Widerstand gegen die Aufführung des Films »Die Sünderin«

Der 1950 uraufgeführte Film „Die Sünderin“ gehörte zu den Skandalfilmen der noch jungen Bundesrepublik. Der Film erzählt die Geschichte der Prostituierten Marina, gespielt von Hildegard Knef (1925-2002), die ihrem lebensmüden Geliebten beim Selbstmord assistiert. Die dominanten Themen des Films, insbesondere Prostitution, Wilde Ehe, Sterbehilfe und Selbstmord sowie Hildegard Knefs Freizügigkeit brachen mit den zeitgenössischen Tabus. Kirchen, Politik und Verwaltung riefen daher – mehr oder weniger stark – zum Boykott des Films auf und forderten ein Aufführungsverbot.


Abb.: Filmplakat (NLA OS Slg 100 I, Osnabrücker Tageblatt Jg. 67, Januar-März 1951, fol. 69v [18.01.1951, S. 8] ; Bildrechte: Niedersächsisches Landesarchiv)

Im Niedersächsischen Landesarchiv, Abteilung Osnabrück, befindet sich die Stellungnahme des Herzog-Film-Verleihs gegen die „Entschliessung vom 19.3.51 wegen des Filmes ‚Die Sünderin‘ etc.“. (NLA OS Dep 76 b Akz. 5/1988 Nr. 243). Unter dem Titel „Die Sünderin“ auf der Anklagebank (1951) wird diese Archivale unter der Rubrik „Aus den Magazinen des Landesarchivs“ im März 2021 vorgestellt.


Abb.: Stellungnahme des Herzog-Film-Verleihs gegen die Entschließung vom 19.03.1951 (Niedersächsisches Landesarchiv, Abteilung Osnabrück)

Auch in den konfessionell geprägten ländlichen Regionen des Regierungsbezirkes Osnabrück sorgte der Film für gesellschaftliche Auseinandersetzungen und wurde als Frontalangriff auf die Grundwerte der jungen Demokratie gesehen. In Lingen und in Nordhorn veranlassten die Stadträte im März 1951 polizeilich angeordnete Aufführungsverbote und empfahlen allen emsländischen Kommunen, die Aufführung des Films zu verbieten.

Während der Rat der Stadt Nordhorn dieses Verbot bereits im Mai 1951 auf Anraten der Hannoverschen Städte- und Kommunalverbände wieder zurücknahm, blieben Rat und Kreistag in Lingen bei ihrer kompromisslosen Linie und wiesen die Beschwerden des Herzog-Film-Verleihs gegen das Verbot zurück. Im Januar 1952 bestätigte das Landesverwaltungsgericht in Osnabrück die Rechtswirksamkeit dieses Verbots (NLA OS Rep 970 Nr. 3 Teil 1). Dem widersprach allerdings das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg im November 1952: Der Polizei stünde bei geistigen Gütern nicht das Recht zu, eine Zensur auszuüben, zumal auch die öffentliche Ordnung durch den Film nicht gefährdet gewesen sei. Polizei und Verwaltungsgerichte stehe „das Amt des Sittenrichters und des Zensors nicht zu“ (NLA OS Rep 970 Nr. 3 Teil 1).

Erst eine Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Dezember 1954 beendete die Diskussion: „Die Sünderin“ sei keine Meinungsäußerung, sondern gelte als Kunstwerk und sei damit durch die Kunstfreiheit geschützt. Einem polizeilichen Einschreiten gegen einen Film fehle damit die rechtliche Grundlage.

Kontakt:
Niedersächsisches Landesarchiv – Abteilung Osnabrück
Schloßstr. 29
49074 Osnabrück
Tel.: 0541 / 33 162 0
Fax: 0541 / 33 162 62
Osnabrueck@nla.niedersachsen.de

Quelle: Aus den Magazinen des Landesarchivs, Abteilung Osnabrück, März 2021

Spitallagerbuch von 1534 im Stadtarchiv Weil der Stadt

Im Namen der Hailigen Treyfaltigkait …

Zu den ältesten Bänden des Stadtarchivs Weil der Stadt zählen das St. Peters Pfarrkirchen-Lagerbuch aus dem Jahr 1533 und das im Folgenden vorgestellte Spitallagerbuch von 1534. Das jüngere Spitallagerbuch befindet sich ebenfalls im Bestand Bände Weil der Stadt und entstammt dem Jahr 1748.


Abb.: Spitallagerbuch aus dem Jahre 1534 (Stadtarchiv Weil der Stadt, Bestand WB – Bände Weil der Stadt)

Das ältere Spitallagerbuch des Weiler „Spittls“ ist innerhalb der Bestände des Stadtarchivs Weil der Stadt dem Bereich „Bände“ eingruppiert. Die Bände- oder Buchüberlieferung in den Verwaltungsakten setzt Mitte des 14. Jahrhunderts ein. Voraussetzung für diese neue Gattung an Verwaltungsschriftgut war unter anderem, dass nun Papier als Beschreibstoff (anstelle des Pergaments für die Urkunden) zur Verfügung stand.

Bei den Lagerbüchern handelt es sich um Besitzverzeichnisse, die jedoch noch weitere Funktionen mit abdeckten: Nicht allein die liegenden Güter oder Gebäude eines Besitzers werden darin aufgeführt, sondern auch sämtliche Einkünfte, Rechte und Pflichten, die damit verbunden sind [Regina Keyler, Lagerbücher, in: Südwestdeutsche Archivalienkunde, URL: [https://www.leo-bw.de], Stand: 2005].

Demnach verzeichnet das Spitallagerbuch Güter und Gebäudebesitz des Weiler Spitals, aber auch mit dem Besitz verbundene Rechte und Pflichten an die das Spital gebunden war oder die es einfordern konnte – zum Beispiel auch Zehntabgaben.

Das Spitallagerbuch wurde im Jahre 1534 durch Syndicus Martin Zwyffel angelegt. Die Jahreszahl der Entstehung ist zum einen in Hinblick auf die weitest gehende Zerstörung des Schriftguts beim Stadtbrand im Jahre 1648 von großem Interesse, da das Stadtarchiv nur über wenige schriftliche Zeugnisse aus der Zeit vor dem Brand verfügt. Zum anderen ist die Zeit um 1534 vom Umbruch zwischen Mittelalter und Neuzeit gekennzeichnet und somit von spannenden Veränderungen geprägt – die Einträge im Spitallagerbuch reichen natürlich auch in die Vergangenheit zurück und liefern somit auch Informationen aus dem ausgehenden Mittelalter.

Das Spitallagerbuch wurde bereits in den 1950er Jahren durch Dietrich Mannsperger. in einem Artikel der Mitteilungen des Heimatvereins Weil der Stadt, Ausgabe 9/1954 vorgestellt. Dieser Artikel steht am Ende des Artikels als pdf-Datei bereit. Dietrich Mannsperger (*1933) ist der Sohn des Weil der Städter Rektors Eugen Mannsperger, er war Akademischer Direktor am Archäologischen Institut und Honorarprofessor an der Universität Tübingen.

Mannsperger bezieht sich darin kurz auf den Stadtschreiber Martin Zwyffel sowie auf die Umstände der Gründung des Weiler Spitals. Aus dem Spitallagerbuch speist sich auch die Information über die Spitalgründung im Jahre 1371 und die Stifterin Hail Brodbeckin (Blatt 354 v). Die Restaurierung des Bandes, die der örtliche Buchbinder und Ökonomieverwalter Anton Gall (1870-1958) in den 1950er Jahren vorgenommen hat, nimmt in Mannspergers Artikel viel Raum ein. In der Tat ist das Archival bereits in seiner äußeren Erscheinung mehr als beeindruckend. Der Band umfasst 800 Blatt (d.h. nach heutiger Buchseitenzählung 1600 Seiten) und ist im Format „Quart“ gebunden, der Buchrücken weist eine Höhe von 29 cm auf, dabei ist das Werk knapp 17 cm dick. Die Fotos auf dieser Seiten liefern einen guten Eindruck dieses prächtigen Bandes.

Auf dem Vorsatzblatt im Inneren des Bandes sieht man die älteste Darstellung des Weiler Stadtwappens in seiner dreiteiligen Form.


Abb.: Erstmalige Darstellung des Weiler Wappens im Titelvorsatz des Spitallagerbuchs, Spitallagerbuch Blatt 271 r (Stadtarchiv Weil der Stadt, Bestand WB – Bände Weil der Stadt)

Die Gallsche Restaurierung, welche in den 1950er Jahren vorgenommen wurde, entspricht leider nicht den heutigen Anforderungen, die an die Restaurierung eines solch wertvollen Bandes gestellt werden. Nichtsdestotrotz ist eine Nutzung des Bandes durch die Restaurierungsmaßnahmen erleichtert worden, und der mehr als 450 Jahre alte Band befindet sich in einem guten Zustand.

Für diese gute Erhaltung des Lagerbuchs ist auch die hervorragende Papierqualität des im 16. Jahrhundert verwendeten Papiers verantwortlich. Diese handgeschöpften Papiere, die einen hohen Textilanteil aufweisen, sind den ab Mitte des 19. Jahrhunderts massenhaft hergestellten säurehaltigen Papieren des industriellen Zeitalters weit überlegen. So kann das Spitallagerbuch bei guten Lagerungsbedingungen auch in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten als wertvolle Quelle und Zeugnis einer längst vergangenen Zeit dienen.

Um wenigstens einen kleinen Eindruck über die in diesem Lagerbuch festgehaltenen umfangreichen Informationen zu gewinnen soll im Folgenden ein Eintrag zum Ihinger Hof vorgestellt werden. Der Ihinger Hof, heutige Versuchsstation der Universität Hohenheim, war ab spätestens 1379 als Württembergisches Lehen an Weil der Stadt vergeben, das Weiler Spital arrondierte den Besitz und wurde über die Jahre auch zum Grundbesitzer. Somit war der Hof bis zum Jahre 1649 in Besitz des Weiler Spitals, die mit dem Besitz des Ihinger Hofs zusammenhängenden Rechte und Pflichten finden sich demnach im Spitallagerbuch.


Abb.: Spitallagerbuch Blatt 271 r (Stadtarchiv Weil der Stadt, Bestand WB – Bände Weil der Stadt)

Der im Folgenden transkribierte Eintrag befindet sich auf Seite 271r des Bandes, die Transkription erfolgte aus der im 16. Jahrhundert gebräuchlichen gotischen Kursive in unsere heute gebräuchliche Antiqua-Schrift.

TRANSSKRIPTION

Eyhingen
In dem Weyler Eyhingen genannt
das zwischen der statt Weyl unnd dem
dorf magstatt liegt, seyen alle Heuser.
Scheuren, Stadel unnd was in dem selben
Etter (ausserhalb der kirchen) begriff=
en, dem Spittal zu weyl zustendig und
gehörig, über alle ober und herligk=
hait, in disem weyler Eyhingen unnd
Desselben Zwing unnd Bann, hat ain
Erbar Rath der Statt Weyl was dann
das von dem Herzogshaus Wür=
temberg zu mannlehen haben und
tragen
Zehendt
Das spittal zu weyl, hat auch ain vor=


Abb.: Spitallagerbuch_Blatt 271v und Blatt 272_r (Stadtarchiv Weil der Stadt, Bestand WB – Bände Weil der Stadt)

Zehenden zu Eyhingen und uff dem […]
derselben mark, nemlich an
[Rapsen] siebenzig zwo garben, an dink=
el nichts, an haberen sibenzig und
zwo garben, dies das spittal vor allem
anderen Zehenden hindan zue nemmen
hat, der ist in dem Thail von abbt und
Comment des closters herrenalb uff
das spittal kommen, […] Brieffs, den
find man am 650 plat.
Unnd weytter (nach dem die Kirch zu Eyhing=
en, der pfarr, in der statt weyl incor=
poriert, unnd derselb pfarrer schuldig
ist dem […] daselbst zu Eyhingen
Mit allen pfarrrechten vor […], und
Allen Sonntag das Evangelium alda
Zu postulieren) aller grosser und kleiner
Zehendt zu Eyhingen unnd der mark=
ung, aim pfarrer zu weyl gehörig,
[…] den […] Bauren,
die seyen des grossen zehenden frey, unnd
fur den kleinen Zehenden, ist der
widmayer ain pfarrer, ain bestimpt
gelt […] zugeben

Kontakt:
Stadtarchiv Weil der Stadt
Kapuzinerberg 1
71263 Weil der Stadt
Tel.: 07033 / 309-188
Fax: 07033 / 309-190
stadtarchiv@weilderstadt.de

Quelle: Mathias Graner, Stadtarchiv Weil der Stadt, Archivale des Monats März 2021, 2.3.2021

Wechsel an der Spitze des Amberger Stadtarchivs

Nach langen Jahren der Kontinuität vollzieht sich ein Wandel an der Spitze des Stadtarchivs Amberg. Dr. Johannes Laschinger, seit fast 35 Jahren Leiter der Einrichtung, tritt Ende des Monats März 2021 seinen Ruhestand an und überreicht den Staffelstab an Privatdozent Dr. Andreas Erb, der bereits zum 1.3.2021 zur Stadt Amberg wechselte. Oberbürgermeister Michael Cerny nahm die Gelegenheit zum Anlass, Dr. Laschinger für seinen überaus engagierten Einsatz in all den Jahren zu danken und dessen Nachfolger bei der Stadt Amberg willkommen zu heißen.


Abb.: Oberbürgermeister Michael Cerny (links) bedankt sich beim langjährigen Leiter des Amberger Stadtarchivs Dr. Johannes Laschinger, für dessen langjährige Tätigkeit im Dienst der Stadt Amberg (Foto: Susanne Schwab, Stadt Amberg)

Dr. Johannes Laschinger hatte nach einem Lehramtsstudium für die Fächer Geschichte und Deutsch an Gymnasien und seiner Promotion an der Universität Regensburg noch während seines Referendariats bei der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns am 1. Mai 1986 die Leitung des Amberger Stadtarchivs und des damals neu zu konzipierenden Stadtmuseums übernommen. Im Rahmen seiner langjährigen Tätigkeit widmete er sich voll und ganz der Stadtgeschichte und deren Dokumentation sowie dem Erhalt wichtiger zeitgeschichtlicher Unterlagen aus dem städtischen Leben.

Um sein Wissen auch anderen zugänglich zu machen und diese für die Stadtgeschichte zu begeistern, gab Dr. Laschinger ab 1987 Kurse an der Volkshochschule Amberg. Ebenso bildete er die Amberger Stadtführerinnen und Stadtführer seit vielen Jahren im Bereich Stadtgeschichte aus. Darüber hinaus brachte er sein Wissen in mehr als 130 Publikationen zum Ausdruck. Bei Archivtagungen, Einweihungen, Jubiläen und Ausstellungseröffnungen war Dr. Laschinger als Redner gefragt, in verschiedenen Vereinigungen und Gremien schätzte man ihn als Mitglied.

Überdies war der scheidende Stadtarchivar seit 1994 in die Planung und Durchführung des „Tags des offenen Denkmals“ eingebunden. Bei seinen Führungen begeisterte er seine Zuhörerinnen und Zuhörer mit kurzweiligen Erzählungen und humorvollen „G’schichten“, die jedoch immer auf überprüfbaren Fakten der Stadtgeschichte fußten. Nicht zuletzt fiel auch der Umzug des Stadtarchivs aus den hochwassergefährdeten Räumlichkeiten an der Zeughausstraße in das neue Domizil im ehemaligen Kurfürstlichen Wagenhaus am Paulanerplatz in die Zuständigkeit von Dr. Johannes Laschinger.

Abb.: Der neue Leiter des Amberger Stadtarchivs Privatdozent Dr. Andreas Erb (Foto © Susanne Schwab, Stadt Amberg)

Laschingers Nachfolger Dr. Andreas Erb wurde im pfälzischen Bad Dürkheim geboren und besuchte nach der Grundschule in Ruppertsberg und Deidesheim das Gymnasium in Neustadt an der Weinstraße. Er studierte nach Abitur und Zivildienst ab Oktober 1990 Germanistik, Philosophie und Geschichte an der Universität Mannheim, wo er 1998 im Fach Geschichte promovierte. Noch im selben Jahr wechselte Dr. Erb nach Dresden und nahm dort am Sächsischen Hauptstaatsarchiv sowie an der TU Dresden sein Referendariat auf.

Es folgten Tätigkeiten als stellvertretender Abteilungsleiter im Sächsischen Bergarchiv Freiberg und am Staatsarchiv in Chemnitz, bevor der neue Stadtarchivar Leiter der Abteilung Dessau am Landesarchiv Sachsen-Anhalt wurde. Zum Wintersemester 2018/2019 nahm Dr. Erb, der ebenfalls auf eine stattliche Anzahl von Veröffentlichungen blicken kann, eine Lehrtätigkeit im Masterstudiengang Denkmalpflege an der Hochschule Anhalt auf. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt in Amberg, der von dem Wasserrohrbruch in dem neuen Archivgebäude überschattet wurde, bekam er nach erfolgreichem Abschluss seines Habilitationsverfahrens den Titel Privatdozent zuerkannt.

In Amberg wird es nun zu den Aufgaben von Dr. Andreas Erb gehören, die Digitalisierung voranzutreiben und „sicherzustellen, dass die digitalen Daten auch unseren Nachfolgern erhalten bleiben“, wie es Oberbürgermeister Michael Cerny formulierte. Dabei freilich wird dem neuen Leiter des Stadtarchivs eines helfen. „Ich fühle mich bereits gut angekommen, freue mich über motivierte Mitarbeiter und auf meine künftigen Aufgaben“, bekannte Dr. Erb bei seinem Antrittsbesuch bei OB Cerny und zeigte sich begeistert über die Tatsache, „mitten in dieser schönen Stadt“ bereits ein neues Zuhause gefunden zu haben.

Kontakt:
Stadtarchiv Amberg
Paulanerplatz 17
92224 Amberg
Tel. 09621 10-1267 oder 10-1827
Fax 09621 37600-267
stadtarchiv(at)amberg.de

Quelle: Stadt Amberg, News, 25.3.2021

Schreibbuch für Johanna Christiana Scheibler im Stadtarchiv Halle (Saale)

Farbenprächtig und ganz dem Zeitgeschmack des Rokoko verpflichtet ist das „Schreibe Buch für Johanna Christiana Scheiblerin“ aus der zeitgeschichtlichen Sammlung des Stadtarchivs Halle (Saale). Das Datum, 12. März 1771, lässt auf den Anlass für die Entstehung des Büchleins schließen.


Abb.: Einband des Schreibbuchs, 15,4 x 19,5 cm, Aquarellmalerei (Stadtarchiv Halle (Saale))

Johanna Christiana Scheibler wurde am 13. März 1747 als Tochter des Buchdrucker-Gesellen Johann Wilhelm Scheibler in der Hallenser Moritzkirche getauft und somit mutmaßlich einen Tag zuvor geboren. Durch Ausübung seines Handwerks war der Vater wie auch andere mit der Buchherstellung in Halle beschäftigte Handwerker „civis universitätis“, also Universitätsbürger, und unterstand damit der Gerichtsbarkeit der Alma Mater hallensis.

Wer der Johanna Christiana Scheibler das Büchlein zum 24. Geburtstag verehrte, lässt sich nur vermuten. Es könnte ein Mitglied der Familie oder ein Student der halleschen Universität gewesen sein. Ebenso unbekannt ist der Schöpfer des Einbandbildes. Möglicherweise geht die Gestaltung des Buchdeckels auf einen Universitätsmaler zurück, der sonst Stammbücher hallescher Studenten mit Miniaturmalereien versah.
Ein Rocaille-Rahmen mit Füllhorn- und Blumenranke umgibt die verschnörkelte Schrift des Einbands. Dazu ist rechts eine Dame mit langem ausladendem Kleid an einem Schreibtisch sitzend dargestellt. Das vor ihr aufgeschlagene Heft zeigt nochmals den Namen der Besitzerin. Zu Kreativität und Inspiration beim Füllen der Seiten sollte wohl symbolisch der über ihr schwebende Vogel mit Schreibfeder verhelfen.

Entgegen der dekorativen Einbandgestaltung ist der Inhalt rein praktischer Natur. Die Eintragungen enthalten Rezepte für Quitten- und Birnenkompott ebenso wie für Schwarzbrot-Pudding, feinen Apfelkuchen und Kartoffeltorte. Dazwischen finden sich Anleitungen etwa für die Reinigung von Tuchkleidern und Seidenbändern, Beseitigung von Eier-Flecken auf silbernen Löffeln und Reparatur zerbrochener Gläser.

Wie die gleichbleibende Handschrift sowie gelegentliche Datierung mehrerer Einträge zeigen, wurde dieses kleine Vademecum der Hauswirtschaft über Jahrzehnte hinweg bis in die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts geführt. Als spätere Schreiberin kommt eine Auguste Adam aus Leisnig in Frage, die vereinzelt unterzeichnete. Das Büchlein belegt die auf Küche und Haushalt fokussierte Rolle der Frau im 18./19. Jahrhundert.

Kontakt:
Stadtarchiv Halle (Saale)
Rathausstraße 1
06108 Halle (Saale)
Tel.: 0345 / 221-3300

Postanschrift
Stadt Halle (Saale)
Stadtarchiv
06100 Halle (Saale)

Quelle: Stadtarchiv Halle (Saale), Archivale des Monats März 2021

Podcast über die Prämonstratenser in Ratzeburg

Ratzeburgs Stadtarchivar Christian Lopau erinnert mit einer ersten Podcast-Archivale an das prägende Wirken des Prämonstratenserordens in Ratzeburg mit Blick auf dessen 900jährige Geschichte und seine maßgebliche Beteiligung bei der Erbauung des Ratzeburger Domes ab 1160 durch Bischof Evermod

Der romanische Dom ist das Wahrzeichen Ratzeburgs. Ganz gleich, ob man sich der Stadtinsel von Westen oder von Osten nähert, bestimmt der Dom die beeindruckende Silhouette der von Seen umgebenden Stadt. Vor dem Dom erinnert das Löwenstandbild an Herzog Heinrich den Löwen, der 1154 das Bistum Ratzeburg gründete und den Prämonstratenser Evermod zum ersten Bischof berief. Evermod, der zuvor Propst des Klosters ‚Unser Lieben Frauen‘ in Magdeburg und einer der wichtigsten Gefolgsleute Norberts von Xanten gewesen war, konnte um 1160 mit dem Bau des Doms beginnen, der heute als herausragendes Zeugnis der Backsteinarchitektur in Norddeutschland gilt. Rund sechs Jahrzehnte dauerte der Bau des Doms, ehe mit der Fertigstellung der Eingangshalle im Süden der Abschluss vollendet wurde (Abb.: Erbauung des Ratzeburger Doms unter Bischof Evermod in der niederdeutschen Sassen-Chronika von 1489).

Die Prämonstratenser in Ratzeburg:
Ein Podcast in fünf Teilen

  1. Teil: Die Prämonstratenser in Ratzeburg
  2. Teil: Die Prämonstratenser in Ratzeburg
  3. Teil: Die Prämonstratenser in Ratzeburg
  4. Teil: Die Prämonstratenser in Ratzeburg
  5. Teil: Die Prämonstratenser in Ratzeburg

Nach Norden schließen sich an den Dom die Klostergebäude an, deren Baubeginn um 1250 datiert wird. Hier lebten und wirkten die Prämonstratenser, aus deren Mitte fast alle Ratzeburger Bischöfe hervorgingen, ehe der letzte von ihnen zum Protestantismus übertrat und sein Amt aufgab. Drei der Ratzeburger Bischöfe wurden heiliggesprochen: Evermod, Isfried und Ludolph.

Von den insgesamt 29 Bischöfen des Bistums Ratzeburg wurden 25 im Ratzeburger Dom beigesetzt. 23 Grabplatten, zum Teil aufwendig gestaltet, sind bleibende Zeugnisse ihres Wirkens. Teile der Ausstattung des Doms stammen ebenso aus prämonstratensischer Zeit wie die Wandmalereien im Kreuzgang.


Abb.: Die Grabplatte von Bischof Evermod im Altarbereich des Ratzeburger Doms (Foto: Hans-Jürgen Wohlfahrt)

Den Orden der Prämonstratenser gibt es bis heute. 2021 begeht er sein 900jähriges Gründungsjubiläum, ein Ereignis, dass sich als prägend für Ratzeburgs Stadtgeschichte erweisen sollte. Mit diesem Archivale, die in Form eines Podcasts in mehreren Teilen gestaltet ist, soll an die Bedeutung der Prämonstratenser erinnert werden. Ergänzend sind Fotografien aus dem Bestand von Hans-Jürgen Wohlfahrt zu sehen, den das Ratzeburger Stadtarchiv verwaltet. Wohlfahrt hat 1978, im Zuge eines Besuchs von Mönchen des Prämonstratenserordens anlässlich des 800. Todestages von Bischof Evermod, Aufnahmen im Ratzeburger Dom zu diesem Thema gemacht.


Abb.: Mönche des Prämonstratenserordens im Ratzeburger Dom anläßlich des 800. Todestages von Bischof Evermod im Jahr 1978 in Ratzeburg (Foto: Hans-Jürgen Wohlfahrt)

Unter der reichen Innenausstattung des Domes ist das älteste Chorgestühl Norddeutschlands besonders bemerkenswert. Ein überdachter gotischer Dreisitz aus der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts zeigt an den Seitenwangen eine Reliefdarstellung der Wurzel Jesse bzw. einen Bischof (möglicherweise Evermod) mit Eichbaum darüber.


Abb.: Eine Darstellung Bischofs Evermods (Foto: Hans-Jürgen Wohlfahrt)


Abb.: Eine mögliche Darstellung Bischofs Evermods im gotischen Chorgestühl des Ratzeburger Doms (Foto: Hans-Jürgen Wohlfahrt)

Der Domhof als nördlicher Teil der Ratzeburger Stadtinsel strahlt bis heute die geistliche Prägung aus, die dieser Ort über Jahrhunderte erfahren hat. Zu dieser Atmosphäre der Ruhe und Besinnung tragen auch die zahlreichen kirchlichen und kulturellen Einrichtungen bei, die hier ihr Domizil haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg an der innerdeutschen Grenze gelegen, hat Ratzeburg nach der Grenzöffnung 1989 seine verbindende Funktion zwischen Ost und West wiedergefunden. Dies kam auch darin zum Ausdruck, dass im Dom 2012 die Gründung der Nordkirche vollzogen wurde.

Kontakt:
Stadtarchiv Ratzeburg
Unter den Linden 1
23909 Ratzeburg
Tel.: 04541 / 8000-350
lopau@ratzeburg.de

Quelle: Mitteilungen, Stadt Ratzeburg, Archivale 02/2021, Stadtarchiv Ratzeburg, 17.3.2021

Eröffnung des neuen Digitalladens der Stadt Aschaffenburg

Digitales Stadtlabor, Ideenschmiede und Schnittstelle zwischen analoger und digitaler Welt  – das soll der neue Digitalladen der Stadt Aschaffenburg sein. Während der Austausch vor Ort noch auf unbestimmte Zeit eingeschränkt sein wird, kann die neue Anlaufstelle für Bürger*innen am Roßmarkt 11 schon digital eröffnet werden.


Abb.: Logo + Claim, Digitalstrategie, Stadt Aschaffenburg

Ein kleiner Film gibt erste Einblicke in die Arbeit. Die Themen des Digitalstrategie-Teams von Bürgermeister Eric Leiderer reichen von der Digitalisierung der Verwaltung über Online-Bürgerdienste und Beteiligungsformen bis hin zum dialogorientierten Smart-City-Konzept der Stadt. Das im Herbst 2020 gestartete Stadtlabor „Aschaffenburg 2.0“ des Stadt- und Stiftsarchivs Aschaffenburg hat ebenfalls den Digitalladen am Roßmarkt 11 bezogen. Die stadtgeschichtliche Beteiligungsplattform, die bereits 90 Beiträge aufweisen kann, soll nicht nur mitten in der Stadt „verankert“, sondern auch weiterentwickelt werden. Aktuell laufen diverse Podcast-Aufnahmen an.


Abb.: Digitalladen, Roßmarkt 11 (Foto: Stadt Aschaffenburg)

Bürgermeister Eric Leiderer weist als zuständiger Digitalreferent unter anderem auf das neue Digitalformat „Lebensgeschichten der Digitalisierung“ hin: „Hier soll durch einen Blick auf die technischen Entwicklungen und Prozesse der vergangenen Jahrzehnte Mut gemacht werden, den rasanten digitalen Wandel der Gegenwart anzunehmen und besser zu verstehen. Der Digitalladen wird auch in diesem Sinn die Basis einer umfassenden, dialogorientierten Beteiligung der Bürger*innen sein. Das digitale Stadtlabor „Aschaffenburg 2.0“ des Stadt- und Stiftsarchivs wird dabei als Schnittstelle und Ort der digitalen Stadtkultur vernetzend wirken.“

Dr. Joachim Kemper, Leiter des Stadt- und Stiftsarchivs ergänzt: „Das Schlagwort #closedbutopen hat in der Corona-Pandemie in den Sozialen Medien auf die Schließung von Kultureinrichtungen verwiesen, bei gleichzeitiger Erweiterung der digitalen Angebote. Die Pandemie ist, ungeachtet aller Einschränkungen und Begleitfolgen, zu einem Motor der digitalen Entwicklung geworden. Erst vor wenigen Tagen haben wir für das Stadtlabor die Zusage einer Bundesförderung in Höhe von 75.000 Euro für dieses Jahr erhalten. Dies zeigt, dass unser digital-analoges Konzept am Roßmarkt 11 stimmig ist und auch überregional Beachtung findet.“

„Roßmarkt 11 – Digitales Stadtlabor und Ideenschmiede“ ist abrufbar im städtischen Videokanal (https://youtu.be/KIfy-94woLY)

Kontakt und weitere Informationen:
Stadt Aschaffenburg
Referat 3: Amt für IT und Digitalstrategie / Stadt- und Stiftsarchiv
sonja.roehm@aschaffenburg.de
joachim.kemper@aschaffenburg.de

Quelle: Stadt Aschaffenburg, Pressemitteilung, 25.3.2021

Neuer Stadtarchivar in Schwäbisch Gmünd

Dr. Niklas Konzen ist der neue Leiter des Stadtarchivs Schwäbisch Gmünd. Der Gemeinderat wählte den 43-jährigen Dozenten der Archivschule Marburg zum Nachfolger des bisherigen Archivleiters Dr. David Schnur, der als stellvertretender Leiters des Landesarchivs Saarland nach Saarbrücken wechselt.

Blumen für den neuen Stadtarchivar von Schwäbisch Gmünd, Dr. Niklas Konzen (Foto: Amt für Medien und Kommunikation Schwäbisch Gmünd)

Dr. Niklas Konzen studierte Geschichte, Anglistik und Politikwissenschaft an der Uni Tübingen, und war dort und an der Uni Stuttgart von 2011 bis 2013 als Dozent tätig. von 2010 bis 2013 beteiligte er sich außerdem als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem Erschließungsprojekt am Landesmuseum Württemberg / Hauptstaatsarchiv Stuttgart, betreute im Anschluss das Stihl-Unternehmensarchiv, arbeitete 2016 in einem Erschließungsprojekt am Hauptstaatsarchiv Stuttgart und ist seit 2016 als Dozent an der Archivschule Marburg in der Ausbildung von Archivarinnen und Archivaren tätig.

Die zentrale historische Person seiner Dissertation klingt dabei den Gmünderinnen und Gmündern nicht unbekannt: Die Arbeit zur spätmittelalterlichen südwestdeutschen Landesgeschichte erschien 2014 unter dem Titel „Aller Welt Feind. Adlige Fehdenetzwerke um Hans von Rechberg († 1464) im Kontext der südwestdeutschen Territorienbildung“ bei der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Diese Forschungen zu den Herren von Rechberg und den schwäbischen Reichsstädten führten ihn auch nach Schwäbisch Gmünd, wo er auf Einladung des Geschichtsvereins Anfang 2015 die Dissertation vorstellte.

Dr. Niklas Konzen zeigte sich über die Wahl und die neue Herausforderung sehr erfreut: „Als Historiker bin ich begeistert von dem historischen Überlieferungspotenzial des Archivs einer alten schwäbischen Reichsstadt, in dessen Erforschung und Vermittlung ich zudem meine eigenen regionalen und thematischen Forschungsschwerpunkte sinnvoll einbringen kann.“

Kontakt:
Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd
Augustinerstraße 3
73525 Schwäbisch Gmünd
Tel.: 07171 603-4150
Fax: 07171 603-4159
stadtarchiv@schwaebisch-gmuend.de

Quelle: Stadt Schwäbisch Gmünd, Pressemitteilung, 25.3.2021

Als die städtische Wasserversorgung in Wasserburg am Inn am Drahtseil hing

Die Unterbrechung der städtischen Hauptwasserleitung beim Einsturz der Innbrücke 1929.

Im März 1929 beschädigte ein Eisstoß die Wasserburger Innbrücke schwer und brachte sie teilweise zum Einsturz. Dabei riss auch die städtische Hauptwasserleitung ab, die über die Brücke geführt und die Altstadt mit Quellwasser versorgt hatte. Als Ersatz installierte die Stadt Wasserburg am Inn unmittelbar nach dem Einsturz eine Notwasserleitung. Dazu wurden Feuerwehrschläuche an einem Drahtseil befestigt, das auf einer Länge von 140 Meter über den Inn gespannt wurde. Entgegen aller Befürchtungen erwies sich diese Behelfskonstruktion als äußerst zuverlässig und sicherte für mehrere Monate die Versorgung der Altstadtbewohner mit sauberem Trinkwasser.

Die für die Notleitung verwendeten Feuerwehrschläuche der Marke Tabaria lieferte der Wasserburger Seilermeister Franz Koloseus. Obwohl selbst der Hersteller keine Garantie dafür abgeben wollte, überstanden die Schläuche den mehrmonatigen Dauereinsatz schadlos. Einen besseren Nachweis für die Qualität seiner Ware hätte sich Koloseus vermutlich kaum wünschen können. Entsprechend selbstbewusst trat er einige Monate nach dem Abbau der Behelfskonstruktion auch an die Stadt Wasserburg heran und bat um Bestätigung dieser außergewöhnlichen Leistung. Das Stadtbauamt entsprach seiner Bitte und stellte Ende Januar 1930 ein Zeugnis über die hervorragende Qualität der verwendeten Schlauchleitungen aus.


Abb.: Zeugnis des Stadtbauamtes Wasserburg für den Sailermeister Franz Koloseus, in dem die hervorragende Qualität der Schlauchleitungen bestätigt wurde, die 1929 für mehrere Monate die Wasserversorgung der Stadt Wasserburg sichergestellt hatten (StadtA Wasserburg a. Inn, II1679)

Diese hätten sich „in Bezug auf Dicht- u. Haltbarkeit über alle Erwartungen vorzüglich bewährt, so dass diese Qualität zur Verwendung bestens empfohlen werden kann.“ Es versteht sich von selbst, dass Koloseus dieses Gütesiegel sogleich an prominenter Stelle in die Werbebroschüre seines Spezialgeschäfts für Feuerlösch-Ausrüstungen aufnahm.


Abb.: Zusammenstellung zweier Ausschnitte aus der Werbebroschüre von Franz Koloseus. Auf der Titelseite ist die Behelfsleitung aus vier Feuerwehrschläuchen zu erkennen, die an einem Drahtseil über den Inn gespannt wurde. Auf der Rückseite sind Passagen aus dem Zeugnis des Stadtbauamtes Wasserburg und der Berichterstattung des Wasserburger Anzeigers zur Qualität der Behelfsleitung abgedruckt (enthalten in der Sammlung StadtA Wasserburg a. Inn, VI3937)

In gewisser Weise zog Franz Koloseus damit auch einen Schlussstrich unter eines der markantesten Kapitel der jüngeren Stadtgeschichte. Der Einsturz der Innbrücke im März 1929, der das Leben der Wasserburger Bevölkerung für einige Monate aus den gewohnten Bahnen geworfen hatte, war im Frühjahr 1930 wohl ausreichend überwunden, sodass Koloseus den Blick zurück auf die jüngste Katastrophe nun ganz pragmatisch dafür nutzte, zukünftige Geschäfte anzubahnen. Ob das Zeugnis des Wasserburger Stadtbauamtes ihm wirklich zu besseren Umsätzen verhalf, geht aus den städtischen Akten im Stadtarchiv Wasserburg am Inn nicht hervor. Es eröffnet jedoch eine interessante Perspektive darauf, in welch vielfältiger Weise sich der Einsturz der Innbrücke 1929 auf den Alltag in Wasserburg auswirkte.

Quelle/Ausführlicher hierzu: Johannes Böhm, Unterbrechung der Hauptwasserleitung, publiziert am 22.03.2021 [=Tag der letzten Änderung(en) an dieser Seite]; in: Historisches Lexikon Wasserburg

Kontakt:
Stadtarchiv Wasserburg am Inn
Kellerstraße 10
83512 Wasserburg a. Inn
Tel.: 08071 / 920369
Fax: 08971 / 920371
www.wasserburg.de/stadtarchiv

Quelle: Nachrichten aus dem Stadtarchiv Wasserburg am Inn, Archivalie des Monats März 2021

Illegaler Medikamentenhandel in der Dresdner Friedrichstadt um 1835

Wenn es juckt und brennt, fragen Sie einen Arzt oder Apotheker – aber bitte einen Seriösen!

In Zeiten der anhaltenden Corona-Pandemie richten sich die Fragen zum Umgang mit Krankheiten und den damit einhergehenden Folgen nicht nur an die medizinische Wissenschaft und Forschung, sondern zunehmend auch an den Erfahrungsschatz der Geschichtswissenschaft. Im Zuge von Recherchen nach pandemiebezogenen Quellen im Stadtarchiv Dresden gelang den Mitarbeitern ein kleiner Sensationsfund.


Abb.: Knapp 200 Jahre überdauerten die zwei Päckchen mit Tee und Pulver gegen Krätze als Beweismittel für einen vermeintlich unlauteren Medikamentenhandel in den Akten des Stadtarchivs Dresden (Foto: Elvira Wobst)

Sie entdeckten, dass eine Akte aus dem Ratsarchiv mit dem Titel „Acta von Handel mit Medikamenten“ zwei kleine papierne Faltumschläge enthält. Der Inhalt war durchaus überraschend, handelt es sich doch um eine Teemischung sowie um ein Pulver zur Behandlung von Skabies, umgangssprachlich „Krätze“ genannt. Erste Erkenntnisse zur Erforschung dieser Krankheit gelangen dem italienischen Forscher Giovanni Cosimo Bonomo (1666 bis 1696), der mittels Mikroskop ein kleines Tierchen entdeckte, das sich in der Oberschicht der Haut verbarg und als Verursacher der Beschwerden identifiziert werden konnte. Aus den neuen Informationen eine Behandlungsstrategie abzuleiten, vermochte allerdings erst der Wiener Mediziner Ferdinand von Hebra (1816-1880) um 1850. Bis dahin musste auf Rezepturen zurückgegriffen werden, die bereits seit dem Mittelalter im Umlauf waren und für alle Anbietenden ein gutes Geschäft bedeuteten.

Im vorliegenden Fall verkaufte ein selbsternannter „Ober-Wundarzt“ namens Kämpfe, wohnhaft in der Dresdner Friedrichstadt im Haus Nr. 43 neben der Apotheke, ein Mittel gegen besagte Krätze. Um sich von dem juckenden und quälenden Übel zu befreien, zahlten die Käufer kleine Vermögen, weit über ihre Zahlungsfähigkeit hinaus. Aufmerksam auf diese Machenschaften wurde ein Arzt namens Gustav Friedrich Gruner durch einen medizinischen Notfall in der Weißeritzstraße 64. Nachdem sich die unter Nervenfieber leidende Patientin erholt hatte, berichtete sie Gruner, dass sie Medikamente eingenommen habe, die ihr Ehemann aufgrund seines Krätzleidens von oben benanntem Kämpfe gekauft hatte.

Nachdem der Arzt wenige Tage später erneut in das Haus auf der Weißeritzstraße gerufen wurde, um einen 7-jährigen Jungen gegen ein Hautleiden zu behandeln, kam auch hier das Gespräch auf diese Medikamente. Laut Angabe der Pflegemutter war die Behandlung erfolgreich und der Hautausschlag zurückgegangen, der Gesundheitszustand des Kindes aber kritisch und das Vermögen der Familie aufgebraucht. Die Dame überließ dem Arzt die Tee- und Pulverproben, die Gruner in der hiesigen Apotheke analysieren ließ. Da der Preis für die einzelnen Bestandteile keineswegs gerechtfertigt war, ging Gruner davon aus, dass es sich bei vorliegender Sache um „bedeutenden Wucher“ und „Geldprellerey“ handele. Auch die hohe Qualität machte Gruner skeptisch, sodass der Arzt einen professionellen Hintergrund vermutete, bei dem gut wirksame Medikamente zusammengemischt wurden. Das daraus resultierende Heilmittel als Ganzes aber wurde weit über Wert verkauft.

Zudem stand es keineswegs jedem Arzt oder Apotheker frei, Medikamente in Umlauf zu bringen. Aus diesem Grund formulierte am 13. Januar 1835 der Arzt Gruner beim Dresdner Amtsphysikus, gemeint ist damit ein approbierter Arzt, der auf einer amtlichen Stelle der städtischen Gesundheitsverwaltung tätig war, eine Beschwerde. Damit sich der Amtsphysikus selbst vom dargelegten Tatbestand ein Bild machen konnte, übersandte Gruner die heute noch erhalten zwei Päckchen an den Rat der Stadt Dresden.

Welche Ingredienzen zur Herstellung des erfolgreichen Krätzheilmittels notwendig sind und ob der Beklagte Kämpfe tatsächlich eine Rechtswidrigkeit begangen hat, kann nur ein Blick in die Akte verraten.

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Quelle: Sylvia Drebinger-Pieper, Stadtarchiv Dresden, Archivale des Monats März 2021

ArchivCamp 2021 online – jetzt anmelden!

von Dr. Stephan Schwenke

#closedbutopen war das große Thema, unter dem das Jahr 2020 für viele Archive dank Corona stehen musste. Passend zu den damit verbundenen, teils neuen Herausforderungen möchten wir mit Euch am 29. und 30. April 2021 dem Thema „Archive – Offen für alle?!“ nachgehen.

Gerade unter den im Moment geltenden Einschränkungen hat das Thema Kollaboration und Innovation vor allem im Digitalen auch für Archive neue, größere Bedeutung gewonnen. Als ersten Einstieg in ein digitales Diskussionsformat hat der Arbeitskreis „Offene Archive“ im Verband deutscher Archivarinnen und Archivare sich daher für die Umsetzung des ArchivCamps als digitale Veranstaltung entschieden. Angesichts der aktuellen Veränderungen und gesellschaftlichen Diskussionen freuen wir uns auf Eure Beiträge.

Im vergangenen Jahr musste die deutsche Archivlandschaft auf die üblicherweise alle zwei Jahre stattfindende Konferenz „Offene Archive“ des gleichnamigen Arbeitskreises verzichten. Ebenfalls davon betroffen war das ArchivCamp, das seit 2017 Teil der Veranstaltung ist. Die Konferenz thematisiert aktuelle Entwicklungen von digitalen Kommunikations-, Kollaborations- und Präsentationsmöglichkeiten in Archiven und anderen damit verbundenen Kultureinrichtungen. Das ArchivCamp wurde als niedrigschwelliges Format zum Austausch mit allen an Archiven interessierten Personen eingeführt, um Projekte und Ideen rund um das Konferenzthema, aber auch darüber hinaus, auf Augenhöhe diskutieren und neue Blickwinkel eröffnen zu können. Um das zu gewährleisten, wird das ArchivCamp als Barcamp (Definition und „Regeln“) durchgeführt und hat bereits viele spannende Denkanstöße und Einblicke in die verschiedensten Bereiche archivischer Arbeit ermöglicht.

Das bewusst zeitgleich als Frage und Aufforderung formulierte Thema „Archive – Offen für alle?!“ deckt ein breites Feld ab, das alle Kernbereiche der archivischen Arbeit berührt. Es ermöglicht die Vorstellung von Projekten aus der Überlieferungsbildung, Erfahrungsberichte von Nutzenden in analogen und digitalen Lesesälen sowie die Behandlung neuer Fragen bei Erschließung und Personalakquise. Ihr könnt abgeschlossene, laufende oder geplante Projekte und Projektideen vorstellen, Verbündete finden und Kooperationen anstoßen. Gleichermaßen möchten wir aber auch die Diskussion um Verbesserungsbedarf und Änderungsvorschläge ermöglichen.

Ab jetzt ist die Anmeldung und auch das Einbringen von Session-Vorschlägen unter https://barcamps.eu/archivcamp-2021/ möglich.
Alle Fragen zur Anmeldung und dem Ablauf des Barcamps werden hier (hoffentlich ? ) beantwortet: https://archive20.hypotheses.org/10067

Jedes Barcamp ist nur so gut, wie wir alle uns einbringen, daher freuen wir uns auf Eure Ideen, Projekte und Einblicke.