Am 3. März 2009 stürzten das Historische Archiv der Stadt Köln und zwei Wohngebäude in der Kölner Severinstraße ein. Dabei kamen zwei Menschen ums Leben, rund 90 Prozent des Archivguts wurden verschüttet. Als Grund für den Einsturz gilt unter Sachverständigen ein Zusammenhang mit dem U-Bahn-Bau als wahrscheinlich. Während Archive im Normalbetrieb Bestände erhalten, erschließen und zugänglich machen sollen, besteht seit 2009 die Hauptaufgabe der Kölner Archivare darin, die verschütteten Archivalien zu bergen, zu ordnen und zu restaurieren. Experten rechnen dafür mit einem Zeitbedarf von 30 bis 40 Jahren.
Auch das Universitätsarchiv Münster half bei der Einlagerung des Kölner Archivgutes. Die letzten Dokumente aus Köln, die noch in Münster lagerten, wurden nunmehr zurückgeführt, berichtet die Zeitung der WWU Münster in ihrer Dezemberausgabe 2012.
"So, wir sind jetzt weg. Vielen Dank für alles!" Ganz unprätentiös verabschiedete sich die Mitarbeiterin vor ein paar Wochen, erinnert sich die Leiterin des Uniarchivs Dr. Sabine Happ. Ihr Archiv war eines der 20 Ausweichquartiere, in das die Schriftstücke nach dem Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln nach dem 3. März 2009 gekommen waren. Zweieinhalb Jahre lang haben münstersche und Kölner Archivare Wand an Wand am Leonardo-Campus gearbeitet, Kaffee geteilt, sich über die Arbeit ausgetauscht, die Pausen und manchmal auch die Abende beim Essen verbracht. Das ist jetzt vorbei: In der vergangenen Woche haben die Dokumente wieder ihren Heimweg nach Köln angetreten – und mit ihnen die Kölner Archivare.
Abb.: Vorbereitung auf den Abtransport für die letzten Kölner Dokumente, die noch im Universitätsarchiv Münster lagerten (Foto: Peter Grewer/WWU)
Wer heute an der Baustelle in der Severinstraße in Köln steht, ahnt nichts von dem Drama, das sich hier vor fast vier Jahren ereignete: Kurz vor 14 Uhr stürzte das Gebäude ein – ein Zusammenhang mit dem U-Bahn-Bau in unmittelbarer Nähe gilt als wahrscheinlich. 30 Regalkilometer Unterlagen lagen wortwörtlich in Trümmern: Nässe bedrohte Akten, Schutt hatte Schriftgut beim Einsturz zerfetzt. Was in den kommenden Monaten folgte, hatte mit der eigentlichen Arbeit eines Archivars nicht mehr viel zu tun: Rund um die Uhr, sieben Tage die Woche sichteten die Archivmitarbeiter das von Feuerwehr und Technischem Hilfswerk geborgene Schriftgut. In blauen Bergungswannen wurde zuerst alles ins Erstversorgungszentrum in Köln-Porz, dann in die 20 Ausweichquartiere in der ganzen Bundesrepublik gebracht, darunter das Universitätsarchiv Münster.
„Wir konnten erst nicht glauben, was wir da hörten“, erinnert sich Sabine Happ. Als Aufrufe für Lagerflächen der geretteten Archivalien folgten, wandte sie sich sofort an den damaligen Baudezernenten der WWU, Reinhard Greshake, um den Kölnern ihre Unterstützung zusagen zu können. Denn wie es der Zufall wollte: Im Universitätsarchiv standen zu diesem Zeitpunkt mehrere Regale leer – ideal für die Akten aus Köln. Auch das Landesarchiv NRW und das LWL-Archivamt stellten Platz zur Verfügung. So kam im Sommer 2009 über ein Drittel des geborgenen Kölner Archivguts – 7.400 laufende Meter . nach Münster, 1900 davon lagerten im Universitätsarchiv.
„Die vielen Zusagen der Asylarchive waren unsere Lebensrettung“, betont Dr. Bettina Schmidt-Czaia, Leiterin des Kölner Archivs. Denn die Kunstversicherung hatte es der Einrichtung zur Auflage gemacht, alle geborgenen Archivalien in hauptamtlich betreute Archive zu bringen. Daher kam auch die schnelle Reaktion des Universitätsarchivs wie gerufen.
Ab Juli 2010 arbeiteten die Kölner in dem Gebäude am Leonardo-Campus. Ihr eigentlicher Arbeitsort existierte in der gewohnten Form nicht mehr. Nach dem Einsturz schrieb die Archivleitung Einsatzpläne, stellte neue Mitarbeiter ein und organisierte die Bearbeitung der Archivalien an den verschiedenen Standorten – eine Arbeitssituation, die mit dem Zustand vor dem 3. März 2009 nicht zu vergleichen war: Die Kölner Archivare arbeiteten fortan in einem der 20 Asylarchive oder verteilten sich auf die drei Standorte des Archivs in Köln sowie im sächsischen Wermsdorf. Eine der reisenden Archivarinnen ist Dr. Elisabeth Tharandt, die ab September 2010 regelmäßig nach Westfalen pendelte. Montagmorgens ging es mit dem Zug Richtung Münster, Freitagabends zurück nach Köln, die Nächte verbrachte sie im Hotel. „Daran musste ich mich gewöhnen“, erinnert sich die Rheinländerin.
Ihre Arbeit glich der eines Puzzles: Sie und ihre Kollegen waren vorwiegend damit beschäftigt, Archivalien zu identifizieren, die aus dem Kölner Erstversorgungszentrum nach Münster gekommen waren. Mithilfe einer speziellen Software, die nach dem Einsturz entwickelt worden war, verglichen sie die im Universitätsarchiv gelagerten Materialien mit bereits erfassten Dokumenten. So konnten sie nachvollziehen, was aus welchen Beständen stammte und wie es hinterher wieder zusammengeführt werden musste. Denn so wie in der Severinstraße nach dem Einsturz kein Stein mehr auf dem anderen stand, lagen auch die Archivalien nicht mehr neben dazugehörigen Dokumenten. „Wir fanden beispielsweise Schriftstücke aus der fünften Etage der Straßenseite neben anderen aus der ersten Etage der Hofseite“, erzählt Elisabeth Tharandt.
Auch wenn die Kölnerin das Rheinland vermisste – die münsterschen Kollegen machten das wett: „Sie haben uns so herzlich aufgenommen und uns jeden Wunsch von den Lippen abgelesen“, schwärmt sie. Das Team habe vieles möglich gemacht, was nicht selbstverständlich gewesen sei. Auch die gemeinsamen Abende im Restaurant werde sie in guter Erinnerung behalten. „Da sind Freundschaften entstanden.“ Nach etwas mehr als zwei Jahren haben die Archivare im Dezember ihre Arbeit im Uniarchiv beendet. Bereits seit Ende 2011 läuft der Abtransport fertig bearbeiteter Akten, in der vergangenen Woche traten die letzten Paletten mit Archivmaterial ihren Heimweg nach Köln an. „Den Kollegen im Universitätsarchiv Münster haben wir viel zu verdanken: Sie haben uns aufgerichtet, als wir nicht soviel hatten, über das wir uns freuen konnten. Und sie haben uns unterstützt, wo sie konnten“, blickt Archivleiterin Bettina Schmidt-Czaia zurück.
Bei Sabine Happ schwingt Wehmut mit, wenn sie vom Abschied der Kölner erzählt. Bei der Arbeit und an gemeinsamen Abenden habe sie die Kollegen besser kennengelernt, aus losen Tagungskontakten seien Freundschaften geworden. Dennoch – für die frei gewordenen Regale hat sie schon neue Pläne: „Wir hatten dieses Jahr bei den Archivalien viele Neuzugänge. Die Lagerflächen können wir gut gebrauchen.“
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Quelle: Juliette Ritz, wissen|leben. Die Zeitung der WWU Münster, 12.12.2012, 2; Die Glocke, 10.12.2012