Archivgut der Evangelischen Kirchengemeinde Tecklenburg erschlossen

Die Evangelische Kirchengemeinde Tecklenburg hat nun ein umfangreiches Gemeindearchiv. In einem speziellen Magazinraum des Gemeindeamtes in Ledde lagern die Archive der ehemaligen Evangelischen Kirchengemeinden Ledde, Leeden, Brochterbeck und Tecklenburg, die sich vor zwei Jahren zur neuen Evangelischen Kirchengemeinde Tecklenburg vereinigten. Vorher war das historische Schriftgut der vier Kirchengemeinden, das bis in das 15. Jahrhundert zurückreicht, vom Landeskirchlichen Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) nach Bielefeld geholt worden, um es inhaltlich zu erschließen und archivgerecht in konservierende Mappen und Kartons zu verpacken.

Archivarin Ingrun Osterfinke erinnert sich: „Die einzelnen Archivbestände waren zwar schon früher einmal geordnet worden und es gab auch systematische Verzeichnisse. Sie entsprachen jedoch nicht mehr alle den heutigen Standards." Zudem sei man heute bemüht, alle Archivbestände innerhalb der Evangelischen Kirche von Westfalen in das elektronische Datenbanksystem zu übertragen. Die inhaltliche Erschließung sei allerdings keine immer einfache Angelegenheit, reichen die Unterlagen doch teilweise in das 18., 17., und z.T. sogar bis in das 15. Jahrhundert zurück. Ingrun Osterfinke: „Das Beherrschen der Deutschen Schrift ist schon erforderlich, um die historische Überlieferung verstehen zu können. Damals gab es noch keine Schreibmaschinen, alles wurde mit Hand verfasst. Doch die Handschriften verschiedener Personen sind unterschiedlich gut lesbar, so dass manchmal die sorgfältigen Urkundenschriften des 15. Jahrhunderts besser zu entziffern sind, als fahrige Konzepte aus dem 19. Jahrhundert!“

Vergangene Woche sind die Archivbestände zurückgekehrt. Ingrun Osterfinke übergab sie feierlich an Pfarrer André Ost und Vertreter des Presbyteriums. In den Regalen des Magazins lagern nun 240 Kartons – nach Gemeinden getrennt, denn die Wahrung der Herkunft ist oberstes archivarisches Prinzip. Benutzbar sind die Bestände über so genannte Findbücher, die alle Akten nach ihrem Inhalt systematisch gegliedert aufführen. Jetzt sind die Archivbestände in einem Archivraum vereint. Dort kann Geschichte angefasst und erlebt werden. Die Kirchengemeinde Tecklenburg lädt dazu ein.

Zur Geschichte der vier Kirchengemeinden Ledde, Leeden, Brochterbeck und Tecklenburg
Vier unabhängige Kirchengemeinden, die sich heute in einer wiederfinden, blicken auf eine höchst unterschiedliche Geschichte zurück, was sich auch in ihrer Überlieferung widerspiegelt: Die Kirchspiele Leeden, Ledde und Tecklenburg gehörten bis zum 18. Jahrhundert zur Grafschaft Tecklenburg, die sich als erstes westfälisches Gebiet der Reformation zuwandte: Durch die Berufung Hermann Kellers zum ersten lutherischen Stadtprediger in Tecklenburg bereits 1527 zählt die Kirchengemeinde Tecklenburg sogar zu den frühesten evangelischen Kirchengemeinden in Westfalen.

Zwei Namen der ersten Pfarrer finden sich auch in einigen der Pergamenturkunden im Tecklenburger Gemeindearchiv wieder: Hermann Keller und Johann Blomendal empfangen in diesen frühen Dokumenten aus den Jahren 1543-1569 Renten oder Landschenkungen für die Kirche. Besonders schön ist die Urkunde über eine Landschenkung von Gräfin Anna von Tecklenburg an Johann Blomendal zur Verbesserung der Einkünfte des Pastorats im Jahr 1569. Das gräfliche Siegel ist noch gut erkennbar.

Bereits wenige Jahrzehnte nach Einführung des lutherischen Bekenntnisses erließ Graf Arnold eine reformierte Kirchenordnung für die Grafschaft. Eine Sonderstellung erfuhr dabei das Kirchspiel Leeden, dessen Ursprünge sich auf ein katholisches Zisterzienserinnenkloster aus dem 13. Jahrhundert zurückführen lassen. Das Stift Leeden bekam früher als die anderen Kirchengemeinden der Grafschaft eine eigene reformierte Kirchenordnung. Hierüber enthält das älteste Rechnungsbuch der Kirchengemeinde, das im Jahr 1768 angelegt wurde, eine recht informative Chronik. Aus ihr sind auch Namen der ersten evangelischen Pfarrer in Leeden zu erfahren.

Im Archiv der Evangelischen Kirchengemeine Ledde verdient die Überlieferung aus der Zeit des Nationalsozialismus besonderes Augenmerk: Der Kirchenkampf, der auch die Kirchengemeinden im Tecklenburger Raum erfasste, wird in den Ledder Archivalien lebendig: Die Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Bekennenden Kirche und den Deutschen Christen, die um die Besetzung der Pfarrstelle nach 1935 entbrannten, spitzten sich zu einer regelrechten und nachhaltigen Spaltung nicht nur des Presbyteriums, sondern der ganzen Kirchengemeinde zu.

Während diese drei Gemeinden in der Grafschaft Tecklenburg jedoch eine vergleichsweise ruhige Entwicklung und Beständigkeit in der Ausübung ihres seit 1588 reformierten Bekenntnisses erleben durften, war die Kirchengemeinde Brochterbeck den konfessionellen Wirren des Reformationszeitalters in unbeschreiblicher Weise ausgesetzt:

Brochterbeck zählte zur Obergrafschaft Lingen, die Ende des 15. Jahrhunderts infolge von Erbauseinandersetzungen von der übrigen Grafschaft Tecklenburg abgetrennt wurde und als Gebietsabtretung in die Konfessionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts hineingezogen wurde.

Zwischen den rivalisierenden Mächten der katholischen Habsburger (sowie später dem Fürstbischof von Münster) auf der einen und dem reformierten Haus Oranien auf der anderen Seite hin- und hergerissen, mussten die Bewohner der Obergrafschaft Lingen einen siebenmaligen Herrschaftswechsel ertragen, der einen ebenso häufigen Konfessionswechsel (!) mit sich brachte.

Die Brochterbecker Dokumente belegen diese Entwicklungen zwar nicht, jedoch andere Ausflüsse haben sich im Archiv niedergeschlagen, so z.B. die Akten der Oberlingenschen Witwen- und Waisenkasse. Unter oranischer Herrschaft war sie zur Unterstützung und Erziehung von Waisenkindern in der reformierten Konfession eingerichtet worden und blieb auch erhalten, als die Grafschaften Tecklenburg und Oberlingen in preußischen Besitz übergingen. Die Akten aus der Zeit von 1829 bis 1916 zeugen von der Vermittlung der Pfarrer zur Verteilung der Mittel an bedürftigen Witwen und Waisen.

Quelle: Evangelisch in Westfalen, 6.10.2010; Westfälische Nachrichten.

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