Gelände des KZ Kemna auf dem Weg zu einem Erinnerungsort

Die Evangelische Kirche in Wuppertal ist Eigentümerin des Kemna-Geländes mit der ehemaligen Putzwollfabrik. Was hat sie mit dem ehemaligen KZ-Gebiet vor? Ein Interview mit Vortrag.

Wie kam es zu dem Kauf des Areals? Und wie soll das historische Grundstück an der Beyenburger Straße in Zukunft würdig gestaltet werden? Darüber sprachen die Wuppertaler Superintendentin Ilka Federschmidt und Michael Sengstmann, Vorsitzender des Gesamtverbandes der Gemeinden im Kirchenkreis Wuppertal, mit Antonia Dicken-Begrich, Mitglied der Kirchenkreis-Leitung.


Abb.: Das Gebäude des ehemaligen KZ-Kemna, 2007 (Foto: Frank Vincentz/wikimedia.org/CC BY-S)

An das Interview schließt sich ein Vortrag von Dr. David Mintert an, der sich im Rahmen seiner Dissertation ausführlich mit dem KZ Kemna beschäftigt hat: „Die Konstellation der doppelten Hochburg linker und rechter Anschauungen im Bergischen Land war der Hauptgrund, warum die politischen Auseinandersetzungen besonders erbittert und von brutaler Gewalt begleitet waren.“


Abb.: Im Gespräch: Michael Sengstmann, Antonia Dicken-Begrich, Ilka Federschmidt (v.l.; Foto: KK Wuppertal). Das gesamte Video-Statement findet man unter https://youtu.be/bobKg7IHLg0

Bewusste Kaufentscheidung
„Der Kauf des Geländes war ursprünglich reiner Zufall“, berichtet Michael Sengstmann. „Wir waren auf der Suche nach einer Industrieanlage, weil unser Kirchenarchiv in Ronsdorf aus allen Nähten platzte“, so der Vorsitzende des Gesamtverbandes der Gemeinden. Als feststand, dass die Adresse der angebotenen Immobilie genau die Adresse war, auf der sich das ehemalige KZ befand, auf dem die Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1934 ihre politischen Gegner gefoltert hatten, war die Entscheidung, dort einen Gedenkort zu errichten, schnell gefallen. „Wir haben das Gelände nicht trotz seiner Vergangenheit, sondern gerade wegen seiner Vergangenheit gekauft“, sagt Sengstmann als Eigentümer für den Gesamtverband der Gemeinden.

Kirche hat versagt
Für die Kirche ist das auch eine Chance, das Grundstück, das bisher durchgängig gewerblich genutzt wurde, umzugestalten. Mit Blick auf das Versagen der Evangelischen Kirche von damals sieht sich die Evangelische Kirche in Wuppertal heute nämlich in der Pflicht, dort einen Erinnerungsort zu errichten. „Diese Schuld kann man konkret an den beiden KZ-Seelsorgern festmachen, die zu den Deutschen Christen gehörten und die für eine Gleichschaltung von Kirche und Staat waren. Sie haben die Situation der Gefangenen als Gelegenheit gesehen, die aus ihrer Sicht auf den falschen Weg gebrachten Sozialisten zu missionieren, statt ihnen gegen die Misshandlungen beizustehen“, so Superintendentin Ilka Federschmidt. „Darum sind wir in der Pflicht etwas zu tun.“ Das begrüßt auch Dr. David Mintert zum Ende seines digital aufgezeichneten Vortrages: „Es ist gut, dass sich die Kirche heute dieser Verantwortung stellt.“

Zukünftig: Erinnerungsort und Archiv
Wie genau der Erinnerungsort aussehen soll, steht noch nicht fest. Derzeit führen Experten auf dem Gelände bauhistorische Untersuchungen durch (sog. Machbarkeitsstudie), um authentische Anknüpfungspunkte zu dem KZ von damals zu finden. „Unserer Vorstellung nach soll auf dem Gelände auch ein Lernort entstehen, bei dem das Thema Demokratie heute vermittelt werden soll“, so Federschmidt. Das wichtige Mahnmal für das KZ auf der gegenüberliegenden Straßenseite soll bei allen Überlegungen einbezogen werden, so die grobe Planung. Dafür wird die Evangelische Kirche Kontakt zu den jeweiligen Partnern aufnehmen.

Da das Gelände groß genug ist, soll auch das Kirchen-Archiv dort angesiedelt werden. Einen konkreten Zeitplan für die Umgestaltung gibt es allerdings noch nicht. „Es ist noch viel zu tun. Die Machbarkeitsstudie ist wichtig und richtig. Das geht nicht innerhalb eines halben Jahres über die Bühne“, sagt Michael Sengstmann.

KZ Kemna
KZ: Das Konzentrationslager Kemna bestand von Juli 1933 bis zum 19. Januar 1934. In eine ehemalige Putzwollfabrik an der Beyenburger Straße direkt am Wupperufer pferchte die SA die Gefangenen unter katastrophalen hygienischen Verhältnissen zusammen. Folter und willkürliche Gewalt waren an der Tagesordnung. Die Zahl der Inhaftierten im Laufe der sieben Monate dieses KZs wird auf 2500 bis 3000 geschätzt. Inhaftiert wurden in erster Linie sogenannte politische Häftlinge aus den Reihen der KPD und der SPD aus dem Bergischen Land.

Mahnmal: Zum 50. Jahrestag der Einrichtung wurde gegenüber dem Fabrikgelände 1983 ein Mahnmal errichtet, an dem jedes Jahr eine durch die Mitglieder des Jugendrings Wuppertal organisierte Kranzniederlegung stattfindet. Entworfen wurde das Bronze-Relief durch eine Kunst-Arbeitsgemeinschaft des Wuppertaler Gymnasiums Am Kothen. Im Jahr 2019 erwarb der Gesamtverband evangelischer Gemeinden im Kirchenkreis Wuppertal die baulichen Reste des ehemaligen KZ. (Quelle: wikipedia.de)

Kontakt:
Kirchenkreis Wuppertal
Kirchplatz 1
42103 Wuppertal
Tel.: 0202 94770-0
info@evangelisch-wuppertal.de
www.evangelisch-wuppertal.de

Quelle: Nikola Dünow, Kemna – Auf dem Weg zum Erinnerungsort, in: Evangelisch in Wuppertal, 5.7.2021

Stuttgarts Stadtarchivleiter in den Ruhestand verabschiedet

Nach 25 Jahren als Leiter des Stadtarchivs Stuttgart ist Prof. Dr. Roland Müller am 2.7.2021 vom Ersten Bürgermeister des baden-württembergischen Landeshauptstadt, Dr. Fabian Mayer, offiziell in den Ruhestand verabschiedet worden, der Ende September beginnt.


Abb.: Erster Bürgermeister Dr. Fabian Mayer (li.) hat den Leiter des Stuttgarter Stadtarchivs, Roland Müller (re.), im Innenhof des Stadtarchivs in den Ruhestand verabschiedet (Foto: Stadt Suttgart).

Die Verabschiedung war eingebettet in eine Tagung des Stadtarchivs Stuttgart zum Thema „Vernachlässigte Quellen? – Die visuelle Überlieferung der NS‐Diktatur in Archiven und ihre Erforschung“. Die Open‐Air‐Tagung im Innenhof des Stadtarchivs wurde möglich durch sinkende Infektionszahlen.

Erster Bürgermeister Dr. Mayer, zuständig für Allgemeine Verwaltung, Kultur und Recht, sagte: „Unter Professor Müllers Leitung hat sich das Stadtarchiv unter schwierigen Ausgangsbedingungen zu einem modernen Gedächtnis der Stadtgesellschaft entwickelt. Es hat frühzeitig die Herausforderungen der digitalen Revolution erkannt und als erstes deutsches Kommunalarchiv ein digitales Langzeitarchiv eingeführt.“

Prof. Dr. Müller zeigte sich dankbar, „dass wir uns als modernes, professionelles Gedächtnis der Stadtgesellschaft profilieren sowie als Kompetenzzentrum für Stadtgeschichte und Lernort etablieren und breit vernetzen konnten. Es wird eine Herausforderung bleiben, vor allem die Grundlagenarbeit und den methodischen Umgang mit der Stadtgeschichte zu behaupten.“

Die Laudatio hielt Dr. Ernst Otto Bräunche. Der ehemalige Leiter des Stadtarchivs Karlsruhe war Müllers Vorgänger im Amt des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Archive im Städtetag Baden‐Württemberg und ehemaliger Vorsitzender der Bundeskonferenz der Kommunalarchive beim Deutschen Städtetag. Müller habe seit 1996 als Nachfolger von Paul Sauer „Ansehen und Leistungsfähigkeit eines der großen Stadtarchive in der deutschen Archivlandschaft kontinuierlich vermehrt. Er war über 18 Jahre eine maßgebliche Stütze in der Bundeskonferenz der Kommunalarchive beim Deutschen Städtetag.“

Roland Müller studierte Germanistik und Geschichte an der Universität Stuttgart und promovierte bei Prof. Eberhard Jäckel über das Thema „Stuttgart zur Zeit des Nationalsozialismus“, eine Pionierstudie zur Rolle der Kommunalverwaltung in der NS‐Zeit. Seit 1997 gehört er der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden‐Württemberg an. Seit 1995 ist er Lehrbeauftragter am Historischen Institut der Universität Stuttgart. Diese berief ihn im Dezember 2017 zum Honorarprofessor.

Seine berufliche Tätigkeit begann Müller 1987 als Referendar beim Generallandesarchiv Karlsruhe. Nach der zweiten Staatsprüfung 1989 führte ihn sein Weg über das Hauptstaatsarchiv Stuttgart zum Staatsarchiv Ludwigsburg. Seit dem 1. September 1996 leitet er das Stadtarchiv der Landeshauptstadt Stuttgart.

Als ein Meilenstein in seiner Amtszeit wurde im Januar 2011 das neue Stadtarchiv im Bellingweg eröffnet. Aus einem ehemaligen Lagerhaus im Neckarpark in Bad Cannstatt entstand ein fachgerecht ausgestattetes Archiv mit einer Fläche von rund 6.000 Quadratmetern. Es verfügt über einen modernen Lesesaal und Vortragsräume. Der Service für die Besucher konnte dadurch wesentlich verbessert werden. Es herrschen nun gute Bedingungen für die historische Bildungsarbeit, vor allem auch für die jüngere Generation. Damit wird ein wesentliches Anliegen der Arbeit des Stadtarchivs ermöglicht, nämlich die methodische Auseinandersetzung mit der Stadtgeschichte als unverzichtbarer Grundlage für ein demokratisches Gemeinwesen.

Ein herausragender Erfolg für das Stadtarchiv und seinen Leiter war im Jahr 2019 die Nominierung des Digitalen Stadtlexikons für den Grimme‐Online Award, den nationalen Medienpreis. Damit wurde ein innovatives Projekt zur Erforschung und Vermittlung von Stadtgeschichte von hoher inhaltlicher und technischer Qualität gewürdigt, das zugleich einen niederschwelligen Zugang bietet. Das Projekt „Stuttgart 1942“ in Kooperation mit den großen Stuttgarter Tageszeitungen wird in der breiten Öffentlichkeit viel beachtet. Regelmäßig ist das Stadtarchiv dadurch mit interessanten Beiträgen in den Printmedien vertreten.

Seine reichhaltigen Erfahrungen bringt Prof. Roland Müller bundesweit in der interkommunalen Zusammenarbeit ein. Von 2003 bis 2021 hatte er den Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft der Archive im Städtetag Baden‐Württemberg und war in dieser Funktion Mitglied der Bundeskonferenz der Kommunalarchive beim Deutschen Städtetag. Persönlich engagiert er sich stark für die Erinnerungskultur in Stuttgart. Als Mitglied der Initiative „Gedenkstätte Killesberg“ erhielt er 2014 die Otto‐Hirsch‐Auszeichnung.

Kontakt:
Stadtarchiv Stuttgart
Bellingweg 21
70372 Stuttgart
Tel.: 0711 21691512
poststelle.stadtarchiv@stuttgart.de

Quelle: Stadt Stuttgart, Aktuelle Meldungen, 2.7.2021

Ausstellung »Straßburg 1940-1944«

Am 1. September 1939 wurden Straßburg und das Grenzgebiet entlang des Rheins, der Pfalz und der Saar evakuiert. Nach dem „Sitzkrieg“ marschierte die deutsche Armee in Frankreich ein, dessen rasche Niederlage am 22. Juni 1940 zur Unterzeichnung eines Waffenstillstands führte. Das Elsass und die Mosel wurden de facto vom „Dritten Reich“ annektiert.

Die Straßburger, die im Sommer 1940 zurückkehrten, erhielten den Slogan: „Ein Volk, ein Reich, ein Führer. Die befreiten Elsässer erinnern sich an den Führer! Heil Hitler!“. Für die Nazis wurde das Elsass durch Hitler „befreit“, der sein Ziel verfolgte, alle germanischen Bevölkerungsgruppen in einem Reich zu vereinen, das tausend Jahre dauern würde.

Aber was deckt dieser Slogan ab? Eine Realität, die irgendwie akzeptiert wird? Offenes und massives Festhalten am Nationalsozialismus? Welcher Widerstand, welcher Überlebensreflex waren möglich?

Der Blick eines zeitgenössischen Künstlers ermöglicht es, sich dem kollektiven Gedächtnis dieser schmerzhaften und immer noch sehr sensiblen Zeit mit einer Distanz zu nähern, die zum Nachdenken anregt. Die Ausstellung bietet die Möglichkeit, vier Jahre lang das tägliche Leben der bestürzten Straßburger zu entdecken. Es war notwendig, sich an die politischen Verhältnisse, an die nationalsozialistische Ideologie, an die Knappheit und die Rationierungen, an den Beschuss und die gewaltsame Wehrpflicht anzupassen.


Video: Straßburg unter deutscher Herrschaft (SWR)

Die kostenfrei zu besuchende Ausstellung „Straßburg 1940-1944“ des Stadtarchivs Strasbourg läuft noch bis zum 16.1.2022. Führungen sind nach vorheriger Reservierung (archives@strasbourg.eu) möglich.

Öffnungszeiten:
Montag und Dienstag: 14 bis 17 Uhr
Mittwoch bis Freitag: 9 bis 17 Uhr
Sonntag von 14 bis 18 Uhr

Kontakt:
Archives de la ville et de l’Eurométropole de Strasbourg
32 avenue du Rhin
67076 Strasbourg Cedex
Tel. : + 33 (0)3 68 98 51 10
archives@strasbourg.eu
https://archives.strasbourg.eu/de

Quelle: Stadtarchiv Strasbourg, Aktuell im Archiv; SWR: Aktuell: Stadtarchiv stellt aus: Straßburg unter deutscher Herrschaft, 6.7.2021

Heimerziehungs-Ausstellung mit Video-Führung und Übersetzung in Gebärdensprache

Die seit 2015 erfolgreich nicht nur durch Baden-Württemberg wandernde Ausstellung über die Heimerziehung in der baden-württembergischen Nachkriegszeit („Einmal Heimkind – immer Heimkind? Heimerziehung in Baden–Württemberg 1949-1975“) wird vom Landesarchiv Baden-Württemberg jetzt auch online als Video-Führung angeboten.

Die Ausstellung bietet einen Einblick, wie der Alltag in vielen Kinderheimen aussah – vielseitiges Bildmaterial und Dokumente wie Speisepläne, Aktenauszüge und Briefe geben Aufschluss darüber. Zeitzeugenberichte bereichern die Darstellung um die Perspektive der Betroffenen und geben tiefe Einblicke in die Gefühlswelten der ehemaligen Heimkinder. Die psychische und körperliche Gewalt, die vielfach an der Tagesordnung stand, wird ebenso thematisiert wie die oft nur kurzen Momente des Glücks.


Abb.: Strenger Zeitplan für die Zöglinge im Kinderheim Kleinglattbach (Foto: Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Fotosammlung, U 127)

Das System der Heimerziehung und die Rolle der Jugendämter beim Prozess der Heimeinweisung werden ebenso beschrieben wie die Aufsicht und Kontrolle der Träger und Einrichtungen. Zudem werden die rechtlichen Aspekte des Themas diskutiert. Wie verlief die Verfolgung von Straftaten, die in Heimen begangen wurden? Welche Möglichkeiten boten sich den Zöglingen zur Beschwerde oder Anzeige? Welche Probleme ergeben sich heute dabei, den Betroffenen „gerecht“ zu werden, die häufig noch in der Gegenwart unter den Folgen der Heimerziehung leiden? – Neben der historischen Darstellung der Heimerziehung wird auch der Aufarbeitungsprozess der Geschichte der Heimerziehung thematisiert.

Entstanden ist die Ausstellung im Projekt Heimerziehung (2012-2018) am Landesarchiv Baden-Württemberg. Auch über das Projektende hinaus stößt die Schau auf reges Interesse. Kein Wunder, ist doch das Thema nach wie vor aktuell. Die thematisierten Missstände beschränken sich nicht nur auf die Kinder- und Jugendhilfe. Viele Inhalte der Wanderausstellung treffen auch auf Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Psychiatrie zu – mit ihnen beschäftigt sich seit 2019 das Dokumentationsprojekt Zwangsunterbringung. Dazu gehören Internate von Gehörlosenschulen, in denen zahlreiche Betroffene belastende Erfahrungen gemacht haben. Daher hat das Landesarchiv Baden-Württemberg die Ausstellung um dieses Thema ergänzt und die Führung auch mit einer Übersetzung in Deutsche Gebärdensprache (DGS) auf dem Youtube-Kanal des Landesarchivs zugänglich gemacht.

Auch die Begleitpublikation zur Wanderausstellung „Einmal Heimkind – immer Heimkind?“ leistet einen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschehnisse in baden-württembergischen Kinderheimen und gibt einen Überblick über verschiedene Fragestellungen zum Thema Heimerziehung. Analog zu den Kapiteln der Ausstellungen werden die Themen in jeweils mehreren Aufsätzen vertieft und erweitert. Zeitzeugenberichte ergänzen die Darstellung durch die Sicht von ehemaligen Heimkindern und einer Erzieherin.

Kontakt:
Landesarchiv Baden-Württemberg
Eugenstraße 7
70182 Stuttgart
Telefon: +49 711 212-4272
landesarchiv@la-bw.de

Quelle: Landesarchiv Baden-Württemberg, Nachrichten, 17.6.2021, sowie Themen/Zugänge: Ausstellungsinformationen.

Theologe Magirius übergibt Vorlass ans Stadtarchiv Leipzig

Der evangelische Theologe und ehemalige Leipziger „StadtpräsidentFriedrich Magirius hat Anfang Juli 2021 Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung einen wichtigen Teil seiner persönlichen Unterlagen übergeben. Die Schenkung an die Stadt Leipzig – rund 1,5 laufende Meter Archivgut – dokumentiert sein politisches Wirken und bürgerschaftliches Engagement. Die Unterlagen sollen nun vom Stadtarchiv Leipzig verzeichnet, geordnet und erschlossen sowie später für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.


Abb.: Friedrich Magirius, ehemaliger Superintendent, 9.10.2014 in Leipzig (Foto: Matthias Sengewald, File: Friedensgebet Leipzig IMG 0184-Leipzig9.10.14-g-a-41 Friedrich Magirius cropped.jpg; CC BY-SA 3.0)

Oberbürgermeister Jung sagt: „Es ist ein ganz besonderer Moment für die Stadt Leipzig, diese Dokumente von Stadtpräsident Friedrich Magirius zu übernehmen – sein Engagement als Pfarrer und in zahlreichen bürgerschaftlichen Projekten ist für die Stadt von hohem Wert.“ Der Direktor des Stadtarchivs, Dr. Michael Ruprecht, betont: „Nach Annahme der Schenkung durch den Stadtrat könnten die in den letzten Jahrzehnten entstandenen Dokumente, Briefe, Einladungen, Notizen und sonstigen Unterlagen archivfachlich im Stadtarchiv betreut werden. Ein besonders glücklicher Umstand ist bei dieser Übernahme, dass nicht nur historisch einmalige Unterlagen den Bestand des Archivs bereichern, sondern dass Friedrich Magirius selbst die Sichtung und Zuordnung noch unterstützen kann.“

Friedrich Magirius hat bereits angekündigt, dass er in den kommenden Jahren weitere Unterlagen an die Stadt übergeben möchte, so dass die Sammlung in nächster Zeit weiter anwachsen wird.

Der 1930 in Dresden geborene Magirius war unter anderem Pfarrer der Dresdner Kreuzkirche sowie der Leipziger Nikolaikirche, und er leitete zwischen 1974 und 1982 die Aktion Sühnezeichen der DDR. Als souveräner Moderator des Runden Tisches 1989/1990 ist Friedrich Magirius auch heute noch vielen Leipzigerinnen und Leipzigern bekannt, wenngleich seine politische Rolle vor und während der friedlichen Revolution 1989 unterschiedlich bewertet wird. 1990 wurde er zum Stadtpräsidenten gewählt und übte dieses Amt, das es nur damals gab, während der Übergangszeit bis 1994 aus. Bereits im Jahr 1991 übergab Magirius gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Arbeitssekretariats des Runden Tisches die Unterlagen der Sitzungen und Ausschüsse an das Stadtarchiv, wo diese für die allgemeine Nutzung zugänglich gemacht wurden.

Auch in den nachfolgenden Jahren war Friedrich Magirus in vielfältiger Weise gesellschaftlich aktiv. Seine Erfahrungen und sein Wissen sind nach wie vor in vielen Gremien gefragt. Dabei engagiert er sich besonders für die jüngere Generation, so gehört er etwa zu den Mitbegründern des Stadtschülerrats Leipzig. 2005 wurde er mit der Ehrenmedaille der Stadt Leipzig sowie der Ehrenbürgerwürde der polnischen Stadt Kraków ausgezeichnet.

Kontakt:
Stadtarchiv Leipzig
Straße des 18. Oktober 42
04103 Leipzig
Telefon: 0341 123-3800
Fax: 0341 123-3838
stadtarchiv@leipzig.de
https://stadtarchiv.leipzig.de

Quelle: Stadt Leipzig, Medieninformationen, 5.7.2021; Wikipedia, Art. Friedrich Magirius, Version 17.6.2021

Elise Überbacher-Minatti und die Bozener Guntschnabahn

Wer heute den oberen Abschnitt der Guntschnapromenade in Bozen entlangspaziert, muss schon genauer hinsehen, um am steilen Berghang die mittlerweile von der Vegetation weitgehend überwucherte Trasse der einst beliebten Guntschnabahn zu erkennen.

Abb.: Südtiroler Landesarchiv, Sammlung Helene Oberleiter, Nr. 51.

Die Idee zu einer elektrischen Kleinbahn von Gries hinauf zum Reichrieglerhof hatte Elise Minatti-Überbacher (1848-1926), eine aus Baden bei Wien gebürtige und in Südtirol verehelichte Tourismusunternehmerin, die nicht nur den Reichrieglerhof und ein Hotel in Gries, sondern auch das Südbahn-Hotel in Toblach besaß und dieses nach der Jahrhundertwende zum größten Alpenhotel der Monarchie ausgebaut hatte. Die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts waren die große Zeit der Touristenbahnen. In und um Bozen baute man die Mendelbahn, die Kohlererbahn, die Rittnerbahn und jene auf den Virgl, die sich bei den Gästen großer Beliebtheit erfreuten. Die Unternehmerin beschloss daher, auf eigene Kosten – 288.700 Kronen – eine elektrische Schmalspurbahn errichten zu lassen, die am 12. August 1912 den Betrieb aufnehmen sollte. In nur vier Minuten transportierte die Guntschnabahn die aussichtshungrigen Passagiere die 186 Meter hinauf zum Gastlokal und Hotel „Reichrieglerhof“, wo es zum herrlichen Rundblick über das Bozner Becken bis hin zum Rosengarten eine Erfrischung gab.


Abb.: Südtiroler Landesarchiv, Sammlung Helene Oberleiter, Nr. 180

Der Reichrieglerhof, ein ehemaliger Bauernhof, den Überbacher-Minatti 1895 bei einer Versteigerung erworben und anschließend zum Hotel ausgebaut hatte, war anlässlich des Bahnbaus erweitert worden, sodass er nun bis zu 600 Gäste beherbergen konnte. Schnell entwickelte sich das Gastlokal mit Anschluss an die Erzherzog-Heinrich-Promenade (heute: Gutnschnapromenade) zum beliebten Ausflugsziel. Am 10. April 1913 berichten die „Innsbrucker Nachrichten“, dass die Guntschnabahn seit ihrer Eröffnung ein dreiviertel Jahr zuvor von 51.782 Personen benutzt worden sei. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs ließ den Fremdenverkehr jäh erlöschen, der Bahnbetrieb wurde mit 1. August 1914 eingestellt. Erst 1921 konnte Überbacher-Minatti den Bahnbetrieb wieder aufnehmen. Die Bahn blieb auch nach dem Tod der Unternehmerin 1926 in Privatbesitz, doch da der Betrieb auf Grund der wachsenden Konkurrenz durch das Auto zunehmend unrentabel wurde, wurde die Bahn 1963 aufgegeben. Der Reichrieglerhof dagegen blieb bis in die 1990er Jahre ein beliebtes Gastlokal. Das Gebäude wurde vor einigen Jahren in ein Mehrparteienhaus umgewandelt.

Kontakt:
Südtiroler Landesarchiv
Armando-Diaz-Straße 8/B
39100 Bozen
Italien
Tel. +39 0471 411940
Fax +39 0471 411959
landesarchiv@provinz.bz.it

Quelle: Südtiroler Landesarchiv, Archivale des Monats Juli 2021, 6.7.2021

Die erste Badeanstalt in Uetersen

Die Tonkuhle von Ziegeleibesitzer J.P. Baas.

Ziegeleibesitzer Johann Baas hat für die erste Badeanstalt in der schleswig-holsteinischen Stadt Uetersen gesorgt: durch eingeleitetes Wasser von der Pinnau wurde eine Tonkuhle auf seinem Gelände in den Sommermonaten zu einem öffentlichen Schwimmbassin. Seit wann diese sommerliche Bademöglichkeit bestand, ist der vorliegenden Akte im Stadtarchiv Uetersen nicht zu entnehmen. Ein von Baas verfasstes Schreiben an die Stadtverwaltung vom Mai 1903 ist das älteste Dokument, das sich zu diesem privat organisierten Badevergnügen erhalten hat. Er machte darin das weitere Bestehen der Badeanstalt davon abhängig, dass er alljährlich 600 Mark Zuschuss von der Stadt erhalte; im Gegenzug werde er jedes Jahr 200 Karten an die Stadtvertretung zur Verteilung an Kinder „unbemittelter Eltern“ geben.

Doch die Verhandlungen mit Johann Baas verliefen zunächst erfolglos, so dass das Stadtverordnetenkollegium auf einer Sitzung im Juni 1903 die Wahl einer „Kommission für die Errichtung einer städtischen Badeanstalt“ vornahm, in die die Stadtverordneten Behr, Cölln, Stark und Dr. Kirchberg gewählt wurden. Im September des gleichen Jahres beschloss die Kommission, eine Ortsbegehung am städtischen Lösch und Ladeplatz am Klosterdeich vorzunehmen einem Platz, der für das Vorhaben geeignet erschien. Das Ergebnis dieser Begehung war ein Bauantrag mit Zeichnung, der bei dem königlichen Wasserbauinspektor in Glückstadt 1904 eingereicht wurde. Doch dieser schickte die Unterlagen umgehend zurück und verwies auf mehrere Mängel: der eingereichte Lageplan sei nicht „maßstäblich“ und es fehle „die Unterschrift des Antragstellers“. „Außerdem bemerke ich, daß auf dem 20 m breiten Schutzstreifen, der parallel zum Deichfuß läuft, selbstverständlich auch keine Gebäude errichtet werden dürfen“.

Während dieses Projekt einer städtischen Badeanstalt erst einmal im Sande verlief, tagte im Juni 1904 eine Kommission, die einen Vertrag mit Baas zur Wiedereröffnung seiner Badeanstalt ausarbeitete: „Herr Baas verpflichtet sich, die Badeanstalt bis zum 1sten Juli dieses Jahres in Stand zu setzen und ordnungsgemäß während der Badesaison stets mit frischem, reinen Wasser zu versehen. Er erhält von der Stadt Uetersen 1000 M, wofür das Königliche. Seminar frei badet, ebenso die Knaben der Seminar Übungsschule und der Dispensirschule, wie es in früheren Jahren auch geschehen ist. Die Schüler der Präparandenanstalt zahlen für das Baden während des Sommers 4 Mark pro Person.“ Dieser Vertrag wurde am 22. Juni 1904 auf fünf Jahre abgeschlossen.

Bürgermeister Muus erreichten während der Badesaison 1904 diverse Beschwerden: Es wurde Klage darüber geführt, dass Baas keine Einzelkarten für seine Bad eanstalt verkaufe; andere Benutzer wurden vom Badewärter sogar massiv am Baden gehindert, da sie nicht im Besitz von Dauerkarten waren. Auch wurde auf die Ungerechtigkeit hingewiesen, dass nur einige Schulklassen frei baden durften und andere Kinder notgedrungen in die Pinnau baden gingen und dort Gefahr liefen, zu ertrinken.

Auch in den darauffolgenden Jahren blieb der sommerliche Badebetrieb auf dem Ziegeleigelände nicht ohne Schwierigkeiten: Insbesondere wurde das schmutzige Wasser von Schwimmern beklagt, die darin nicht baden mochten; aber auch die von Baas tageweise vorgenommene Schließung der Badestelle sorgte für Unmut. Er rechtfertigte dies damit, dass die Wasserqualität als auch der Wasserstand der Badeanstalt von der Pinnau abhängig sei (60) und es so bei Ostwind zu Niedrigwasser komme und eine Schließung unausweichlich sei. Am 3. April 1909 wurde ein neuer Vertrag unterzeichnet, in dem feste Badezeiten geregelt wurden:

Abb.: Lageplan des Ziegeleigrundstücks des Herrn F.W. Schinkel Klosterkoppel, J.P. Baas Nachfolger. Als Quadrat rechts unten eingezeichnet die Badeanstalt, 1909 (aus: Stadtarchiv Uetersen, A II 218)

Die Firma J.P. Baas Nachf. verpflichtete sich vom 1. Juni – 30. Sept. die Badeanstalt in ordnungsgemäßem Zustand täglich zur allgemeinen Benutzung geöffnet zu halten (§1). Die tägliche Badezeit dauerte von morgens 6 Uhr bis abends 9 Uhr, und zwar für männliche Personen von morgens 6-8 Uhr, mittags von 11-12, nachmittags von 5-7 Uhr; für weibliche Personen von morgens 8-10 Uhr und nachmittags von 3-5 Uhr (§2). Außerdem mussten Einzel und Abonnementskarten ausgegeben werden, … für Schüler hiesiger Schulen Karten für Einzelbäder zum Preis von 10 Pfg. und Abonnementskarten für die gesamt Badesaison für 3 Mark. (§4). 100 Karten wurden an die Kommission zur Verteilung an schulpflichtige Kinder ausgegeben (§5). Für alle nicht eingehaltenen Verpflichtungen wurde eine Konventionalstrafe festgelegt (§ 8).

Auch nach verbesserter Vertragsregelung mit J.P. Baas wurde von Stadtseite die Einrichtung einer neuen städtischen Badeanstalt weiterhin verfolgt. Ein zentraler Diskussionspunkt war dabei der geeignete Standort. Mehrere Plätze wurden einer baulichen Prüfung unterzogen. 1909 wurde der Mühlenteich als der günstigste und vorteilhafteste Platz zur Anlage einer Badeanstalt ausgewählt. Dieses Vorhaben wurde erst in Form des Planschbeckens beim Bau des Rosariums 1933/34 realisiert.

Schließlich ging die Badeanstalt 1910 in städtische Verwaltung über: J.P. Baas Nachfolger, Ziegeleibesitzer C. Baas und Mühlenbesitzer W. Schinckel vermieteten die ihnen gehörenden Badeanstalt an die Stadt Uetersen auf die Dauer von fünf Jahren für einen jährlichen Mietpreis von 1500 Mark. Die Stadt übernahm „die bauliche In standhaltung des Gebäudes der Badeanstalt und ihrer im Innern vorhandenen Einrichtungen“ und der Fußwege. Außerdem wurden nun die für den Betrieb erforderlichen Wärter und Wärterinnen von der Stadt eingestellt. Die Vermieter verpflichteten sich, das erforderliche Wasser von 1. Juni – 1. Oktober zu liefern; die Pumpzeiten waren durch den Vertrag genau festgelegt. – Wie lange die Tonkuhle auf dem Ziegelei Gelände den Uetersenern als Bademöglichkeit zur Verfügung stand, geht aus der Akte nicht hervor.

Das Stadtarchiv Uetersen befindet sich im Aufbau. Historische Akten und Dokumente bis 1950 sind bereits aufgenommen und nach Voranmeldung einzusehen. Auch ein umfangreicher, allerdings noch nicht vollständig bearbeiteter Fotobestand, steht für die Bildersucher von Häusern, Straßen, Plätzen, Personen und Ereignissen zur Verfügung. Nunmehr zieht das erst im Jahr 2017 ins Leben gerufene Stadtarchiv in Uetersen um. Der zugewiesene Raum im ehemaligen, 1959 eingerichteten Jugendzentrum an der Berliner Straße wird verlassen. Das neue Domizil befindet sich am Kleinen Sand.

Kontakt:
Stadtarchiv Uetersen
Dr. Ute Harms
Berliner Str. 17
25436 Uetersen
Tel.: 0160/7090304 (Do./Fr.)

Quelle: Dr. Ute Harms, Die Tonkuhle von Ziegeleibesitzer J.P. Baas die erste Badeanstalt in Uetersen (Akte: AII 218) aus der Serie: Aus dem Stadtarchiv (IV), 2021; Uetersener Nachrichten (SHZ), Ute Harms: Uetersen: Stadtarchiv zieht um und verlässt Käthe-Kollwitz-Heim, 4.7.2021

50 Jahre Frauenstimmrecht im Kanton Zug und in der Schweiz

Im Frühling 2020 trafen sich unter Federführung des Stadtarchivs Zug und der Bibliothek Zug erstmals Vertreterinnen und Vertreter von Gedächtnisinstitutionen und Frauenorganisationen für einen Gedankenaustausch: Soll der „Meilenstein Frauenstimmrecht“ im Jubiläumsjahr 2021 im Kanton Zug gefeiert werden? Und wenn ja, wie? Erste Ideen wurden gemeinsam gesponnen. Im Sommer 2020 wurde der Verein „50 Jahre Frauenstimm- und -wahlrecht“ gegründet mit dem Zweck, die Festivitäten zu bündeln und zu koordinieren. Seither tauschen sich das Stadtarchiv und die Bibliothek, die Frauenzentrale, eine Vertreterin aus der Politik und weitere Vereinsmitglieder regelmässig aus.

Die Aktivitäten im Jubiläumsjahr werden in der Agenda laufend aktualisiert und ergänzt. In der Webseitenrubrik „Wissenswertes“ des Vereins finden sich historische sowie aktuelle Informationen rund um das Frauenstimm- und -wahlrecht im Kanton Zug und in der Schweiz.

Das Stadtarchiv Zug leistet mit einem Kalender einen Beitrag zum Jubiläum. Seit Februar 2021 können die zum 50-Jahr-Jubiläum des Frauenstimmrechts erstellten Kalender beim Stadtarchiv bestellt werden. Das Stadtarchiv hat diesen Kalender mit Fotografien und Informationen zur Geschichte des Frauenstimmrechts gestaltet. Der erste Tag im Kalender ist der 7. Februar, da an diesem Tag das Frauenstimm- und -wahlrecht bei der Eidgenössischen Abstimmung angenommen wurde. Der Kalender leuchtet in knalligem Magenta und bietet Platz für persönliche Notizen und Geburtstagseinträge. Bestellt werden können die einzigartigen und informativen Kalender beim Stadtarchiv Zug.

Kontakt:
Stadtarchiv Zug
St.-Oswalds-Gasse 21
CH-6301 Zug
Tel. 058 728 90 20
stadtarchiv@stadtzug.ch

Quellewww.frauenstimmrecht-zug.ch

Freckenhorster Urkunden jetzt im Kreisarchiv Warendorf

Drei Urkunden der Freckenhorster Äbtissinnen aus dem 17. und 18. Jahrhundert fanden kürzlich ihren Weg in das Kreisarchiv Warendorf. Die Vorsitzende des Freckenhorster Heimatvereins, Wilma Richter, und der Archivbeauftragte des Vereins, Helmut Eismann, übergaben die historischen Dokumente persönlich. Sie waren von einer Freckenhorster Böttcherfamilie an den Verein gelangt.


Abb.: Die Urkunden der Freckenhorster Äbtissinnen zeigen (v.l.n.r.) Michael Ottmann (Leiter Haupt- und Personalamt Kreis Warendorf), Wilma Richter, Helmut Eismann (beide Heimatverein) und Dr. Knut Langewand (Leiter des Kreisarchivs) (Foto: Kreis Warendorf).

„Ich danke dem Heimatverein Freckenhorst und freue mich, dass historische Unterlagen von solcher Bedeutung ihren würdigen Platz im Kreisarchiv finden“, sagte Haupt- und Personalamtsleiter Michael Ottmann bei der Übergabe.

Kreisarchivar Dr. Knut Langewand lobte die vorbildliche Kooperation mit dem Verein: „Das Kreisarchiv hat naturgemäß ein großes Interesse am Erhalt historischer Unterlagen aus privater Hand, die nicht selten zuerst durch die Vereine oder Initiativen vor Ort vor der Vernichtung gerettet werden. Im Gegenzug unterstützen wir die Heimat- und Geschichtsvereine gerne bei ihrer Arbeit.“ Von den Urkunden wurden für den Heimatverein Scans und Abschriften erstellt.

Zwischen Heimatverein und Kreisarchiv besteht seit Jahren ein konstruktiver Austausch. Schon 2003 übergab der Verein dem Archiv Unterlagen aus seiner Vereinsgeschichte und zur kommunalen Neuordnung.

Interessierte, die Unterlagen aus der eigenen Familien-, Hof- oder Firmengeschichte (ggf. auch als Leihgabe) an das Kreisarchiv abgeben möchten, können sich telefonisch oder per E-Mail an das Archiv wenden.

Abb.: Eine der übergebenen „Schätze“: ein sog. Freibrief aus dem Jahre 1710, mit dem die Äbtissin des Freckenhorster Stifts, Hedwig Christina Gertrud von Korff zu Sutthausen, die Hedwig Heidtwinkel aus der Leibeigenschaft entließ. Ganz unten das Siegel und die eigenhändige Unterschrift der Äbtissin (Foto: Kreis Warendorf). 

Historischer Hintergrund zu den Urkunden:
Das freiweltliche Damenstift St. Bonifatius Freckenhorst war eine klosterähnliche Gemeinschaft adliger, unverheirateter Frauen (sog. Kanonissen oder Stiftsfräulein). Es wurde im Mittelalter (nach 850) begründet und bestand bis zu seiner Aufhebung 1811/12. Im Zentrum des Stifts befand sich die im 12. Jahrhundert erbaute Kirche, die daher bis heute Stiftskirche genannt wird. Das Stift wurde von einer Äbtissin geleitet und besaß zahlreiche Ländereien und Bauernhöfe in und außerhalb von Freckenhorst. Die auf den Höfen lebenden und arbeitenden Menschen waren häufig Leibeigene.

Kontakt:
Kreisarchiv Warendorf
Waldenburger Straße 2
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Quelle: Kreis Warendorf, Aktuelle Meldungen, 3.6.2021

»Ich war ein Missale« – Ausstellung in der Deutschen Digitalen Bibliothek

Das Projekt „Digitale Erschließung von Einbandfragmenten in kirchlichen Archiven aus Kurhessen-Waldeck“ hat das Landeskirchliche Archiv Kassel zwischen 2003 und 2017 – mal mehr, mal weniger – beschäftigt. 736 hoch spannende Einbandfragmente konnten in dieser Zeitspanne gefunden und erschlossen werden. Viele waren daran beteiligt, allen voran Konrad Wiedemann.

Die ddbstudio-Ausstellung „Ich war ein Missale – Recycling mittelalterlicher Handschriften im 16. und 17. Jh.“ präsentiert seit dem 25.6.2021 online exemplarisch die ganze Bandbreite entdeckter Fragmente, die auf zahlreichen liturgischen, aber auch medizinisch-pharmazeutischen, juristischen, hebräischen und mittelhochdeutschen Texten gründen.


Abb.: Pergamenteinband ohne Trägerband, Graduale 2. Drittel 15. Jh. (lateinisch), aus der Sammlung von: Landeskirchliches Archiv Kassel (CC-BY-4.0-INT)

Der Handel mit Pergamenthandschriften als Material für Bindungen nahm seit den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts einen starken Aufschwung. Die Entwicklung des Buchdrucks steigerte den Bedarf enorm. Im Zuge der Reformation verloren viele liturgische Handschriften ihre Funktion. Klöster wurden aufgelöst und Kirchengemeinden traten zum evangelischen Glauben über.

Nach Auflösung der Klöster wurden die scheinbar wertlosen Pergamente, auch ganze Pergamentcodices, zweckentfremdet. Buchbinder lösten aus den Holzdecken Bogen für Bogen und verwendeten das Material zur Heftung von Kirchenrechnungen oder als schützenden Einband für Kirchenbücher.

Der wichtigste Einbandwerkstoff war das beschriebene Pergament. Papier als Werkstoff findet sich eher als Stärkung in Einbänden, selten als äußerer Einband.

Heute gelten die damals recycelten Handschriften als hohe Zeugnisse kultureller Tradition. Anders im 16. Jahrhundert, als sich der Buchdruck ausbreitete. Viele bisher nur als Handschrift vorliegende Texte waren nun in „modernen“ Ausgaben verfügbar. Wer die Mittel hatte, ersetzte das Manuskript durch einen Druck. Die nun häufig als Einband verwandten Schriften waren durch die Liturgiereformen des Konzils von Trient unzeitgemäß geworden. Die Festlegung auf ein Einheitsbrevier 1568 (Brevier = Gebetsbuch) und ein Einheitsmissale 1570 (Missale = Texte der Messe für das liturgische Jahr) führten dazu, dass die Handschriften ihre eigentliche Funktion verloren. Als Folge der Reformation wurde die Bedeutung des Lateinischen als Sprache der Kirche zudem zurückgedrängt.

Zur Ausstellung:
https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/einbandfragmente/

Literatur:
Konrad Wiedemann, Bettina Wischhöfer, Einbandfragmente in kirchlichen Archiven aus Kurhessen-Waldeck (Schriften und Medien des Landeskirchlichen Archivs Kassel 21), Kassel 2007.

Konrad Wiedemann, Einbandfragmente kirchlicher Provenienz aus Kurhessen-Waldeck (Schriften und Medien des Landeskirchlichen Archivs Kassel 37), Kassel 2017.

(Bettina Wischhöfer)

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