Skizzenbuch des Gastwirts Ernst Stock im Stadtarchiv Crailsheim

An der frischen Luft unterwegs zu sein war in den letzten Wochen die wichtigste Freizeitaktivität, und das wird es trotz schrittweiser Öffnungen sicherlich noch eine Weile bleiben. Wer sich beklagt, dass sein täglicher Wanderweg bereits Spurrinnen hat, könnte bei wärmeren Temperaturen ja mal prüfen, ob es stimmt, dass in jedem Menschen ein Künstler steckt: Er könnte sich an einem schönen Plätzchen niederlassen und versuchen, seine Umgebung zeichnerisch festzuhalten.

Auf diese Weise ist vor mehr als 100 Jahren Ernst Stock durch Crailsheim und Umgebung gewandert. Dabei hat der damals 80-Jährige ein Skizzenbuch gefüllt – mit Ansichten von Landschaften und Gebäuden, mit Darstellungen von einzelnen oder mehreren Personen oder von Tieren in Feld und Wald. Das Buch wirkt von außen mit seinem beigefarbenen leinenbezogenen Einband eher unscheinbar. Im Inneren sind jeweils auf der rechten Seite die farbenfrohen Bilder zu sehen.

Der Künstler Ernst Stock war kein gelernter Maler, und das sieht man seinen Bildern auch an. Sie wirken oft kindlich-naiv. In der Natur plan liegende Flächen erscheinen manchmal wie hochgeklappt, zudem lässt die starke Betonung der Umrisslinien vor allem die Figuren etwas hölzern wirken. Der besondere Wert des Buches liegt jedoch darin, dass Stock auf manchen Bildern Orte in und um Crailsheim sehr genau und detailreich wiedergegeben hat. Er malte seine Umgebung zu einem Zeitpunkt, als zwar die Fotografie bereits etabliert war, aber dennoch kaum Stadtansichten abgelichtet wurden, sondern überwiegend Personen im Atelier.


Abb.: Zwischen den Stadtansichten findet sich auch diese leuchtende Farbstudie „Über dem Nebel“ (Stadtarchiv Crailsheim)

So sind auf seinen Aquarellen Orte gezeigt, die sich heute in einem völlig veränderten Zustand darbieten. Stock hat die Motive genau bezeichnet, ein Bild ist betitelt als „Blick auf den fränkischen Rigi u. Burgberger Wald, Roßfeld u. Sauerbrunnen von den beiden Bahnwarthäuschen aus an der Linie Mergentheim-Nürnberg“. Ein weiteres Bild zeigt den Diebsturm, an den noch der komplette Wehrgang mit mehreren angebauten Schuppen anschließt und hinter dem das stattliche Wohnhaus der Familie Mülberger zu sehen ist.


Abb.: Ernst Christian Stock malte den Diebsturm, wie er heute nicht mehr zu sehen ist: Mit vollständig erhaltenem Wehrgang und der umgebenden Bebauung (Stadtarchiv Crailsheim)

Dass Stock gerne in Nah und Fern unterwegs war, zeigt sich an der weiteren Auswahl seiner Motive, beispielsweise „Heldenmühle und Auhof“, „Schloß Burleswagen und Neidenfels“, „Dinkelsbühl-Rothenburger Tor“„Zwingenberg an der Bergstraße“.

Interessanterweise malte Stock auch Gastwirtschaften, so den „Wildmannkeller“ am Schwanensee, wo sich jetzt das Albert-Schweitzer-Gymnasium befindet, oder den „Rosenwirtsbierkeller“ neben der Villa von Carl Scheef in der heutigen Bergwerkstraße.


Abb.: Die Bergwerkstraße um 1910: Stock zeigt die Villa Scheef und den Rosenwirtsbierkeller (Stadtarchiv Crailsheim)

Kein Wunder: Ernst Christian Stock war selbst Gastwirt, und zwar von 1862 bis 1881 auf der „Sonne“ in der Langen Straße. Er wurde 1837 in Crailsheim als Sohn des Wildmannwirtes Georg Christoph Friedrich Stock geboren.


Abb.: Ernst Christian Stock war Sohn des „Wildmannwirtes“ und hat die elterliche Gastwirtschaft am Schwanensee im September 1907 gemalt (Stadtarchiv Crailsheim)

1863 heiratete er Karoline Christine, Tochter des Konditors Johann Gerg Stock. Das Paar hatte neun Kinder. Aus dem Besitz der Tochter Bertha, die im Jahr 1900 den Malzfabrikanten Friedrich Cron geheiratet hatte, kamen verschiedene Materialien ins Stadtarchiv Crailsheim, so das als Archivale des Monats März vorgestellte Skizzenbuch und ein gemalter Stammbaum der Familie. Auf letzterem wird die Familiengeschichte bis ins Jahr 1700 zurückgeführt, auf den „Bierbrauer und Gastwirth zum Wildmann“ J. H. Stock.

Ernst Stock hatte genügend Zeit, sich der schönen Muße hinzugeben: Nach einem Insolvenzverfahren lebte er weiter als „Privatier“, das heißt, ohne einer Arbeit nachzugehen von seinem Besitz. Nicht allzu schlecht, wie ein Bild in seinem Skizzenbuch beweist, auf dem er das elegante Interieur seiner Wohnung dargestellt hat, inklusive gusseisernem Ofen und einer luxuriösen goldenen Uhr.


Abb.: Ernst Stock in seiner elegant eingerichteten Wohnung (Stadtarchiv Crailsheim)

Stock hat sein „Scizzenbuch mit 32 Blatt prima Schöller’schen Zeichenpapier“ (so auf der Umschlaginnenseite) im Jahr 1907 begonnen, er hat es jedoch nicht zu Ende geführt. Das letzte datierte Bild stammt aus dem Jahr 1910, ein Jahr vor seinem Tod. Zwar sind alle Blätter bemalt, doch einige Bilder im hinteren Teil des Buches sind nur als schwarze Vorzeichnungen ausgeführt, sie wurden nicht mehr farbig ausgearbeitet – mit Ausnahme des letzten Blattes: Hier hat sich der Künstler vermutlich selbst gemalt: mitten in einer Wiese sitzend, den Malblock auf dem Schoß, den Farbkasten zu seinen Füßen, mit Blick auf zwei mächtige Bäume und eine idyllische Dorfansicht im Hintergrund.


Abb.: Glückliche Stunden in der Natur: Der Maler zeigt sich hier vermutlich selbst bei seiner Lieblingsbeschäftigung (Stadtarchiv Crailsheim)

Kontakt:
Stadtarchiv Crailsheim
Folker Förtsch
Marktplatz 1 (Gebäude: Arkadenbau)
74564 Crailsheim
Tel.: 07951 / 403-1290
www.stadtarchiv-crailsheim.de

Quelle: Stadtarchiv Crailsheim, Aktuelles, Archivale des Monats März 2021

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