Drei Wochen lang spürte der britische Historiker Dr. James Boyd bei seinem Forschungsaufenthalt in Baden-Württemberg südwestdeutschen USA-Auswanderern nach – die meiste Zeit davon im Kreisarchiv des Enzkreises. Dort ist Boyd durchaus kein Unbekannter: Bereits 2011 und 2012 verbrachte er hier zahlreiche Tage für die Arbeit an seiner Doktorarbeit, die dann im vergangenen Jahr an der Universität Cardiff erschien. Sie befasste sich mit den Ursachen der deutschen Massenauswanderung im 19. Jahrhundert. Boyds regionale Forschungsschwerpunkte waren damals Diefenbach und Ölbronn.
Nun erhielt der dreißigjährige Wissenschaftler aus London ein Stipendium der Düsseldorfer Gerda-Henkel-Stiftung, das ihn sein Thema vertiefen und zugleich auf das 18. Jahrhundert ausweiten ließ. Archivleiter Konstantin Huber findet es bemerkenswert, dass südwestdeutsche Landesgeschichte immer wieder von ausländischen Universitäten aus erforscht wird: „Das liegt einerseits an der guten Quellenlage aufgrund der fortschrittlichen württembergischen Verwaltung in der Frühen Neuzeit“, vermutet Huber. Außerdem sei Württemberg aufgrund von Parallelen in der eigenen Verfassungsgeschichte für Briten und Nordamerikaner besonders interessant.
Abb.: Sie haben gut lachen: Im Kreisarchiv erhielt der britische Historiker Dr. James Boyd (Mitte) wertvolle Unterstützung von Konstantin Huber und Eveline Sommer-Turkalj. (enz)
Die Mitarbeiterinnen im Kreisarchiv beeindruckte, wie kompetent sich ein junger Brite in schwierige fremdsprachliche Handschriften einlesen konnte, die zudem noch voller Dialektausdrücke stecken. Denn dank der Unterstützung der Bürgermeister Norbert Holme und Jörg-Michael Teply konnte Boyd die Ölbronner und Wurmberger Archivalien zentral in Pforzheim einsehen.
Boyd schreibt aktuell an einem Aufsatz für eine englischsprachige Fachzeitschrift und freut sich schon auf seine Präsentation des Themas, die er im Juni am Deutschen Historischen Institut in Washington DC halten wird. Der Historiker interessiert sich insbesondere für die beiden Auswanderungswellen um 1750 und dann 1816/17, dem „Jahr ohne Sommer“, als ein Vulkan in Indonesien ausbrach und die Aschenwolke auch hierzulande zu Ernteausfall und Hungersnot führte.
Eine von Boyds Grundfragen lautet: Welchen Einfluss hatten die Auswanderer von 1750 auf die Emigranten um 1816/17? Außerdem will er wissen, warum aus einigen Gemeinden – eben Ölbronn und Wurmberg – bereits um 1750 Viele ihr Glück in der Ferne suchten, in anderen Orten wie Sternenfels dagegen erst knapp 70 Jahre später. Hierbei fand er heraus, dass die späteren Emigranten oft Verwandte der frühen Auswanderer waren. Und Boyd entdeckte, dass aus Maulbronn und Ludwigsburg gebürtige Kaufleute von Philadelphia aus die Verknüpfung zwischen der Alten und der Neuen Welt aufrecht hielten. Die Obrigkeit hierzulande bezeichnete sie als „Seelenverkäufer“, die andere Untertanen zur Auswanderung verführten.
James Boyd besuchte auch das Hauptstaatsarchiv und das Landeskirchliche Archiv in Stuttgart sowie die staatlichen Archive in Ludwigsburg und Karlsruhe. Generell zeigte er sich beeindruckt von der Nutzerfreundlichkeit der deutschen Archive, insbesondere des Enzkreis-Archivs. Deshalb zögerte er keinen Moment, dem Enzkreis für die kommende Ausgabe seiner Jahrbuchreihe „Historisches und Aktuelles“ einen Beitrag mit seinen Forschungsergebnissen zu versprechen.
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Quelle: Enzkreis, Pressemitteilung 134 / 2014, 15.5.2014