VdA fordert wegen Aktenvernichtung Wiederaufnahme der Ermittlungen gegen den Verfassungsschutz

Auf die Anzeige des VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. wegen Verwahrungsbruch beim Bundesamt für Verfassungsschutz vom 29. Juni 2012 hat die Staatsanwaltschaft Köln vorermittelt und nun die Ermittlungen eingestellt (Bescheid vom 18. Juni 2013 AZ 121 Js 572/12).

DAZU STELLT DER VdA FEST.
Im Einstellungsbescheid wird abschließend behauptet „ein Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften oder dienstliche Vorgaben [sei] nicht belegbar“. Hinsichtlich des Verdachts auf den vom VdA angezeigten Verwahrungsbruch beruht dieses Ergebnis auf einer unvollständigen Prüfung.
Im Zusammenhang mit Aktenvernichtungen in Bundesbehörden wäre zur Beurteilung von Sachverhalten zu § 133 StGB das Bundesarchivgesetz (BArchG) zwingend zu prüfen gewesen.
Zudem wäre zu prüfen gewesen, ob auf der gesetzlichen Grundlage des Bundesarchivgesetzes oder anderer Bestimmungen Vereinbarungen zwischen der Bundesbehörde – hier Bundesamt für Verfassungsschutz – und dem Bundesarchiv vorliegen, in denen die Aktenaussonderung [Aktenaussonderung ist die innerbehördliche Vorbereitung der Entscheidung über die Archivwürdigkeit bzw. Kassation im Fall der fehlenden Archivwürdigkeit. Diese Entscheidung selber obliegt dem zuständigen Archiv (s.u.).] geregelt ist, und ob diesen bisher Folge geleistet wurde.
Im Einstellungsbescheid ist an keiner Stelle erkennbar, dass diese Prüfungen erfolgt sind. Eine Einbeziehung dieser Punkte hätte zu einem anderen Prüfergebnis geführt. Der Bescheid ist daher nach Auffassung des VdA fehlerhaft.

ZUM SACHVERHALT IM EINZELNEN
1. Aktenvernichtung
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat gegenüber der Staatsanwaltschaft die Aktenvernichtung nicht bestritten, sondern mit innerdienstlichen Gründen und Bestimmungen zu rechtfertigen versucht. Der VdA dankt der Staatsanwaltschaft für die Feststellung dieses Sachverhalts. Die Aktenvernichtung und Informationsverluste sind damit unbestritten.

2. Geltung Bundesarchivgesetz
Gemäß Bundesarchivgesetz § 2 Abs. 1 sind alle Unterlagen staatlicher Stellen vor einer Vernichtung dem Bundesarchiv anzubieten. Das gilt auch für das Bundesamt für Verfassungsschutz [Bundesarchivgesetz § 2 Absatz 1: Die Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte des Bundes, die bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts und die sonstigen Stellen des Bundes haben alle Unterlagen, die sie zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben einschließlich der Wahrung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder nicht mehr benötigen, dem Bundesarchiv oder in Fällen des Absatzes 3 dem zuständigen Landesarchiv zur Übernahme anzubieten und, wenn es sich um Unterlagen von bleibendem Wert im Sinne des § 3 handelt, als Archivgut des Bundes zu übergeben (Hervorhebungen VdA)].
Auch die Praxis beweist, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz diese Rechtslage als Grundlage seiner Arbeit ansieht, denn es hat bereits als archivwürdig bewertete Unterlagen an das Bundesarchiv abgegeben. In Bestand B 443 des Bundesarchivs sind archivwürdige Unterlagen des Bundesamtes für Verfassungsschutz archiviert.
Die Entscheidung über Archivierung oder Vernichtung steht dem Bundesarchiv zu (§ 3 Bundesarchivgesetz), nicht der abgebenden Behörde.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz fällt unter die Bestimmungen des Bundesarchivgesetzes und ist damit anbietungspflichtig.

3. Prüfung der Staatsanwaltschaft
Bei den von der Staatsanwaltschaft geprüften Punkten handelt es sich z.T. um innerdienstliche Überlegungen des Bundesamtes, nicht aber um gesetzlich begründete Kriterien.
Vorgetragen wurde z.B., dass die Daten aus anderen Akten rekonstruierbar sind, dass sie für Strafverfahren irrelevant sind und als geheim klassifiziert sind. Alle diese Hinweise und die – vermutete – Tatsache, dass die vernichteten Unterlagen nach Auffassung der Bundesamtes „keine relevanten Unterlagen“ enthalten, sind nach Bundesarchivgesetz grundsätzlich irrelevant. Bei der zentralen Prüfung der „geltenden Aufbewahrungsbestimmungen“ im Bundesamt ist der Staatsanwaltschaft das grundsätzliche Missverständnis unterlaufen, „Aussonderung“ mit Vernichtung gleichzusetzen. Das ist gerade nicht zutreffend. Inzwischen ist sogar gerichtlich bestätigt, dass eine Vernichtung von Unterlagen erst erfolgen darf, wenn das zuständige Archiv die Übernahme als Archivgut abgelehnt hat.
Die von der Staatsanwaltschaft Köln vorgetragenen Gründe stellen die Geltung des Bundesarchivgesetzes nicht in Frage.

4. Verwahrungsbruch
Die nachgewiesene Aktenvernichtung ohne vorherige Anbietung an das Bundesarchiv stellt einen Gesetzesverstoß dar und begründet den Anfangsverdacht einer Straftat gemäß § 133 StGB.

5. Tatbestandsirrtum
Die Staatsanwaltschaft hat zudem bei der Vernichtung auf einen Tatbestandsirrtum hingewiesen. Das würde im Kern bedeuten, dass keine organisatorischen oder andere Maßnahmen im Bundesamt getroffen worden wären, die Bestimmungen des Bundesarchivgesetzes bekannt zu machen und ihnen Genüge zu tun; im Fall der Aktenaussonderungen wäre von einer üblichen Praxis der Vernichtung ohne Rückfragen beim Bundesarchiv und damit von einem systematischen Verstoß gegen das Bundesarchivgesetz auszugehen.
Sollte dies zutreffen, erweitert der VdA seine Anzeige vom 29. Juni 2012 und fordert die Staatsanwaltschaft auf, für diesen Fall zu prüfen, inwieweit im BfV durch Aktenvernichtungen – nicht nur in Einzelfällen – ein fortgesetzter systematischer Gesetzesbruch erfolgt ist.
Der VdA hat daher eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den ermittelnden Oberstaatsanwalt wegen Einstellungsbescheid 121 Js 572/12 vom 18. Juni 2013 eingelegt.
Der VdA geht davon aus, dass das Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen und gegebenenfalls sogar ausgeweitet wird.

Kontakt/Quelle
VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V., vertreten durch den Vorsitzenden Dr. Michael
Diefenbacher, Amtsgericht Fulda VR 2212, Kontakt: Wörthstraße 3, 36037 Fulda, E-Mail: info@vda.archiv.net

VdA, Pressemitteilung, 19. Juli 2013

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