorenen Gliedern daran, die eigentliche Schlüsselstelle, einen ca. 150 m hohen Felspfeiler, anzugehen. Die Kletterei in knapp 6000 m Höhe (Schwierigkeitsgrad 4) war keine Kleinigkeit. Gegen Mittag erreichten wir die Schulter, von der ein Firngrat relativ leicht weiterführte. Um 2 Uhr nachmittags des 6. September standen wir auf dem 6100 m hohen Gipfel des Sakh-i-Kabud. Erst am Nachmittag des nächsten Tages erreichten wir wieder unser Hochlager. Insgesamt 57 Stunden hatten wir am Berg verbracht und unser einziger Wunsch war schlafen, schlafen und nochmals schlafen …
In der Zwischenzeit hatten sich leider die seit langem schwelenden Grenzstreitigkeiten zwischen Afghanistan und Pakistan verschärft und zum offenen Konflikt geführt. Uns traf dieser Streit insofern, als wir keine weitere Genehmigung zu Bergbesteigungen im Grenzgebiet mehr erhielten. Greifbar nahe stand im Südosten der wahrscheinlich letzte noch unbestiegene Sechstausender im Zentralhindukusch. Schweren Herzens mussten wir auf ihn verzichten.
Die fünf Bergsteiger erfüllten sich ihren Traum und fuhren mit ihrem VW Bus 7600 Kilometer weit bis zum Hindukusch. Einer der Abenteurer hatte auch eine Filmkamera dabei. 2013 wurden dessen Aufnahmen zum ersten Mal im Fernsehen gezeigt.
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Quelle: Stadtarchiv Traunstein, Archivale des Monats Oktober 2021; OVB online, 8.11.2013