Neues Stadtarchiv Stuttgart öffnete mit Tag der offenen Tür

Es hat lange gedauert, doch jetzt besitzt das Stadtarchiv Stuttgart mit dem großzügigen Gebäudeensemble im Bad Cannstatter Bellingweg 21 endlich ein Domizil, das die verschiedenen, bisher über die Innenstadt verstreuten Archivgebäude und Räume unter einem Dach versammelt. Dabei bietet das ehemalige historische Kontor und Lagergebäude dem Archiv auch optisch und im Blick auf die eigene Vergangenheit eine absolut standesgemäße Unterkunft, schließlich ist es selbst in Teilen ein Kulturdenkmal und steht unter Denkmalschutz. Der Komplex befindet sich schon seit Längerem im Besitz der Stadt und wurde für seinen neuen Verwendungszweck komplett umgebaut. Mitarbeiter und Archivalien sind bereits vollständig in ihr neues Quartier umgezogen.

Am 22. Januar 2011 wurde mit einem Tag der offenen Tür offiziell Eröffnung gefeiert. Die Stuttgarterinnen und Stuttgarter konnten ihr neues Stadtarchiv dabei von 14 bis 17 Uhr gleich richtig kennenlernen. Im Angebot waren Führungen durch das gesamte Gebäude mit vielen Blicken hinter die Kulissen. Wer Lust hatte, konnte außerdem bei der Ausstellung \“Großstadtleben. Ein Bummel durch das Archiv und seine Bestände\“ auf Entdeckungsreise gehen oder die vielfältigen Arbeits- und Recherchemöglichkeiten im modernen Lesesaal ausprobieren. Für die jüngsten Besucher gab es ein kleines Quiz, verschiedene Angebote, sich spielerisch mit der Stadtgeschichte anzufreunden und eine Kinderbetreuung.

Seit Montag, dem 24. Januar, herrscht im Stadtarchiv Stuttgart wieder Normalbetrieb. Der Lesesaal ist dann zu folgenden Zeiten geöffnet: Montag 9 bis 13 Uhr, Dienstag, Donnerstag und Freitag 9 bis 16 Uhr und Mittwoch 9 bis 18 Uhr. Archivalien können jeweils bis 10 und 13 Uhr, mittwochs auch bis 15.30 Uhr bestellt werden, die Wartezeit beträgt zirka eine halbe Stunde.

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Abb.: Schnitt durch den Eisspeicher. Copyright: agn Niederberghaus und Partner

Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Schuster ist dankbar, dass das Archiv als das \“Gedächtnis Stuttgarts\“ nun einen Ort besitzt, an dem es Wurzeln schlagen und sich optimal weiter entwickeln kann: \“Die Zeit der Provisorien hat ein Ende. Ich bin froh, dass wir 20 Millionen Euro in den Umbau des denkmalgeschützten Ensembles und damit in die Zukunft unserer Stadt investiert haben.\“ Und weiter: \“ Es ist ein gutes Zeichen, dass das Jahr in Stuttgart mit der Eröffnung eines wichtigen kulturellen Highlights beginnt, während in anderen Städten Kultureinrichtungen aus Geldmangel geschlossen werden müssen oder zur Disposition stehen.\“ Dr. Roland Müller, Direktor des Archivs, ergänzt: \“Für das Stadtarchiv bedeutet das neue Gebäude einen großartigen Schritt nach vorn. Die Zersplitterung ist zu Ende; erstmals verfügen wir über sachgerechte Magazine sowie Räumlichkeiten für unsere Bildungsarbeit.\“

Der Gebäudekomplex des neuen Stadtarchivs liegt am Rand des Bad Cannstatter Wohngebiets Veielbrunnen – der früher so genannten Fabrikvorstadt – und bildet einen V-förmigen Grundriss, der sich nach Südosten öffnet. Dort sollen auf der brachliegenden Fläche des ehemaligen Güterbahnhofs in Zukunft moderne Gewerbeflächen und ein Wohngebiet mit hohen Qualitätsstandards entstehen. Das Stadtarchiv am Bellingweg 21 wird dann den Übergang vom alten in den neuen Stadtteil markieren.

Der Hauptbau des Komplexes, das ehemalige Kontor und Lagergebäude, wurde 1921 nach Plänen des Stuttgarter Architekten Albert Schieber für den Großeinkaufsverein der Kolonialwarenhändler Württemberg (später EDEKA) errichtet und ist heute – insbesondere aus baugeschichtlichen und bautypologischen Gründen – als Kulturdenkmal eingestuft. Der dreischiffige Eisenskelettbau, dessen Bausubstanz weitgehend erhalten ist, gilt als gutes Beispiel für die durch Theodor Fischer geprägte Stuttgarter Schule in den 1920er-Jahren. Die späteren Lageranbauten und Erweiterungen von 1937 und 1953 sind nicht denkmalgeschützt, bilden heute aber mit dem Hauptbau eine städtebauliche Einheit.

Im repräsentativen, älteren Bauteil mit seinem markanten halbrunden Turm als ehemaligem Eingangsbereich sind jetzt neben den Büroräumen insbesondere die Nutzungseinheiten untergebracht, die große Flächen beanspruchen, wie etwa der Lese- und der Vortragssaal. Das Magazin, als Herz des neuen Stadtarchivs, hat seinen Platz dagegen in den neueren Anbauten gefunden, ebenso wie die Depots des künftigen Stadtmuseums.

Entsprechend den Vorgaben von Denkmalschutz und Stadtverwaltung sind im neuen Stadtarchiv trotz der notwendigen umfangreichen Umbauarbeiten Charakter und Geschichte des einstigen Lagergebäudes erkennbar geblieben. Die regelmäßig angeordneten Fensterelemente des Hauptgebäudes, die Sprossenfenster, der apsisartig angefügte Turm mit dem früheren Haupttreppenhaus und die sich abwechselnden großen und kleinen Dachgauben bilden zusammen mit den Baumaterialien Backstein und Sichtbeton den Außeneindruck des imposanten Gebäudes. Alle Fensterflächen wurden denkmalgerecht durch gut isolierte Nachbauten ersetzt. Auf eine energiesparende Dämmung in den öffentlich zugänglichen Bereichen innen wie auch auf der Außenfassade wurde dagegen aus Denkmalschutzgründen verzichtet, obwohl dies eine Einsparung bei den Heizkosten bedeutet hätte.

Im Inneren blieb außerdem die ehemalige Bahnladerampe des Kontors mit Tor und Schienen erhalten. Sie bilden jetzt einen Teil des zweigeschossigen Lesesaals. Als eine Art historisches Zitat wurden die Gleise im Inneren optisch fortgeführt und mit abgeschlossenen \“Arbeitszellen\“ für Archivnutzer bestückt, die auf den Betrachter wie Waggons auf Schienen wirken. Diese Überbleibsel der historischen Nutzung verleihen dem heutigen Lesesaal eine ganz besondere Atmosphäre. Der gläserne Aufzug, der die beiden Ebenen des Lesesaals verbindet, vereint Funktionalität mit Transparenz und vermeidet es damit, die Weite der ehemaligen Lagerhalle zu unterteilen.

Gerade im öffentlichen Bereich von Foyer, Lesesaal und Vortragssaal bleibt der Raumeindruck der ehemaligen Lagerhalle samt Stützen und Unterzügen erhalten. Ein Wandabschnitt mit einem historischen Eisenfenster, der im Originalzustand konserviert wurde, unterstreicht dies zusätzlich. Zusammen mit dem ebenfalls restaurierten Einfahrtstor für Güterzüge prägt dieses Wandelement die Stirnseite des Lesesaals.

Der neue Lesesaal ist die entscheidende Schnittstelle zwischen Archiv und Öffentlichkeit. Hier erhalten interessierte Bürgerinnen und Bürger Zugang zu den im Stadtarchiv verwahrten Dokumenten und Unterlagen. Diese Archivaliennutzung findet unter fachkundiger Beratung jetzt in einem wesentlich geräumigeren und freundlicheren Umfeld statt als bisher in der Silberburgstraße. Der Lesesaal bietet insgesamt 33 Arbeitsplätze, darunter vier Rechercheplätze, die mit Computern ausgestattet sind, und drei Mikrofilmplätze; der Zugang ist barrierefrei.

Die Freihandbibliothek ist über dem Lesesaal auf großzügigen 370 Quadratmetern untergebracht. Sie beherbergt mit rund 2000 Bänden den größten frei zugänglichen Bücherbestand zur Stuttgarter Stadtgeschichte. Neu ist der direkte Zugriff der Nutzer auf Mikrofilme. Mehrere moderne Filmlesegeräte erlauben es, die umfangreichen historischen Zeitungsbestände selbstständig zu sichten und hochwertige Kopien anzufertigen. Sämtliche Arbeitsplätze im Lesesaal verfügen über Anschlüsse für Laptops. Ein separater EDV-Lesesaal für elektronische Dokumente soll in den kommenden Jahren noch ausgebaut werden. Interessierte können in fünf abgeschlossenen Arbeitszellen (im ehemaligen Gleisbett) Bild- und Tondokumente auswerten sowie eigene Fotografien von Archivgut anfertigen, soweit keine rechtlichen und konservatorischen Beschränkungen bestehen. Eine Zelle ist für Nutzer reserviert, die an längerfristigen wissenschaftlichen Projekten arbeiten.

Die regelmäßige Betreuung von Besuchergruppen, insbesondere von Schulklassen, zählen ebenso wie Ausstellungen, Vortragsveranstaltungen und Tagungen zur Routinearbeit eines Stadtarchivs. Diese Angebote können nun dank der komfortableren räumlichen Verhältnisse ausgedehnt und gleichzeitig direkt im Stadtarchiv angeboten werden. Speziell für Schulen werden projektbezogene Einführungen in die Archivarbeit angeboten. Sie sind vor allem für Geschichtskurse und Seminarkurse der gymnasialen Oberstufe gedacht. Für diese Bildungsarbeit steht ein in den Lesesaalbereich integriertes eigenes \“Klassenzimmer\“ zur Verfügung. Der Vortragssaal bietet bis zu 200 Plätze für öffentliche Kolloquien und Vortragsveranstaltungen, aber auch für Fachtagungen. Kleinere Präsentationen aus den Beständen des Hauses aber auch auswärtige Ausstellungen rund um das Thema Stadtgeschichte können in einem zweiteiligen Ausstellungsfoyer gezeigt werden.

Die in einem Archiv geschützten Original-Dokumente und Unikate bestehen zumeist aus Papier, Stoff oder Leder. Diese Materialien sind gegenüber Temperaturschwankungen und Feuchtigkeit sehr empfindlich und können dadurch auch zerstört werden. Ideal für sie ist eine konstante Raumtemperatur von 16 bis 18 Grad und eine Luftfeuchtigkeit von 50 bis 55 Prozent. Da mit dem Wetter die Außentemperaturen in unseren Breitengraden häufig schwanken, muss die Technik in der Lage sein, diese Veränderungen sofort auszugleichen und ganzjährig eine stabile Temperatur und Luftfeuchtigkeit zu gewährleisten.

Realisiert wurde schließlich ein maßgeschneidertes modernes und energiesparendes Konzept: eine gasbetriebene Absorptionswärmepumpe in Kombination mit einem angeschlossenen, betonierten Wasserbehälter. Dieser Speicher verfügt über ein Fassungsvermögen von rund 400 Kubikmeter und liegt oberhalb der das Grundwasser schützenden Tonschicht. Fordert der Heizmodus der Anlage Wärme an, dann wird diese dem Wasserspeicher entzogen, so dass das Wasser komplett durchfriert und zu Eis wird. Die so gespeicherte Kälte dient dann wiederum – wenn nötig – der Kühlung des Gebäudes. Durch dieses innovative System lässt sich außerdem der CO2-Ausstoß gegenüber einer konventionellen Klimatisierung um rund 25 Prozent reduzieren. Die mit dem Bau des so genannten Eisspeichers verbundenen Mehrkosten von rund 400.000 Euro werden durch die aus seinem Betrieb resultierenden Einsparungen beim Energieverbrauch während der auf 20 Jahre ausgelegten Betriebszeit vollständig amortisiert.

Bürgermeister Matthias Hahn, zuständig für die Durchführung der Baumaßnahme betonte abschließend: \“Nicht zuletzt wegen des innovativen Energiekonzepts kann das neue Archiv als gelungenes Beispiel für die Zukunftsfähigkeit historischer Bausubstanz bezeichnet werden.\“

Kontakt:
Stadtarchiv Stuttgart
Bellingweg 21
70372 Stuttgart
Telefon 0711/216-91512
Telefax 0711 216-91510
poststelle.stadtarchiv@stuttgart.de
www.stuttgart.de/stadtarchiv

Quelle: Stadt Stuttgart, Pressemitteilung, Jan. 2011; www.isocal.de.

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