1. FC Nürnberg findet jüdische Mitglieder-Kartei

In einem Kellerraum des Fußballclub-Geländes des 1. FC Nürnberg am Valznerweiher (s. Abb.) wurde die Mitgliederkartei von 1928 bis 1955 gefunden. Sie galt bislang als verschollen. „Damit ist es jetzt endlich möglich, die Rolle jüdischer Bürger beim 1. FC Nürnberg zu erforschen“, sagt Niels Rossow, Kaufmännischer Vorstand des 1. FC Nürnberg, im Rahmen der Pressekonferenz des 1. FC Nürnberg am 15.6.2021, zur Vorstellung des Fundes der Mitgliederkartei. „Es freut uns besonders, dass gerade im bundesweiten Gedenkjahr ‚1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland‘ und in Zeiten zunehmenden Antisemitismus‘ der Club nun die Grundlage besitzt, den in der NS-Zeit zu Unrecht aus dem Verein ausgeschlossenen jüdischen Mitgliedern ein Gesicht zu geben und ihre Biografien öffentlich zu machen“, so Rossow.

In einem ungenutzten Keller lagerten unscheinbare Kartons, gefüllt mit den für verschollen gehaltenen rund 12.000 Karteikarten von Mitgliedern des 1. FC Nürnberg. Die Kartei deckt den Zeitraum von Januar 1928 bis November 1955 ab und damit auch die Zeit des Nationalsozialismus. Kaum ein Fußballverein der 1. und 2. Bundesliga verfügt über eine solch vollständige Mitgliederkartei, die die NS-Zeit umfasst. „Der 1. FC Nürnberg wird durch einen Antrag zur Mitgliederversammlung 2021 darauf hinwirken, dass der Ausschluss der jüdischen Mitglieder für unrechtmäßig erklärt und rückgängig gemacht wird“, ergänzt Niels Rossow.

Stellung des Vereins zur „Judenfrage“
Jüdische Bürger durften im Nationalsozialismus nicht mehr länger Mitglied in „deutschen“ Sportvereinen sein. Bis 1933 waren rund 7% der 520.000 Juden in Deutschland in konfessionsneutralen Sportvereinen organisiert. Bei einem Treffen in Stuttgart am 9. April 1933 verabschiedeten dann 14 Vereine des Süddeutschen Fußball- und Leichtathletikverbands – darunter der 1. FC Nürnberg, Bayern München, 1860 München, Eintracht Frankfurt, die SpVgg Fürth, der 1. FC Kaiserslautern und die Stuttgarter Kickers – eine Resolution, wonach sie sich „freudig und entschieden der nationalen Regierung zur Verfügung“ stellten. Sie taten dabei ihren Willen kund, die jüdischen Mitglieder aus den Vereinen zu entfernen.

Schon knapp drei Wochen später, am 27. April 1933, beschloss der Verwaltungsausschuss des 1. FC Nürnberg einstimmig die oben abgebildete „Stellung des Vereins zur Judenfrage“. Der 1. FCN strich demnach „die jüdischen Mitglieder mit Wirkung vom 1. Mai 1933 aus seiner Mitgliederliste“. Schon am nächsten Tag, am 28. April 1933, setzte der 1. FCN per Brief seine jüdischen Mitglieder davon in Kenntnis. Ein solches vom 2. Vorsitzenden Karl Müller unterzeichnetes Schreiben – adressiert an den jüdischen Kaufmann Franz Anton Salomon („Wertes Mitglied … mit sportlicher Hochachtung“) – findet sich im Leo Baeck Institute in New York.


Abb.: Franz Anton Salomon (Foto: Stadtarchiv Nürnberg)

Hinter den Namen verbergen sich bewegende Biografien
Bislang war Franz Anton Salomon das einzig bekannte jüdische Mitglied, das 1933 aus dem Club ausgeschlossen wurde. Auch in den Folgejahren schloss der 1. FC Nürnberg jüdische Mitglieder aus. „In der Kartei sind insgesamt 143 Mitglieder aufgelistet, bei denen es sich aufgrund des Stempels ‚30. APR. 1933‘ in der Rubrik ‚Austritt‘ um jüdische Mitglieder handeln dürfte“, erläutert Club-Historiker Bernd Siegler. Bei 121 konnte dies bislang verifiziert werden. Von diesen gehörten 86 zur Abteilung Tennis und je fünf zu Fußball, Leichtathletik und Schwimmen, 11 waren passive Mitglieder. 34 waren Frauen.

Von den Mitgliedern, bei denen in der Kartei per Hand ‚Jude‘, ‚Soll Jude sein‘ oder ,Nicht-Arierin‘  vermerkt wurde oder bei ‚Austritt‘ per Stempel ‚31.DEZ.1933‘ eingedruckt worden war, dürften auch etliche jüdischen Glaubens sein.  Der 1. FCN hatte, so Siegler, 1933 knapp 2.000 Mitglieder (1920 3.336 Mitglieder).

„Erste Recherchen ergaben, dass sich hinter den Namen sehr bewegende Biografien verbergen“, berichtet Siegler. Viele der jüdischen Club-Mitglieder wie beispielsweise Franz Anton Salomon, Ilse Bechhold und Werner Gruber konnten emigrieren, meist in die USA, nach Großbritannien oder Palästina, und überlebten oft erst nach einer wahren Odyssee. Fritz Löb und Justin Isner sowie weitere sechs jüdische Club-Mitglieder wurden in den Konzentrations- bzw. Vernichtungslagern Auschwitz, Riga-Jungfernhof, Majdanek, Theresienstadt, Stutthof sowie im Ghetto Izbica ermordet bzw. für tot erklärt. Ein jüdisches Club-Mitglied wurde im Rahmen der Euthanasie in Hadamar ermordet.

Kooperationen mit IGKN und Stadtarchiv Nürnberg
„Der 1. FC Nürnberg wird dieses dunkle Kapitel der Vereinsgeschichte weiter aufarbeiten und die Möglichkeit schaffen, universitäre Forschungsprojekte zu realisieren“, kündigt Niels Rossow an. „Schon in der Vergangenheit konnte der FCN klare Zeichen gegen Antisemitismus und Rassismus setzen – zum Beispiel durch interne Schulungen mit Nachwuchs-Spielern des FCN, der Fahrt mit Fans zur Gedenkstätte Flossenbürg, der dritten Auflage des ‚Jenö-Konrad-Cups 2021‘ mit Nürnberger Schülern oder den derzeit digital stattfindenden ‚Clubverführungen‘ auf unserer sozialen Community-Plattform UnserClub.de, u. a. über das Reichsparteitagsgelände oder die NS-Geschichte des 1. FC Nürnberg.“

Der Club freut sich, dass das Stadtarchiv Nürnberg Unterstützung signalisiert hat und die Israelitische Kultusgemeinde Nürnberg mit im Boot ist. „Wir unterstützen die Recherchen durch die Arbeit unseres Historikers und Archivars Leibl Rosenberg“, verspricht IKGN-Vorsitzender Jo-Achim Hamburger. Ihm geht es auch um die Erforschung der Rolle jüdischer Bürger beim Club, seinem „Herzensverein“. Hamburger erinnert dabei an den jüdischen Rechtsanwalt Dr. Leopold Neuburger, der als Präsident des 1. FCN von 1912 bis 1914 und von 1919 bis 1921 wichtige Weichen für die erfolgreiche Entwicklung des Vereins gestellt und Sport immer als Instrument zur Völkerverständigung verstanden hatte.

Kontakt:
1. FC Nürnberg
Valznerweiherstr. 200
90480 Nürnberg
Tel.: +49 91194079100
Fax: +49 91194079510
info@fcn.de
https://www.fcn.de/

Quelle: 1. FC Nürnberg, News, 15.6.2021

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