Stasi-Unterlagen gelangen in die Zuständigkeit des Bundesarchivs

Zum 17.6.2021 wird die Verantwortung für die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen DDR von der BStU an das Bundesarchiv übergehen. Damit ist keine physische Verlagerung verbunden: Die Akten des MfS und der Stasi-Bezirksverwaltungen Berlin und Potsdam verbleiben an ihrem derzeitigen Aufbewahrungsort in Berlin-Lichtenberg.

Abb.: Eingang zum Archiv der Stasi-Unterlagen-Behörde in Berlin-Lichtenberg (Foto: BStU / Mulders)

Auch das Recht auf Akteneinsicht für Betroffene, öffentliche Stellen und historische Aufarbeitung bleibt unverändert. Der Bundestag hat in seiner Sitzung am 19.11.2020 den entsprechenden Gesetzentwurf verabschiedet, der die fortdauernde Anwendung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (StUG) für die Nutzung der Stasi-Unterlagen beinhaltet. Das Amt des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) wird zum 17.6.2021 aufgelöst. Im Gegenzug sieht das Gesetz die Einrichtung des Amtes einer oder eines Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur beim Bundestag vor.

In dem verabschiedeten Gesetz ist festgelegt, dass die Unterlagen der früheren Stasi-Bezirksverwaltungen an einem Archivstandort pro Bundesland zusammengeführt und dauerhaft gesichert werden. Dazu sind in Erfurt, Frankfurt (Oder), Halle, Leipzig und Rostock in den nächsten Jahren professionellen Standards genügende Archivmagazine zu errichten. Eine weitere Aufbewahrung an den bisherigen Standorten würde den Erhalt der originalen Unterlagen gefährden.

In Chemnitz, Cottbus, Dresden, Gera, Magdeburg, Neubrandenburg, Schwerin und Suhl werden die bisherigen BStU-Außenstellen als Außenstellen des Bundesarchivs weitergeführt bzw. neu eingerichtet. Sie sollen eng in die regionale Gedenkstättenlandschaft eingebunden werden, Anträge auf Einsichtnahme in die Unterlagen bearbeiten und sich in die historische Bildungsarbeit einbringen.

Bis zum 17.6.2021 sind Anträge auf Einsichtnahme in Stasi-Akten weiterhin ausschließlich an die BStU-Behörde zu richten. Das Bundesarchiv wird die bereits begonnene Digitalisierung der Stasi-Unterlagen weiterführen und ausbauen. Dazu soll in Berlin-Lichtenberg ein großes Digitalisierungszentrum entstehen. Durch die Digitalisierung ergibt sich perspektivisch auch die Möglichkeit der Nutzung von Stasi-Unterlagen an anderen Standorten des Bundesarchivs.

Dem Bundesarchiv steht mit dem Beschluss des Bundestag eine große Herausforderung bevor: Zu den aktuell rund 930 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesarchivs werden mehr als 1350 Kolleginnen und Kollegen der Stasi-Unterlagen-Behörde in Berlin und den Außenstellen hinzukommen. Die Menge des Schriftguts, das beim Bundesarchiv aufbewahrt wird, wird um ca. 110 km auf über 540 km anwachsen.

Mit der Verabschiedung des gemeinsamen Gesetzentwurfs von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen „zur Änderung des Bundesarchivgesetzes, des Stasiunterlagen-Gesetzes und zur Einrichtung einer oder eines SED-Opferbeauftragten“ ist die Zukunft des Stasi-Unterlagen-Archivs langfristig gesichert. Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Roland Jahn sagte nach der Debatte: „Ich freue mich, dass der Gesamtbestand des Stasi-Unterlagen-Archivs jetzt als Teil des „Gedächtnisses der Nation“ im Bundesarchiv dauerhaft gesichert ist.“

Abb.: Roland Jahn, der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Foto: BStU)

Die Öffnung des Stasi-Unterlagen-Archivs ist eine Errungenschaft der Friedlichen Revolution und war ein weltweit erstmaliger Akt. Die Nutzung der Akten einer Geheimpolizei zur Aufklärung über die Mechanismen der SED-Diktatur und Auseinandersetzung mit der Vergangenheit fand und findet eine hohe internationale Beachtung. Roland Jahn: „Die Reform garantiert die Nutzung der Stasi-Unterlagen für die Zukunft und betont den besonderen Charakter und Symbolwert des Stasi-Unterlagen-Archivs als Errungenschaft der Friedlichen Revolution mit internationaler Vorbildwirkung.“

Neu ist unter anderem, dass perspektivisch an den Standorten des Bundesarchivs in den westlichen Ländern, Koblenz, Bayreuth, Ludwigsburg oder Freiburg, Akteneinsicht möglich sein kann. Durch die im Gesetz festgeschriebene service-orientierte Quellenforschung im Stasi-Unterlagen-Archiv soll ein wesentlicher Beitrag zur Stärkung und Verstetigung der Erforschung der SED-Diktatur geleistet werden. „Die Einbindung des Stasi-Unterlagen-Archivs in die Gedenkstättenlandschaft stärkt dieAufklärung über die SED-Diktatur und ist ein wichtiger Beitrag zur Sensibilisierung fürdie Werte von Freiheit und Menschenrechten“, so Roland Jahn.

Links:

Kontakt:
Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU)
Karl-Liebknecht-Straße 31/33
10178 Berlin
Tel.: 030 / 2324-50
Fax: 030 / 2324-7799
post@bstu.bund.de
https://www.bstu.de/

Bundesarchiv
Potsdamer Straße 1
56075 Koblenz
Tel.: 0261 / 505-0
Fax: 0261 / 505-226
poststelle@bundesarchiv.de
http://www.bundesarchiv.de

Quelle: BStU, Nachricht, 19.11.2020; Bundesarchiv, Pressemitteilung, 19.11.2020

Meschedes neuer Stadtarchivar

André Algarve leitet seit Oktober 2020 das Stadtarchiv Meschede. Die Zusammenarbeit mit den Schulen ist ihm wichtig, wie Ute Tolksdorf im Interview für die Westfalenpost vom neuen Stadtarchivar erfuhr.

Abb.: Meschedes neuer Stadtarchivar André Algarve (Foto: Ute Tolksdorf, WP).

André Algarve stammt aus Sonneborn im Kreis Lippe. Der 32-Jährige hat Geschichte und Latein in Bielefeld studiert und nach dem Bachelorabschluss eine Ausbildung im gehobenen Archivdienst in Marburg absolviert. Direkt mit seinem Abschluss am 31.8.2020 begann er seinen Dienst im Stadtarchiv Meschede als Nachfolger von Ursula Jung. Mit der langjährigen Archivleiterin arbeitete er noch einen Monat zusammen, bevor sie in Rente ging. Unterstützt wird er außerdem vom Archivmitarbeiter Robert Schultze, der zurzeit die Heiratsregister auf schutzwürdige Belange durcharbeitet, um sie dann für die Öffentlichkeit freigeben zu können.

André Algarve lebt in Freienohl. In seiner Freizeit kocht er gern, tanzt Standard und Latein und liest. Archivarbeit ist Kommunikation, sagt er im Interview und will – ganz in diesem Sinn – es weiter für die Menschen öffnen.

Welche Eigenschaften sind für einen Archivar wichtig? Sollte man ein strukturierter und ordentlicher Mensch sein?

Das ist durchaus ein Vorteil. Bei der Arbeit muss man ja auch sorgfältig dokumentieren, was man tut. Nur dann können andere auch in 100 Jahren noch nachvollziehen, wann ein Dokument ins Haus gekommen ist und warum man es wie bewertet hat.

Gibt es etwas aus der Mescheder Geschichte, dass Sie jetzt schon besonders spannend finden?

Ich bin ja erst kurz hier und habe noch nicht so viel gesehen, aber ich hatte eine Anfrage zum Bau der Hennetalsperre. Das finde ich schon faszinierend, dass damals ganze Dörfer im See versunken sind.

Was sagen Sie zum Hitda Codex, der ältesten Mescheder Urkunde?

Das Evangeliar ist sicher wichtig für Meschede, aber es liegt in Darmstadt und ich denke nicht, dass wir es wiederbekommen werden.

Halten Sie es für wichtig, ein Archiv nach außen zu öffnen?

Absolut! Daseinszweck der Archive ist es, dass ihr Inhalt zugänglich gemacht wird. Wir bewahren hier ja kein Geheimwissen, wie man es vielleicht noch im 19. Jahrhundert gesehen hat. Archivalien müssen genutzt werden! Da ist die Digitalisierung ein tolles Hilfsmittel, die dann auch die Kooperation mit Archivportalen ermöglicht. Auch über Soziale Medien kann man immer mal wieder Skurriles oder interessante Details teilen. Solche Informationen werfen dann ein Schlaglicht auf den Bestand. Und natürlich sind auch – ganz analog – Ausstellungen möglich, damit das Archiv von außen wahrgenommen wird.

Die Digitalisierung eines Bestandes ist eine Sisyphusaufgabe, oder?

Ja, sie ist aber extrem wichtig, auch weil viele alte Unterlagen gefährdet sind. Das Papier war vor allem zwischen 1850 und 1980 extrem schlecht, es zerfällt. Um das aufzuarbeiten gibt es aber Förderprogramme, mit denen gerade kleine Archive, wie unseres unterstützt werden können.

Wie wollen Sie Kinder und Jugendliche ans Archiv heranführen?

Auch da hilft die Digitalisierung der Quellen. Damit kann man dann ganze Schulklassen versorgen – auch über große Entfernungen. Trotzdem ist es natürlich gerade für Schüler wichtig, dass sie mal Gelegenheit bekommen, eine echte alte Quelle zu sehen und damit zu arbeiten. Ich will dazu Konzepte für die Schulen erstellen, denn die Arbeit mit ganzen Schulkassen hier in Grevenstein ist schwierig.

Die Diskussion um den Standort des Archivs in Grevenstein – 16 Kilometer und 20 Autominuten von der Kernstadt entfernt – flammt immer wieder auf. Wo würden Sie sich das Archiv wünschen?

Der jetzige Standort ist geeignet, um die Archivalien aufzubewahren. Natürlich ist es wünschenswert, dass ein Archiv leicht erreichbar ist. Doch vor allem gedanklich darf es nicht zu weit von den Menschen weg sein. Das versuche ich durch die Öffentlichkeitsarbeit zu erreichen und wie meine Vorgängerin Frau Jung werde ich hier ein offenes Haus für alle Besucher führen und versuchen Anfragen schnell und kompetent zu beantworten. Ich denke, wenn über die Digitalisierung die Bereitstellung der Archivalien leichter wird, ist der Standort weniger wichtig.

Wie wollen Sie das Mescheder Archiv zukunftsfähig machen?

Die Masse an Dokumenten nimmt zu, insbesondere durch die Digitalisierung der Verwaltung. Die Archivierung von digitalen Unterlagen überhaupt erst zu ermöglichen, wird eine der größten Aufgaben der nächsten Jahre sein. Dabei können wir die Arbeitsschritte aus dem analogen Bereich nicht eins zu eins übernehmen, sondern müssen die Abläufe anpassen. Daneben halte ich die Zusammenarbeit mit anderen Archiven für sehr wichtig. Als Alleinkämpfer kommt man nicht weit. Auch diesen Teil der Kommunikation und Öffnung sehe ich als eine meiner zentralen Aufgaben.

Kontakt:
Stadtarchiv Meschede
Schadesche Wiese 3
59872 Meschede-Grevenstein
Tel. 0291 / 205 412
stadtarchiv@meschede.de

Quelle: Ute Tolksdorf, Das ist der neue Mann im Mescheder Stadtarchiv, Westfalenpost, 17.11.2020

Départements, Dolmetscher und Dampfloks

Neuer Band zur Sankt Augustiner Stadtgeschichte erschienen

Unter dem Titel „Départements, Dolmetscher und Dampfloks“ ist der neue Band 56 der Reihe „Sankt Augustin – Beiträge zur Stadtgeschichte“ erschienen. In fünf Aufsätzen werden in dem reich bebilderten Buch unterschiedliche Themen aus der Geschichte der Stadt aufgegriffen.

Der Historiker Mike Bargel untersucht die Entwicklung zur Zeit der französischen Verwaltung zwischen 1806 und 1815 in der Munizipalität Menden. Anhand von Karten, gedruckten Quellen und Akten aus dem Sankt Augustiner Raum wird deutlich, wie sich die teils noch aus dem Mittelalter stammenden Rechts- und Verwaltungsstrukturen im Großherzogtum Berg grundlegend neu entwickelten.

In dieser Zeit wurde auch erstmals in diesem Gebiet eine Hausnummerierung eingeführt. Mike Bargel beschreibt in einem weiteren Aufsatz, wie zunächst alle Häuser gemeindeübergreifend durchnummeriert und später pro Gemeinde neu durchgezählt wurden. Im 20. Jahrhundert ging man dann auf das heute noch übliche Verfahren mit Straßenname und darauf bezogener Hausnummer über. Diese Gegenüberstellung kann grundlegend für manch historische Adressermittlung sein.

Abb.: Die Niederpleiser Hauptstraße in Richtung Bonn um 1920/25. Der Standort des Fotografen befindet sich in etwa auf der Kreuzung Hauptstraße/Paul-Gerhardt-Straße/Pleistalstraße. (Quelle: Stadtarchiv Sankt Augustin, BSP 193)

Erich Pötz geht der Frage nach, wie sich die letzten Jahre des Ersten Weltkriegs im Spiegel der „Stimmen der Heimat an die Mendener Krieger“ darstellen. Diese Rundbriefe ließ der Katholische Jünglingsverein Menden zwischen 1916 und 1918 drucken, nicht um seine „im Felde“ stehenden Mitglieder über die wahren Entwicklungen zu informieren. Stattdessen wollte man berichten, „wie geregelt und geordnet alles in der Heimat trotz der schlimmen Kriegszeiten seinen Gang weitergeht, wie ein jeder Mendener Pfarrgenosse friedlich in der Heimat schafft und arbeitet“.

Abb.: Die Mendener Pfarrer Friedrich Hegel, der ehemalige Kaplan Max Dechamps und Kaplan Karl Schumacher (v. l.) förderten den Katholischen Jünglingsverein und die „Stimmen der Heimat“, Foto von 1916. (Quelle: Pfarrarchiv St. Augustinus Menden)

Die Planungen für zwei letztlich nie realisierte Bahnprojekte Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte Tomas Meyer-Eppler bei Recherchen im Stadtarchiv. Zum einen hatte man die Verkehrsanbindung des Westerwalds bereits 1886 mit einer Eisenbahnstrecke von Siegburg über Niederpleis und Birlinghoven nach Seifen ins Auge gefasst. Zum anderen gedachte eine andere Gesellschaft um 1897 eine Überland-Straßenbahnlinie von Köln-Mülheim über Mülldorf und Meindorf nach Beuel zu führen. Die angestrebten Vorteile, Streckenführungen und Hintergründe der Projekte werden detailliert wiedergegeben.

Das Steyler Missionshaus St. Augustin wurde während des Zweiten Weltkriegs von der Luftwaffe beschlagnahmt, die dort verschiedene Dienststellen unterbrachte. Hierzu gehörte die „Sprachmittler-Abteilung“, deren Entwicklung 1943/44 Flugplatzkenner Hartmut Küper von ihrer Verlegung ins Missionshaus bis zum Ende während der „Schlacht im Hürtgenwald“ nachzeichnet.

Der 170 Seiten umfassende Band ist mit über 60 Abbildungen illustriert und im Rheinlandia Verlag unter der ISBN 978-3-945953-24-2 erschienen. Ab sofort ist er im Stadtarchiv Sankt Augustin im Rathaus sowie im Buchhandel für 6 Euro erhältlich. Herausgeber ist das Stadtarchiv Sankt Augustin, die Redaktion hatte Stadtarchivar Michael Korn.

Weitere Informationen zu der Reihe „Sankt Augustin – Beiträge zur Stadtgeschichte“ und zum Stadtarchiv gibt es bei Stadtarchivar Michael Korn, Tel. 02241/243-508, E-Mail: michael.korn@sankt-augustin.de und im Internet unter www.sankt-augustin.de/stadtarchiv.

Quelle: Sankt Augustin, Pressemitteilung, 16.11.2020

Provenienzforschung anhand von NS-Akten im Brandenburgischen Landeshauptarchiv

Pilotprojekt zur Digitalisierung und Auswertung von 42.000 NS-Akten im BLHA Potsdam startet

Im Rahmen eines mit rund 3,6 Millionen Euro geförderten Pilotprojekts wird das Brandenburgische Landeshauptarchiv (BLHA) die ca. 42.000 Akten der NS-Vermögensverwertungsstelle Berlin-Brandenburg restauratorisch sichern und für Forschung und Öffentlichkeit digital zugänglich machen. Parallel zu einer systematischen elektronischen Erschließung soll die wissenschaftliche Auswertung der historischen Unterlagen Aufklärung über den Entzug und Verbleib von Kulturgut leisten, das im Zuge der NS-Verfolgung beschlagnahmt wurde.

Abb.: BLHA, Rep. 36A Oberfinanzpräsident Berlin-Brandenburg (II) Nr. 19175

Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste und das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg (MWFK) finanzieren das Projekt gemeinsam. Mit rund 3,3 Millionen Euro trägt die BKM den größten Anteil der Förderung. Initiator des Projekts war die Moses-Mendelssohn-Stiftung mit ihrem Vorsitzenden Professor Dr. Julius H. Schoeps. – Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters erklärt:

„Auch mehr als 75 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur hat für mich die Erforschung der Provenienz geraubter Kulturgüter weiterhin höchste Priorität. Der Erhalt des historisch bedeutsamen Akten-Bestandes beim Brandenburgischen Landeshauptarchiv sowie seine Digitalisierung und wissenschaftliche Auswertung sind ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung und zur Erinnerungskultur. Es ist und bleibt unsere historische Verantwortung, die menschlichen Schicksale hinter den Kunstwerken und Akten zu zeigen und die Provenienzforschung nach Kräften zu unterstützen. Dafür müssen wir auch neue technologische Möglichkeiten nutzen. Deshalb ermöglichen wir dieses Pilotprojekt.“

Neben den für die Provenienzforschung wichtigen Informationen zum NS-Kunstraub und zu heutigen Standorten entzogenen Kulturguts enthalten die in Potsdam vorhandenen Verwaltungsakten der sogenannten Vermögensverwertungsstelle des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg oft auch letzte Hinweise zum Verfolgungsschicksal der Deportierten und Ermordeten. Sie sind für Angehörige, Rechtsnachfolger und die Wissenschaft weltweit von Bedeutung. – Dr. Irena Strelow, Leiterin der Provenienzforschung im Brandenburgischen Landeshauptarchiv:

„Für die Provenienzforschung sind insbesondere die in den Akten überlieferten Profiteure des nationalsozialistischen Kunstraubes bedeutsam, die in den Zusammenhang mit heutigen öffentlichen Institutionen gebracht werden können. Sie sollen durch eine elektronische Fallsuche ermittelt werden. Die Ergebnisse können helfen, Provenienz-Lücken in öffentlichen Einrichtungen zu schließen, in deren Beständen NS-Raubkunst zu vermuten ist. Aus meiner Sicht ist die Aufdeckung systematischer Strukturen bei der Verwertung jüdischen Eigentums der wichtigste Beitrag für die Provenienzforschung.“

Die rund 2,4 Millionen Aktenseiten des Bestandes müssen zunächst begutachtet, gereinigt, gegebenenfalls restauriert und anschließend digitalisiert werden. In Zusammenarbeit mit der Provenienzforschung im Landeshauptarchiv entwickeln IT-Experten eine Anwendung, mit deren Hilfe die digitalisierten Unterlagen themenorientiert elektronisch ausgewertet werden. Die durch die Auswertung und wissenschaftliche Provenienzforschung erarbeiteten Ergebnisse werden an die Rechtsnachfolger der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung – soweit bekannt – und an diejenigen öffentlichen Einrichtungen und Museen weitergegeben, die nach Aktenlage Kunstobjekte aus ehemaligem jüdischem Besitz erworben haben.


  

Abb.: Aus der Akte BLHA, Rep. 36A Oberfinanzpräsident Berlin-Brandenburg (II) Nr. 19175. Oben: ein Teil der zu digitalisierenden Akten im Magazin des Landeshauptarchivs (Fotos: BLHA Potsdam)

Ein weiteres Ziel ist es, die Ergebnisse und Quellen einer breiten Öffentlichkeit zur wissenschaftlichen Nachnutzung zugänglich zu machen. Forscherinnen und Forscher sollen zukünftig mit diesem für die Holocaust-Forschung zentralen Bestand arbeiten können, ohne dafür nach Potsdam in den Lesesaal des Landeshauptarchivs reisen zu müssen. Das Projekt soll bis Ende 2023 abgeschlossen sein. – Professor Dr. Mario Glauert, Direktor des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, zum Mehrwert des Projektes:

„Mit diesem Projekt sichern wir nicht nur einen international bedeutenden Quellenbestand des Archivs. Wir bewahren die Erinnerung an zehntausende Menschen. Die elektronische Bereitstellung und Analyse der Akten wird spannende Zugänge für eine Forschung mit digitalen Werkzeugen eröffnen. Das Pilotprojekt entwickelt interdisziplinäre Methoden, die für viele weitere Aktenbestände der NS-Zeit genutzt werden können.“

Kontakt:
Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Am Mühlenberg 3
14476 Potsdam
OT Golm
https://blha.brandenburg.de/

Postanschrift:
Postfach 600449
14404 Potsdam
poststelle@blha.brandenburg.de

Tel.: 0331 5674-270
Fax: 0331 5674-212
benutzerdienst@blha.brandenburg.de

Quelle: Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Pressemitteilung, 17.11.2020

Nachrichten aus dem Stadtarchiv Gera 4/2020

Unter dem Titel „Nachrichten aus dem Stadtarchiv Gera“ informiert das Stadtarchiv Gera vierteljährlich über aktuelle Entwicklungen und historische Themen rund um eigene Arbeit. Im 4. Informationsbrief 2020 des Stadtarchivs Gera wird unter anderem auf die Kaffee-Rösterei Max Richter eingegangen, welche sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur heute am Kornmarkt befindlichen Kaffeerösterei befand.

Darüber hinaus wird über eine kuriose, multifunktionale Telefonzelle aus der Zeit um die Jahrhundertwende ebenso wie über den 100. Geburtstag des Geraer Restaurators Kurt Thümmler berichtet. Dessen segensreiches Wirken kam auch zahlreichen Kirchen und anderen Gebäuden sowie Plastiken, Altären und anderweitigen Kunstgegenständen in Gera und Umgebung zugute. Der vierte Artikel unsere Informationsbriefes gibt einen Ausblick auf die voraussichtlich noch in diesem Jahr im Stadtmuseum Gera eröffnende Sonderausstellung über das im Zuge des Zweiten Weltkrieges 1945 zerstörte Schloß Osterstein.

Abb.: Kurt Thümmler bei der Restaurierung einer Madonna mit Kind im Jahr 1973 (Quelle: Eigentum: privat – Fotograf: Heinz Gerisch)

Der 1999 verstorbene Restaurator Kurt Thümmler wäre am 22.10.2020 100 Jahre alt geworden. Vielen Geraern und Thüringern, vor allen den an der Erhaltung und Restaurierung von Kulturdenkmalen interessierten Bürgern, ist Kurt Thümmler als Restaurator und Konservator noch in Erinnerung. 1997 erhielt er den Denkmalpreis der Stadt Gera für sein Lebenswerk. Sein Arbeitsfeld umfasste die Restaurierung von Altären und geschnitzten Figuren, er restaurierte Kirchen, Rathäuser, Bürgerhäuser, war beratend bei der Farbgestaltung historischer Fassaden tätig und fertigte sowie restaurierte Bleiglasfenster, u. a. auch für Schulen und Kaufhäuser. Er entwarf Vorlagen für andere Künstler, so zum Beispiel für die Keramikerin Susanne Engelmann, mit der die Familie Thümmler befreundet war. Der ehemalige Landeskonservator des Landesamtes für Denkmalpflege, Rudolf Zießler, schrieb in seinem Brief zur Denkmalpreisverleihung, dass mindestens ein Viertel aller Kirchen in Thüringen sowie zahlreiche private und kommunale Denkmale, insgesamt ca. 800 Denkmale, Fassaden, Innenausstattungen und bewegliche Kunstgüter, von Kurt Thümmler während seiner 47 Arbeitsjahre betreut wurden. Kurt Thümmler arbeitete immer nach dem Prinzip der Achtung vor dem historischen Kunstwerk

Kontakt:
Stadtarchiv Gera
Gagarinstraße 99/101
07545 Gera
Tel. 0365/838-2140 bis 2143
stadtarchiv@gera.de
www.gera.de/stadtarchiv

Biographisches Standardwerk zu den Aschaffenburger Oberbürgermeistern

Mit der Neuerscheinung „Stadtoberhäupter. Bürgermeister und Oberbürgermeister in Aschaffenburg“ präsentiert die Stadt ein biographisches Grundlagenbuch zur Aschaffenburger Geschichte: 15 Biographien der Aschaffenburger Stadtoberhäupter, beginnend bei Jakob Leo in der Umbruchzeit um 1800 bis hin zum Ende der Amtszeit von Klaus Herzog im Frühjahr 2020. Der Band skizziert aber auch die Entwicklungen in der langen Mainzer Zeit seit dem Mittelalter.

Das Buch basiert auf der 1983 erarbeiteten Publikation „Aschaffenburger Stadtoberhäupter von 1818 bis 1983“ von Carsten Pollnick. Nach fast vierzig Jahren war es an der Zeit, eine erweiterte und umfassend ergänzte Neuauflage herauszugeben. Sie enthält jetzt eine vollständig neu bearbeitete Biographie von Oberbürgermeister Dr. Willi Reiland sowie einen Beitrag zu Klaus Herzog. Beide wurden geschrieben von Susanne von Mach.

Mit Klaus Herzog ist auch derjenige Oberbürgermeister angesprochen, dem die Neuerscheinung als „Festschrift“ zum Abschied aus dem Amt übergeben werden sollte. Die Corona-Pandemie hat im Frühjahr 2020 dazu geführt, dass sämtliche Abschiedsfeiern abgesagt werden mussten.

Die ansprechend gestaltete Neuerscheinung ist für 12 Euro über den Buchhandel sowie das Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg erhältlich.

Info:
Carsten Pollnick / Susanne von Mach:
Stadtoberhäupter. Bürgermeister und Oberbürgermeister in Aschaffenburg
Aschaffenburg 2020 (Stadt- und Stiftsarchiv: Sonderpublikationen),
ISBN 978-3-922355-38-0. 106 S. mit zahlreichen Abbildungen.

Quelle: Stadt Aschaffenburg, Pressemitteilung, 10.11.2020

Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff

Eine Online Quellen-Edition aus dem Familienarchiv

Das an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften im Zentrum Preußen-Berlin bearbeitete Forschungsprojekt „Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert“ (gefördert durch die Bundesministerin für Kultur und Medien) wurde 2019 abgeschlossen. Als Ergebnis liegen eine umfangreiche wissenschaftliche Online-Auswahledition und eine monographische Studie von Gaby Huch vor, die ein quellenfundiertes Bild vom Leben und Handeln des ostpreußischen Adels in der Neuzeit vermitteln. Damit steht erstmals umfangreiches Material für eine Kulturgeschichte dieser ostpreußischen Adelsfamilie zur Verfügung, das der Forschung zur ostpreußischen Adelslandschaft neue Impulse verleiht und einen Beitrag zur ostpreußischen und ostmitteleuropäischen Adelsgeschichte leistet.

Abb.: Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Familienbildnis des Grafen Ernst Ahasverus Heinrich Lehndorff und seiner Familie, 1779, Öl auf Leinwand: 104,5 x 130 cm. (Foto: Kilian Heck) – Das Bild wurde restituiert und befindet sich derzeit als Stiftung des Deutschen Historischen Museums im ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg.

Das Projekt „Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert“ ist eingebettet in das Forschungsfeld der ostpreußischen und ostmitteleuropäischen Adelsgeschichte. Die Lehndorffs waren neben den Dönhoffs und den Dohnas über Jahrhunderte hinweg fester Bestandteil der durch ethnisch-sprachliche, konfessionelle und kulturelle Vielfalt gekennzeichneten preußischen Adelsregion mit zahlreichen Schnittstellen nach Litauen und in das Baltikum, nach Polen und nach Russland. Mit ihrer ländlichen Lebenswelt in Steinort, dem Zugang zum Hof in Warschau, dann in Berlin, ihren amtlichen und politischen Kontakten, beruflichen Laufbahnen in Militär und Diplomatie, Heiratskreisen, ihrem sozialem Engagement, mit Repräsentation, Geselligkeit und nicht zuletzt Kulturkonsum stehen sie exemplarisch für den grundbesitzenden ostpreußischen Adel. Auch sie mussten sich mit den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandlungsprozessen des 18. und des 19. Jahrhunderts und dem Verlust traditioneller Orientierungen auseinandersetzen.

Im Zweiten Weltkrieg auseinandergerissen, wird das Archiv der Grafen von Lehndorff heute an drei Archivstandorten, im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin, im Staatsarchiv Leipzig und im Archiwum Państwowe w Olsztynie (Staatsarchiv Allenstein), verwahrt. Die im Guts- und Familienarchiv überlieferten Briefe und Aufzeichnungen dokumentieren die Geschichte der Familie über den Zeitraum vom 13. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Nur ein Teil der Gesamt-Überlieferung, zeitlich beschränkt auf das 18. bis 20. Jahrhundert, inhaltlich eingegrenzt durch entlang des Projektthemas entwickelte Auswahlkriterien, konnte im Rahmen des Projektes einbezogen werden. Dokumente aus anderen Archiven ergänzen die Quellenlage insbesondere dort, wo die Überlieferung des Familienarchivs heute fehlt. Diese Quellen gewähren Einblicke in adliges Selbstverständnis, regionale und nationale Identität, gelebte Adelskultur, kollektive Erfahrungen und Wahrnehmungen. Zudem ermöglicht die enge Verflechtung der Familie mit dem polnischen, baltischen und russischen Raum den Blick über Region und Nation hinaus. So lässt sich anhand der Quellen das Spannungsfeld zwischen standesgebundenen und individuellen Lebensvorstellungen der Familie auf dem Weg in die Moderne in den Blick nehmen.

Abb.: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften 2019. URL: https://lebenswelten-lehndorff.bbaw.de

Die aus dem reichen Quellenmaterial ausgewählten Dokumente – private Korrespondenz und Briefe zur Verwaltung der Güter, Testamente und Erbauseinandersetzungen, königliche Edikte und amtliche Schreiben, Statistiken und Inventare, Denkschriften, Instruktionen, Zeitschriftenartikel und Tagebücher – bilden in vielfältiger Weise das Leben und Wirken der adligen Familie Lehndorff auf dem Gutsbesitz Steinort (Sztynort) in Ostpreußen, in Königsberg und Berlin vom 18. bis in das 20. Jahrhundert ab. Sie berühren Besitz und Familienbeziehungen, politische, militärische, ökonomische, soziale Tätigkeiten sowie kulturelle, genealogische und religiöse Themen. Mit der vorliegenden Online-Edition ist das Material des Guts- und Familienarchivs der Grafen von Lehndorff-Steinort nicht nur virtuell erstmals wieder zusammengeführt, sondern durch die wissenschaftliche Erschließung für die Forschung zugleich inhaltlich in einen bislang nicht verfügbaren Gesamtzusammenhang gestellt. Einleitende Texte geben darüber hinaus Einblicke in das Projekt, den Untersuchungsgegenstand und die Fragestellungen, aber auch in die Überlieferungslage der Quellen und die der Edition zugrunde gelegten Editionsprinzipien.

Eine Vielzahl von Recherche- und Auswertungsmöglichkeiten und verschiedene Register ermöglichen ein komfortables Arbeiten mit den Dokumenten und Briefen. Durch die Erfassung der Metadaten in XML-TEI, die Verwendung von Normdaten (GND, GeoNames) und die Anbindung der Briefeditionen an den durch TELOTA an der BBAW entwickelten Webservice „correspSearch“ sind darüber hinaus verschiedene Möglichkeiten für die Vernetzung mit anderen Editionen gegeben. Zusätzlich aufgenommen wurden Abbildungen, da bei der Arbeit an den Akten und in der ergänzenden Literatur zahlreiche Baupläne, Karten, Gemälde, Fotos etc. aufgefunden wurden, die eine Bereicherung der schriftlichen Überlieferung darstellen. Eine Bibliographie der themenspezifischen Literatur sowie der Zugriff auf die Findmittel der Archive in Olsztyn und Leipzig bzw. auf ein durch die Bearbeiterin zusätzlich erstelltes, vorläufiges Findmittel in Berlin wurden auf der Website implementiert.

Basierend auf der digitalen Auswahl-Edition rekonstruiert die Studie die Geschichte der Grafen von Lehndorff vor dem Hintergrund der allgemeinen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Abfolge mehrerer Generationen. Die Sachgebiete, die dabei angesprochen werden, reichen von der Ansiedlung bis zur Errichtung des Herrenhauses, von adliger Herrschaftsausübung bis zum Lehnsrecht, von der Dorfverfassung bis zum Landesrecht, von der Religion bis zur Politik, von der Bildung bis zum Leben adliger Frauen. Kontinuitäten und Brüche in den Besitz- und Vermögensverhältnissen, Rückständigkeit und Modernisierungswille, Kulturbeziehungen und politische Haltungen lassen sich am Beispiel der Familie bis in das 20. Jahrhundert verfolgen, lassen aber auch durch die enge Verbindung adliger Familie in der Region und darüber hinaus „Gemeinschaftsschicksale“ erkennen.

Links:

Kontakt:
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Dr. Gaby Huch
gaby@huch.berlin

Projektleiterin
Dr. Bärbel Holtz
holtz@bbaw.de