Der Jahresband der Reutlinger Geschichtsblätter 2009 ist ganz der Person und dem Wirken des Theologen, Sozialreformers und Industriepioniers Gustav Werner gewidmet, dessen Geburtstag sich 2009 zum 200. Mal gejährt hat. Die einzelnen Beiträge nähern sich der Biographie des Bruderhaus-Gründers aus recht unterschiedlichen Blickwinkeln und Fragestellungen.
Der in jeder Hinsicht gewichtigste Beitrag stammt aus der Feder von Johannes Michael Wischnath, dem Leiter des Tübinger Universitätsarchivs. Er untersucht auf einer breiten Quellengrundlage Gustav Werners Studienzeit in Tübingen und die prägenden Einflüsse, die er in jenen Jahren durch das politische und geistige Umfeld in der Stadt und an der Universität wie auch durch persönliche Verbindungen und Freundschaften erfahren hat. Gerhard Betsch richtet in seinen „biographischen Anmerkungen“ den Fokus auf vier Stationen in Gustav Werners beeindruckendem Lebensweg, die nach Auffassung des Autors nochmals einer differenzierteren Betrachtung bzw. Prüfung bedürfen. Neben dem vielfach unterschätzten Einfluss des Vaters ist dies insbesondere die faszinierende Erfahrung einer Prag-Reise, die Gustav Werner als 17-Jähriger unternommen hat und die für den jungen Studenten eine enorme Horizonterweiterung gerade auf technischem und naturwissenschaftlichem Sektor mit sich brachte. Ein entscheidender Einschnitt in Gustav Werners Werdegang war zweifelsohne der Konflikt mit der württembergischen Landeskirche. Er war zum einen der Auslöser dafür, dass Werner seine Vikariatsstelle in Walddorf aufgab und 1840 an seine zukünftige zentrale Wirkungsstätte nach Reutlingen kam, und führte zum anderen in letzter Konsequenz dazu, dass er ein gutes Jahrzehnt später aus der Liste der Kandidaten des evangelischen Predigtamts gestrichen wurde.
Hermann Ehmer, der frühere Leiter des Landeskirchlichen Archivs in Stuttgart, schildert in seinem Beitrag die Hintergründe der Auseinandersetzungen und den Ablauf der Ereignisse. Gustav Werners Bruderhaus-Idee und seine Einrichtungen in Reutlingen fanden großen Zulauf. Bereits in den 1860er Jahren waren zahlreiche Zweiganstalten an anderen Orten entstanden. Über diese Filialen, über ihre Organisation, die Lebensbedingungen der dortigen Pfleglinge und die Verbindungen zum Mutterhaus ist bislang wenig bekannt. Klara Scheffer hat die Verhältnisse am Beispiel des Bruderhauses Göttelfingen im Schwarzwald untersucht und vermittelt einen sehr anschaulichen Eindruck von der Umsetzung der Werner´schen Ideale in den Tochteranstalten auf dem Lande. Ein ganz anderes, bislang ebenfalls noch nicht beleuchtetes Kapitel in Gustav Werners sozialem Lebenswerk schlägt schließlich Walter Göggelmann auf. Seine Ausführungen zeigen, wie Werners Vorstellungen der Nächstenliebe und Versöhnung gerade während des von Feindschaft und blindem Nationalismus gekennzeichneten Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 zum Tragen kamen und vor Ort, bis unmittelbar in die Kriegsschauplätze hinein, wichtige Impulse für ein friedliches Miteinander gaben.
Info:
Reutlinger Geschichtsblätter N.F. 48, hg. v. Stadtarchiv Reutlingen und Geschichtsverein Reutlingen, Schriftleitung: Heinz Alfred Gemeinhardt, 335 Seiten, 24 €
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Quelle: Geschichtsverein Reutlingen, 8.7.2011