Im Alter quält uns so manches Zipperlein: Wir verlegen die Brille, vergessen Namen und erinnern uns immer schlechter an Zurückliegendes. Zum Glück ist beim Universitätsarchiv Münster das Gegenteil der Fall: Im Juni feiert das „Gedächtnis der Uni“ 100-jähriges Jubiläum – in den Akten, Tagebüchern, Briefen, Listen oder Fotos liegen hunderte interessante Geschichten und Anekdoten.
„Es ist toll, direkt an der Quelle zu sitzen“, schwärmt Universitätsarchivarin Dr. Sabine Happ. Im Juni 1912 beschloss der Senat die Gründung des Archivs, doch erst 2005 bekam es mit Sabine Happ eine hauptamtliche Leiterin. Bis dahin lag die Leitung 26 Jahre lang ehrenamtlich bei Prof. Wilhelm Kohl, dem früheren Direktor des Staatsarchivs. Ihm standen mehrere hauptamtliche Mitarbeiter zur Seite. Zuerst richtete die WWU ihr Archiv im Hauptgebäude am Domplatz ein. Nach einer kriegsbedingten Auslagerung ins Staatsarchiv Münster und einer Zwischenstation an der Steinfurter Straße befindet es sich seit 1996 am Leonardo-Campus.
Sabine Happ, ihre fünf Mitarbeiter und zwei studentische Hilfskräfte sorgen dafür, dass im Gedächtnis der Universität weder Erinnerungslücken noch zu viel Ballast anfallen. Die Einrichtungen der WWU bieten dem Archiv nach bestimmten Aufbewahrungsfristen ihre Akten an. Dann bewerten die Archivare, welche Unterlagen aufgehoben werden sollen. „Das wichtigste Kriterium ist dabei die historische Relevanz“, erklärt Sabine Happ. Darunter fällt Rechtliches, etwa Kooperationsverträge zwischen der WWU oder dem Universitätsklinikum. Dazu gehören aber auch Beschlüsse aus Senat, Rektorat und Hochschulrat oder Flyer und Plakate – „als schöne Überlieferung des Uni-Alltags“.
Abb.: Den Durchblick behält Dr. Sabine Happ, Leiterin des Universitätsarchivs, trotz der Masse an Akten, die sich in den Regalen stapeln. (Foto: Peter Grewer/WWU)
Was bleibt, bearbeiten die Archivare nach einem ausgeklügelten System: Angelieferte Akten erhalten zuerst eine Zugangsnummer, bis die Archivare sie genau erfassen. Für jeden Bereich hat das Universitätsarchiv einen Bestand angelegt – von A wie Alte Universität (1780 bis 1818) bis Z wie Zeitungsausschnitte. Die Mitarbeiter sichten und verzeichnen alles, was an Akten im Archiv aufläuft, um sie über die Findbücher den Benutzern zugänglich zu machen. Zur Bestandspflege gehört auch mühevolle Kleinarbeit: Metallische Materialien wie Klammern müssen raus, weil sie rosten und langfristig das Papier schädigen. Dann packen die Archivare die Akten in säurefreie Kartonagen und beschriften sie mit einem Etikett.
„Wir machen manchmal tagelang nichts anderes“, seufzt Sabine Happ. „Dafür braucht man schon eine Faszination für altes Papier.“ Im vergangenen Jahr verzeichnete das Team 41.000 Akten – normal sind 6.000 bis 7.000 Akten. Mit den Archivalien könnte man die Strecke zwischen Münster und Nienberge pflastern: 5.000 laufende Regalmeter lagern in den Magazinen am Leonardo-Campus.
Wer sich in die mühevoll sortierten Unterlagen vertieft, erfährt viel über die WWU: etwa die Geschichte der ersten Studentinnen, durch deren große Hüte sich die Studenten während der Vorlesungen gestört fühlten. Da sind außerdem all die Akten des Universitätsrichters, der im 19. Jahrhundert studentische Vergehen ahndete. Geprellte Zechen, zerschlagene Laternen oder nächtliche Ruhestörungen belegte er wahlweise mit Geldstrafen oder einem Aufenthalt im Uni-Karzer. Da sind aber auch die Akten aus der Psychiatrischen Klinik in der NS-Zeit, mit denen Medizinhistoriker erforschen, wie Ärzte bestimmte Krankheitsbilder behandelten – und in einigen Fällen absichtlich falsche Diagnosen stellten, um Patienten vor dem Tod zu retten.
Solange es die Archivare mit Akten, Briefen oder Fotos zu tun haben, stellt sie das vor keine größeren Herausforderungen. Schwieriger wird es mit Tonbändern, Schallplatten oder Disketten: Spätestens in 50 Jahren könnte es an passenden Abspielgeräten mangeln. Überhaupt, die neuen Medien: Sie sind ein Großangriff aufs gute Gedächtnis der Uni. Ginge es nach Sabine Happ, würde sie am liebsten den gesamten Internetauftritt der WWU archivieren. „Der könnte später wirklich interessant sein!“ Noch rätseln Experten weltweit, wie sich digitale Daten langfristig archivieren lassen. „Da hat man’s mit alten Papierakten deutlich einfacher!“
Kopfzerbrechen bereitete dem Team etwa das digitale Vorlesungsverzeichnis: Seit dem Wintersemester 2009/2010 erscheint es nur noch online. „Das Dokument ist rechtsrelevant, die Online-Version aber nicht langfristig gesichert“, erklärt Archiv-Geschäftsführer Robert Giesler. Die Archivare fanden eine vorläufige Lösung – altmodisch, aber bewährt: Jetzt liefert die EDV-Abteilung jedes Semester ein ausgedrucktes Exemplar.
Am 5. September feiert das Universitätsarchiv seinen 100-jährigen Geburtstag mit einer großen Festveranstaltung.
Kontakt:
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Leonardo-Campus 21
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Quelle: Juliette Ritz, wissen|leben – Die Zeitung der WWU Münster, Ausgabe Juni 2012, 4.6.2012