Als erstes Bundesland hat Thüringen ein \“Leitbild Kultur\“ erarbeitet. Bereits mit dem 1. Thüringer Kulturforum wurde 2010 zu einem breiten Diskussions- und Beteiligungsprozess zu den Zielen der Thüringer Kulturpolitik eingeladen. Im Frühjahr 2011 wurden dann für die Weiterentwicklung des Kulturkonzepts acht Arbeitsgruppen gebildet, in denen neben Vertretern der kulturellen Fachverbände, der kulturellen Institutionen und der kommunalen Kulturverwaltungen auch externe Fachleute mit entsprechender Expertise, Fachleute aus dem Kulturmanagement sowie Mitarbeiter aus den Landesressorts mitwirkten. Das Kulturkonzept 2012 ist Ergebnis dieses breiten Dialogprozesses. Es verschafft einen Überblick über die Thüringer Kulturlandschaft und bestimmt künftige Herausforderungen und Perspektiven.
In dem jetzt, im Oktober 2012, veröffentlichten Kulturkonzept des Freistaats Thüringen findet das Archivwesen eine ausführliche Berücksichtigung. Das Projekt eines \“digitalen Magazins\“ für die Landesverwaltung wie auch die Funktion der Archive als \“außerschulische Lernorte\“ werden dabei als zukunftsweisend besonders herausgehoben:
\“Archive sind Orte der historischen Bildung und der allgemeinen Landeskunde; sie dienen als Gedächtnis für politische und kulturelle Entwicklungen und Vorgänge, aber auch zu technischen oder umweltpolitischen Fragen. Der Umgang mit Dokumenten und Aktenvorgängen fördert über die Aneignung von Faktenwissen hinaus die Fähigkeit zur Quellenkritik.
In den Thüringer Archiven wird das Schriftgut aufbewahrt, das in der Verwaltung seit dem Mittelalter entstanden ist. Diese Urkunden und Akten aus mehr als 1.000 Jahren sind die wichtigsten Quellen zur Dokumentation der Landesgeschichte. Sie existieren zudem im Gegensatz zur Buchproduktion stets nur ein Mal. Da in der DDR die Wirtschaft überwiegend volkseigen war, kommt deren umfangreiche Überlieferung (auch die von Vorgängerbetrieben bis zurück ins 18. Jahrhundert) hinzu. Dies ist eine Besonderheit der Archive in den neuen Bundesländern.
Im Freistaat Thüringen bestehen in Altenburg, Gotha, Greiz, Meiningen und Rudolstadt Staatsarchive, in Weimar das Hauptstaatsarchiv. All dies sind frühere Residenzstädte, zu deren üblicher Ausstattung neben Theatern, Museen, Bibliotheken und weiteren Kultureinrichtungen stets auch Archive gehörten. 1923, wenige Jahre nach der Gründung des Landes, wurden sie zu Thüringischen Staatsarchiven. Heute werden in diesen Einrichtungen mehr als 60 laufende Regalkilometer aufbewahrt. Die historisch gewachsene, durch die kleinstaatliche Vergangenheit bedingte Struktur prägt auch die kommunalen Archivverhältnisse. In großer Dichte drängen sich wenige größere Stadtarchive (Erfurt, Gera), einige Stadtarchive mittlerer Größe (Jena, Weimar, Gotha, Mühlhausen) und viele kleine und kleinste Stadt- und Gemeindearchive, die zum Teil in Kreisarchiven deponiert sind. Daneben bestehen Facharchive öffentlicher und privater Träger. Kirchen, Wirtschaftbetriebe, wissenschaftliche und kulturelle Institutionen, Medien und nicht zuletzt der Landtag unterhalten eigene Archive.
Die Aufgaben der Archive im Freistaat werden durch das Thüringer Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut [vom 23.04.1992; GVBl. Nr. 10/1992, S. 139-143; vgl. Bibliografie unten] definiert. Ergänzt werden diese Bestimmungen durch Verordnungen zur Zuständigkeit und zur Benutzung der Staatsarchive.
Akten sind Rechtsdokumente. Daher ist die Aktenüberlieferung in den Archiven für die Klärung von Rechtsfragen (Eigentumsnachweise, politische Rehabilitierungen, finanzielle Entschädigungen, Kontenklärung für die Rentenversicherung, Prüfungs- und Zeugnisnachweise u. a. m.) unverzichtbar. Daneben stehen die Archive allen an Geschichte interessierten Bürgern offen. Durch Beratung und Unterstützung von Interessenten an der Orts- und Regionalgeschichte, von Schülern und Studenten bis hin zu Autoren wissenschaftlicher Arbeiten tragen Archive zur Erforschung und Popularisierung der Landesgeschichte bei. Auch durch die Mitarbeit in den örtlichen und regionalen Geschichtsvereinen, die Veröffentlichung von Quellentexten und eigenen Forschungsergebnissen stiften die Archive an zentraler Stelle historische Identität. Für die Staatsarchive ist die eigenständige Erforschung der Landesgeschichte ausdrücklich im Archivgesetz (§ 7 Abs. 3) als Aufgabe festgeschrieben. Für die Archive der Universitäten, Hoch- und Fachschulen gehört die Erforschung der eigenen Geschichte zu ihrem Selbstverständnis als wissenschaftliche Einrichtungen. Mit der Einführung des Seminarfachs in den höheren Klassen der Gymnasien hat die Beratung und Betreuung von Schülern bei einschlägigen Facharbeiten deutlich zugenommen. Viele Archive gehören zum festen Besuchsprogramm der entsprechenden Jahrgangsstufen der Schulen am Standort, zum Teil auch von weiteren Schulen aus der Umgebung.
Derzeit wird diese Zusammenarbeit institutionalisiert. Mehrere Staatsarchive entwickeln sich in Zusammenarbeit mit dem ThILLM (Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien, Bad Berka) zu \“außerschulischen Lernorten\“.
Die Thüringischen Staatsarchive sind, bedingt durch ihren Entstehungshintergrund, in der Mehrzahl in historischen Gebäuden untergebracht, oft innerhalb alter Schlossbauten. Mit der Auflösung der Bezirksbehörden nach der Wiedervereinigung und dem Untergang zahlreicher Wirtschaftsbetriebe sind ihnen um 1990 erhebliche Aktenmengen zugewachsen, die keinen Sperrfristen unterlagen, da nur so die Rechtssicherung für Staat, Kommunen und Privatpersonen ermöglicht werden konnte. Vielerorts hat sich in dieser Zeit der Umfang des Archivguts verdoppelt. Dafür war eine Erweiterung der Magazinkapazitäten erforderlich. Greiz hat einen Neubau erhalten; in Weimar läuft der letzte Bauabschnitt der Sanierung des Marstallgebäudes (Gesamtkosten in Höhe von 30,2 Mio. Euro), in Altenburg sind erhebliche Teile saniert worden und es hat Erweiterungen innerhalb des Schlossbereiches gegeben, in Gotha ist der Umzug in das \“Perthes-Forum\“ bis 2014 geplant, und in Rudolstadt wurden Teile des Magazins saniert.
In den Landkreisen und Kommunen gehören die Archive zu den wenigen institutionalisierten Kulturträgern vor Ort. Sie sind wichtige Impulsgeber für die Heimatpflege.
Seit 2006 stellen 148 Archive aller Sparten sich und ihre Bestände im \“Archivportal Thüringen\“ vor. Die Quote einer Beteiligung von fast 80 Prozent der insgesamt 184 gemeldeten öffentlichen Archive und von 64 Prozent der nichtstaatlichen Archive ist im Vergleich zu anderen Bundesländern ungewöhnlich hoch.
Wie die Bibliotheken müssen die Archive häufig benutzte und herausragende Bestände sukzessive digitalisieren und für eine Nutzung im Internet zur Verfügung stellen. Diesen Maßnahmen kommt zudem unter dem Aspekt der Bestandserhaltung eine besondere Bedeutung zu. Die Thüringischen Staatsarchive sind hierzu eine Kooperation mit der ThULB Jena eingegangen. Die verschiedenen bereits laufenden Projekte sind so angelegt, dass sie entsprechend den kulturpolitischen Forderungen in die Deutsche Digitale Bibliothek bzw. in die Europeana einfließen können. Eine besondere und dringliche Aufgabe ist ferner die gesetzlich vorgeschriebene Archivierung der in der Landesverwaltung zunehmend entstehenden digitalen Aktenbestände.
Perspektiven
1. Die öffentlichen Archive haben gemäß Thüringer Archivgesetz die Aufgabe, das Archivgut der öffentlichen Stellen zu übernehmen, zu erfassen, zu verwahren, zu erhalten, zu erschließen und es für die Benutzung bereitzustellen. Die Archivierung von elektronischen Unterlagen gehört ebenso zu den gesetzlichen Pflichtaufgaben der Staatsarchive. Das stetige Anwachsen der Archivbestände macht deren Einbeziehung in die Digitalisierungsstrategie des Landes notwendig.
2. Zunehmend entstehen in zahlreichen Landesbehörden Akten und Fachanwendungen nicht mehr auf Papier, sondern nur noch in digitaler Form. Das Land Thüringen entwickelt unter Leitung des Thüringer Hauptstaatsarchivs Konzepte und Planungen, die vorhandenen und künftig entstehenden digitalen Akten und Dateien auf Dauer zu sichern und gemäß Archivgesetz zugänglich zu machen. Insgesamt muss dabei sichergestellt sein, dass jeder Zugriff und vor allem jede Veränderung der Daten/Akten dokumentiert wird und nachvollziehbar bleibt, damit Manipulationen ausgeschlossen werden. Sorge getragen werden muss ebenfalls dafür, dass die archivwürdigen Daten wie auch die zugehörigen Metadaten in archivische Systeme überführt und dort dauerhaft lesbar gehalten werden können. Diese Planungen müssen in die IT-Strategie des Freistaats eingebunden werden.
3. Die thüringischen Archive werden weiterhin auf Grundlage ihrer besonderen Verpflichtung gegenüber der Landesgeschichte ihre Servicefunktionen und ihre Bildungsarbeit als außerschulische Lernorte wahrnehmen. Insbesondere mit dem ThILLM und den Schulen in den entsprechenden Regionen sollen verstärkt Veranstaltungen, Ausstellungen und andere Aktivitäten realisiert werden.
4. Die öffentlichen Archive wirken auch an der Erforschung der bei ihnen verwahrten archivalischen Quellen mit. Deshalb bemühen sich vor allem die Staatsarchive und die größeren Stadtarchive darum, durch gezielte Übernahme von ausgewähltem Sammlungsgut aus privater bzw. nichtöffentlicher Hand (Fotosammlungen, Vereinsarchive, Nachlässe von Politikern, Künstlern und Schriftstellern) die Aktenüberlieferung zu ergänzen und das gesellschaftliche Leben in seiner ganzen Breite abzubilden.
5. Das Archivportal, das sich mit durchschnittlich 100.000 Zugriffen und über 7.000 Besuchern pro Monat sehr gut entwickelt hat, wird als zentrales Informationsmedium über das Thüringer Archivwesen weiterzuentwickeln sein.\“
Bibliografie:
Thüringer Gesetz zum Erlass und zur Änderung bibliotheksrechtlicher Vorschriften – Thüringer Bibliotheksrechtsgesetz (ThürBibRG) vom 16.07.2008, GVBl. Nr. 8/2008, S. 243–245. www.thueringen.de/imperia/md/content/tmbwk/kulturportal/archive_bibliotheken/2008-07-30_endgueltiger_gesetzestext_1_.pdf
Thüringer Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut vom 23.04.1992; GVBl. Nr. 10/1992, S. 139-143. www.thueringen.de/de/staatsarchive/rechtsgrundlagen/Gesetz1
Archive: www.archive-in-thueringen.de
Thüringer Gesetz zur Änderung hochschulrechtlicher Vorschriften, GVBl. Nr. 18/2006, S. 601–683; hier: § 38, Hochschulbibliothek. Aktuellste Version (01.04.2009): www.thueringen.de//th2/tmbwk/wissenschaft/hochschule_und_studium/hochschulrecht
Quelle: Kulturkonzept des Freistaats Thüringen, Oktober 2012, Seiten 5, 87-89, 186; Download unter www.thüringen.de/imperia/md/content/tmbwk/kulturportal/kulturkonzept_thueringen.pdf.