Ausstellung zum 50. Todestag des Dichters und Nobelpreisträgers Hermann Hesse in Reutlingen

Eine "Gewalt der Versunkenheit" erkannte der Dichter Ludwig Finckh in dem Hermann Hesse-Porträt des Malers Oskar Kreibich (1916-1984). Er hatte das Tempera-Gemälde bei seinem Besuch Oskar Kalbfells Anfang 1959 im damaligen Reutlinger Rathaus in der Alteburgstraße ausgiebig betrachtet. Von der Stadt war es angekauft worden, nachdem die Hans-Thoma-Gesellschaft im Oktober 1958 im Spendhaus eine Ausstellung mit Werken des damals überaus renommierten Künstlers präsentiert hatte.

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Der Brief Ludwig Finckhs (1876-1964) mit dem Lobpreis des Hesse-Porträts von Kreibich ist Teil einer amtlichen Akte zu dem aus Reutlingen stammenden Schriftsteller. Das Konvolut wurde jüngst im Stadtarchiv Reutlingen verzeichnet und so ergab sich der Hinweis auf das großformatige Gemälde beziehungsweise auf einen kleinen Mosaikstein der Hesse-Rezeption in den 1950er Jahren. Das Porträt des hochgeehrten Literaten zählt heute zu den Beständen des Städtischen Kunstmuseums Spendhaus.

Ludwig Finckhs gewagte Einschätzung, das Werk Kreibichs sei "das beste Bild von Hesse", hat sich angesichts zahlreicher gemalter und gezeichneter Hesse-Porträts nicht durchgesetzt. Oskar Kreibich selbst ist 1984 in Backnang verstorben. Der 50. Todestag von Hermann Hesse ist für das Stadtarchiv Anlass, das Gemälde in seinen Wandvitrinen zu präsentieren und auf eine durchaus bezeichnende Episode Reutlinger Kulturgeschichte der Kalbfell-Ära hinzuweisen.

Oskar Kreibich, der sich Ende der 50er Jahre nicht zuletzt als Portraitist einen Namen gemacht hatte, erhielt im Herbst 1958 einen weiteren Auftrag: Er malte Oberbürgermeister Oskar Kalbfell in Öl. Dieses Kunstwerk wiederum war als Grundstein einer – letztlich nicht realisierten – Gemäldegalerie Reutlinger Oberbürgermeister für das noch zu erbauende neue Rathaus gedacht gewesen. Reutlingens Stadtoberhaupt stellte sich als Sujet Kreibich’schen Schaffens in eine Reihe mit dem Nobelpreisträger von 1946.

In der kleinen Ausstellung des Stadtarchivs sind darüber hinaus einzelne Karten und Briefe von Hermann Hesse (2.7.1877-9.8.1962) zu sehen, die durch die intensive Bearbeitung des umfangreichen schriftlichen Nachlasses von Ludwig Finckh in den letzten Jahren greifbar wurden. Die relativ kurze Zeit der Jugendfreundschaft der beiden Dichter sowie ihrer Nachbarschaft in Gaienhofen am Bodensee zwischen 1897 und 1912 hatte eine nahezu lebenslange Korrespondenz zur Folge.

Die wiederum belegt die Distanz zwischen einem allen ideologischen Massenströmungen kritisch gegenüberstehenden Hermann Hesse auf der einen und Ludwig Finckh auf der anderen Seite. Jener hatte sich um 1930 zu einem "blinden Hitlerschwärmer" (Hesse) entwickelt. Es überrascht nicht, dass sich die schriftlichen Kontakte nach 1933 weiter reduzierten, vor allem nachdem Hesse insbesondere ab 1935 zum erklärten Ziel nationalsozialistischer Anfeindungen wurde.

Vollständig zum Erliegen kam der Briefaustausch zwischen Gaienhofen und Montagnola allerdings auch in der Zeit jenes "Dritten Reichs" nicht. 1942 versuchte Hesse – letztlich vergeblich – seine letzte große Arbeit, das später so betitelte "Glasperlenspiel", in Deutschland erscheinen zu lassen. Dabei hat er auch die Beziehung zum einstigen Freund und Nachbarn wieder aufgenommen und Finckh unter anderem mitgeteilt: "Ich habe im April das Buch fertig gemacht, an dem ich die letzten elf Jahre gearbeitet habe."

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Dieser Brief ist in der Wandvitrinenausstellung ebenso zu sehen, wie etwa zwei Postkarten von Hesses großer "Indienreise" 1911. Die beiden Grüße aus Asien zeigen touristische Motive, so etwa zwei Nasenflöte spielende Eingeborene der indonesischen Inselwelt. Die immensen Reiseeindrücke und -strapazen sind auf knappe schriftliche Mitteilungen reduziert. Auf einer Ansichtskarte von Westjava ("Buitenzorg"), das zur damaligen Kolonie Niederländisch-Indien gehörte, hat der Schriftsteller als ironisches Reisefazit notiert: "Von Insekten und Krokodilen belästigt, fahre ich auf den Sumatraflüssen herum […]".

Das Hermann Hesse-Gemälde Oskar Kreibichs sowie die kleine Archivalienschau vor den Diensträumen des Stadtarchivs können zu den Öffnungszeiten der Rathaus-Eingangshalle bis Ende November 2012 besichtigt werden.

Kontakt:
Stadtarchiv Reutlingen
Marktplatz 22
72764 Reutlingen
Telefon: 07121 303-2386
Telefax: 07121 303-2758
stadtarchiv@reutlingen.de

Quelle: Stadt Reutlingen, Pressemitteilung, 9.8.2012

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