In den deutschen und französischen Archiven am Oberrhein werden singuläre und bis weit in das Mittelalter zurückreichende handschriftliche Unterlagen zur Geschichte sowie zum Beispiel zu den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklungen der Region verwahrt. Sowohl „hohe Politik“ wie auch die familiär-privaten Beziehungen seiner Bewohner spiegeln sich in den Archiv-Dokumenten.
Dieses Kulturgut bildet das „Gedächtnis“ und Rückgrat jeder touristischen und kulturellen Präsentation und Vermarktung der Region am Oberrhein und ihrer profanen oder kirchlichen Denkmäler, historischen Stätten und Orte. Allerdings war es bislang nur einem kleinen Personenkreis zugänglich: Sprache, Bildungsstand, die in den alten Unterlagen verwendete Schrift und besonders die verteilte Lagerung in der Region bilden erhebliche Barrieren. Das durch die Archive verwahrte historische Gedächtnis ist deshalb ein „schwieriges“.
Besonders gravierend wirkt sich die jahrhundertelange Trennung des Kulturguts auf die beiden Staaten Deutschland und Frankreich aus: Es entstanden Grenzen auch in den Köpfen der Historiker, Forscher und vor allem bei den Menschen der Region Oberrhein, die im historischen Rückblick wenig oder gar nicht existierten. Ein gemeinsames, zweisprachiges und auch inhaltlich grenzüberschreitendes Portal sowie ein offenes Netzwerk von Archiven, das unterstützt wird von historischen und landeskundlichen Experten, Einrichtungen und Vereinen, sollen die genannten Hindernisse überwinden.
Die beteiligten Archive und die anderen Projektpartner wollen das historische Gedächtnis des Oberrheingebiets virtuell wiederherstellen und dadurch Grenzen überwinden. Es soll durch moderne Erläuterungen, konsequente Zweisprachigkeit und durch die neuen Medien (Digitalisierung, Onlineangebote, bilinguale Kommunikationsplattformen) der Öffentlichkeit einen bislang nicht verfügbaren Zugang zu ihrem „Gedächtnis“ bieten.
Zu den Maßnahmen der Partner im Projekt \“Archivum Rhenanum\“ zählen insbesondere:
- Aufbereitung grundlegender historischer Quellen
- Digitalisierung umfangreicher historischer Quellen zur Präsentation über das Portal
- Aufbau einer grenzüberschreitenden, bilingualen Datenbank
- Dauerhafte Präsentation der Datenbank über das Portal
- Vermittlung und Aufbereitung des Kulturgutes als „historisches Gedächtnis“ für die breite Öffentlichkeit
- Konzeption und dauerhafte Koordination einer öffentlichen Diskussions- und Kommunikationsplattform
- Durchführung konservatorischer Maßnahmen
Als Projektpartner und Kofinanzierer am Projekt beteiligt sind die Archives départementales du Haut-Rhin (Colmar), die Archives départementales du Bas-Rhin (Strasbourg), das Landesarchiv Baden-Württemberg – Generallandesarchiv Karlsruhe, das Stadtarchiv Freiburg und das Stadtarchiv Speyer. Über 20 weitere Archive, Universitätsinstitute und historischlandeskundliche Vereine aus der Pfalz, dem Elsass und Baden (sowie der Schweiz und Österreich) sind als Kooperationspartner ebenfalls dem Projekt verbunden.
Das Stadtarchiv Freiburg im Breisgau mit seinen reichen mittelalterlichen Beständen, davon ca. 22.000 Urkunden, wird eine Retrokonversion der im 19./20. Jahrhundert handschriftlich angefertigten und heute mitunter schwer lesbaren Urkundenverzeichnungen vornehmen. Schwerpunkt der Retrokonversion bilden jene Urkundenbestände, die im Zusammenhang mit der vorderösterreichischen Herrschaft stehen und somit inhaltlich auch das Elsass betreffen (ca. 1.000 Urkunden). Eine angestrebte Digitalisierung der Urkunden kann aus restauratorischen Gründen derzeit nicht durchgeführt werden und muss in einem zweiten Schritt erfolgen. Ferner wird es als Projektträger Aufgaben im administrativen Bereich übernehmen (Ansprechpartner für GTS Région Alsace, Vorbereitung von Sitzungsterminen, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit).
Das Stadtarchiv Speyer verfügt über eine geschlossene, reiche Überlieferung der Zeit, als Speyer als Reichsstadt, aufgrund der dort abgehaltenen Reichstage und des Reichskammergerichts einer der „Zentralorte“ des Heiligen Römischen Reiches war. Die Bedeutung seiner Quellen reicht daher erheblich über Speyer hinaus und in das Gebiet hinein. Das Stadtarchiv wird aus den Archivbeständen der reichsstädtischen Zeit (1A und 1B) die einschlägigen Archivquellen auswählen, digitalisieren und über das Portal bereitstellen. Besonders relevant erscheinen zum Beispiel die für den regionalen Handel, Wirtschaft, Politik und die „Außenbeziehungen“ der Stadt wichtigen Verwaltungsbücher und spätmittelalterlichen Akten des Speyerer Rates. Hinzu kommen Archivquellen zu den Reichstagen, zum Reichskammergericht sowie zur Reformation (insgesamt ca. 1.000 Einzelstücke, Archivalien oder Handschriften – ca. 10.000-15.000 Images). Das Stadtarchiv wird (in Eigenleistung) den kompletten Bestand seiner Urkunden in das Portal einbringen (komplett digitalisiert wurden ca. 2.500 Urkunden).
Das Landesarchiv Baden-Württemberg wird durch das Generallandesarchiv Karlsruhe (GLA) und das Staatsarchiv Freiburg (StAF) am Projekt mitwirken. Es ist eine Retrokonversion der Bestände Pfalz, Basel, Speyer und Straßburg (durch das GLA) und der Urkunden der Familie Böcklin von Böcklinsau und der Herren von Andlau (durch das StAF) sowie Digitalisierung dieser ca. 15.000 Urkunden vorgesehen.
Das Archives départementales du Haut-Rhin in Colmar wird sich im Projekt inhaltlich mit der Digitalisierung und Präsentation der Archivalien der wichtigen Herrschaft Ensisheim (Bestand 1C, 70 Meter im Archivmagazin) beschäftigen. Der Bestand betrifft einen Zeitraum vom 13. Jahrhundert bis zum Jahr 1638. Die Herrschaft (Regiment) hat eine besondere Bedeutung in grenzübergreifender Hinsicht, weil sie lange Sitz des habsburgischen Vorderösterreich war und später in dieser Rolle durch Freiburg abgelöst wurde. Der Bestand umfasst Dokumente zum Oberelsass, aber auch über das Gebiet auf der anderen Seite des Rheins und ist eine wichtige historische Quelle für die Verwaltungsgeschichte des Oberrheins.
Das Archives départementales du Bas-Rhin in Straßburg wird sich im Projekt inhaltlich mit der Digitalisierung und Präsentation der Archivalien der Landvogtei Hagenau (C 1-102, 4,8 Meter im Archivmagazin) beschäftigen. Dieser Bestand ist der älteste Zivilbestand des Archives départementales du Bas-Rhin. Der Landvogtei kommt auch deshalb eine besonders Bedeutung in grenzübergreifender Hinsicht zu, weil sie sich vom Mittelalter bis zum 17. Jahrhundert auf die Beziehungen zwischen dem Reich und den Reichstädten Landau (Deutschland), Weißenburg, Seltz, Hagenau, Straßburg, Rosheim, Oberrenheim, Schlettstadt (Unterelsass), Kaysersberg, Turckheim, Colmar, Mülhausen (Oberelsass) sowie mit benachbarten Dörfern, Herrschaften (Habsburg, Zweibrücken, Hanau Lichtenberg), Städten (Straßburg, Offenburg) und Kirchenbehörden (Bischöfen von Straßburg und Speyer, Kapiteln, Klöstern) bezieht. Als Eigenanteil der Archives départementales werden ergänzend weitere „jenseits“ (des Rheins) betreffende Unterlagen, oder auch z.B. die Urkunden des Archivs bis 1250, digitalisiert und in das Portal integriert.
Blog des Projekts
http://archives.hypotheses.org (deutsche Version)
http://archives-fr.hypotheses.org (französische Version)
Auftaktveranstaltung zum Interreg IVa-Projekt \“Archivum Rhenanum\“. Digitale Archive am Oberrhein:
26.2.2013, Stadtarchiv Freiburg i. Br., Grünwälderstr. 15, Freiburg
Lancement officiel du projet Interreg IVa
Archives numérisées du Rhin supérieur
13 février 2013, 17.30 h
Archives Départementales du Haut-Rhin (Colmar)
3, rue Fleischhauer 68026 Colmar
Quelle: Interreg IVa-Projekt \“Archivum Rhenanum\“, Pressemitteilung, 29.1.2013