Wenn es juckt und brennt, fragen Sie einen Arzt oder Apotheker – aber bitte einen Seriösen!
In Zeiten der anhaltenden Corona-Pandemie richten sich die Fragen zum Umgang mit Krankheiten und den damit einhergehenden Folgen nicht nur an die medizinische Wissenschaft und Forschung, sondern zunehmend auch an den Erfahrungsschatz der Geschichtswissenschaft. Im Zuge von Recherchen nach pandemiebezogenen Quellen im Stadtarchiv Dresden gelang den Mitarbeitern ein kleiner Sensationsfund.
Abb.: Knapp 200 Jahre überdauerten die zwei Päckchen mit Tee und Pulver gegen Krätze als Beweismittel für einen vermeintlich unlauteren Medikamentenhandel in den Akten des Stadtarchivs Dresden (Foto: Elvira Wobst)
Sie entdeckten, dass eine Akte aus dem Ratsarchiv mit dem Titel „Acta von Handel mit Medikamenten“ zwei kleine papierne Faltumschläge enthält. Der Inhalt war durchaus überraschend, handelt es sich doch um eine Teemischung sowie um ein Pulver zur Behandlung von Skabies, umgangssprachlich „Krätze“ genannt. Erste Erkenntnisse zur Erforschung dieser Krankheit gelangen dem italienischen Forscher Giovanni Cosimo Bonomo (1666 bis 1696), der mittels Mikroskop ein kleines Tierchen entdeckte, das sich in der Oberschicht der Haut verbarg und als Verursacher der Beschwerden identifiziert werden konnte. Aus den neuen Informationen eine Behandlungsstrategie abzuleiten, vermochte allerdings erst der Wiener Mediziner Ferdinand von Hebra (1816-1880) um 1850. Bis dahin musste auf Rezepturen zurückgegriffen werden, die bereits seit dem Mittelalter im Umlauf waren und für alle Anbietenden ein gutes Geschäft bedeuteten.
Im vorliegenden Fall verkaufte ein selbsternannter „Ober-Wundarzt“ namens Kämpfe, wohnhaft in der Dresdner Friedrichstadt im Haus Nr. 43 neben der Apotheke, ein Mittel gegen besagte Krätze. Um sich von dem juckenden und quälenden Übel zu befreien, zahlten die Käufer kleine Vermögen, weit über ihre Zahlungsfähigkeit hinaus. Aufmerksam auf diese Machenschaften wurde ein Arzt namens Gustav Friedrich Gruner durch einen medizinischen Notfall in der Weißeritzstraße 64. Nachdem sich die unter Nervenfieber leidende Patientin erholt hatte, berichtete sie Gruner, dass sie Medikamente eingenommen habe, die ihr Ehemann aufgrund seines Krätzleidens von oben benanntem Kämpfe gekauft hatte.
Nachdem der Arzt wenige Tage später erneut in das Haus auf der Weißeritzstraße gerufen wurde, um einen 7-jährigen Jungen gegen ein Hautleiden zu behandeln, kam auch hier das Gespräch auf diese Medikamente. Laut Angabe der Pflegemutter war die Behandlung erfolgreich und der Hautausschlag zurückgegangen, der Gesundheitszustand des Kindes aber kritisch und das Vermögen der Familie aufgebraucht. Die Dame überließ dem Arzt die Tee- und Pulverproben, die Gruner in der hiesigen Apotheke analysieren ließ. Da der Preis für die einzelnen Bestandteile keineswegs gerechtfertigt war, ging Gruner davon aus, dass es sich bei vorliegender Sache um „bedeutenden Wucher“ und „Geldprellerey“ handele. Auch die hohe Qualität machte Gruner skeptisch, sodass der Arzt einen professionellen Hintergrund vermutete, bei dem gut wirksame Medikamente zusammengemischt wurden. Das daraus resultierende Heilmittel als Ganzes aber wurde weit über Wert verkauft.
Zudem stand es keineswegs jedem Arzt oder Apotheker frei, Medikamente in Umlauf zu bringen. Aus diesem Grund formulierte am 13. Januar 1835 der Arzt Gruner beim Dresdner Amtsphysikus, gemeint ist damit ein approbierter Arzt, der auf einer amtlichen Stelle der städtischen Gesundheitsverwaltung tätig war, eine Beschwerde. Damit sich der Amtsphysikus selbst vom dargelegten Tatbestand ein Bild machen konnte, übersandte Gruner die heute noch erhalten zwei Päckchen an den Rat der Stadt Dresden.
Welche Ingredienzen zur Herstellung des erfolgreichen Krätzheilmittels notwendig sind und ob der Beklagte Kämpfe tatsächlich eine Rechtswidrigkeit begangen hat, kann nur ein Blick in die Akte verraten.
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Quelle: Sylvia Drebinger-Pieper, Stadtarchiv Dresden, Archivale des Monats März 2021