Viele haben ihr erstes zur Konfirmation bekommen. Andere besitzen keines, denn man kriegt ja eins, wenn man es braucht. Jüngere interessieren sich selten dafür, aber Alten waren sie oft ein Helfer in der Not: Das Gesangbuch ist ein Schatz, dessen Wert kaum geachtet wird. Im Zentralarchiv der Evangelischen Kirche der Pfalz in Speyer ist ihm seit Ende April 2010 eine Ausstellung gewidmet, die zur Neuentdeckung einlädt – und die nunmehr bis zum 25. März 2011 verlängert worden ist.
Die Geschichte des Gesangbuches beginnt mit der Reformation. Tatsächlich sind sie eine Erfindung des Protestantismus. Denn Jahrhunderte zuvor war der Gemeindegesang in den Kirchen quasi ausgefallen. Die ersten Christen in der Jerusalemer Ur-Gemeinde waren zwar noch sangesfreudig, so wie sie es aus den Synagogengottesdiensten kannten. Forscher gehen davon aus, dass sich einige Liedtexte aus alter Zeit sogar im Neuen Testament verstecken. Der so genannte "Philipper-Hymnus" im Philipperbrief 2,6-11 könnte so ein Text sein.
Aber im Laufe der ersten Jahrhunderte wurde der Gesang in den Gottesdiensten immer stärker vom Klerus, von den kirchlichen Offiziellen übernommen. Der Gemeinde blieb es nur noch übrig, im Rahmen von liturgischen Gesängen auf das zu antworten, was der Priester oder die "Schola", der vortragende Chor, angesungen hatte. Erst die Reformation Anfang des 16. Jahrhunderts änderte daran wieder etwas. Sie, die die Beteiligung der "Laien" am Gottesdienst in den Blick nahm, brachte nämlich geistliche Lieder hervor, die vom Kirchenvolk gesungen werden sollten. Die Gemeinde wurde damit selbst zum Träger des Gottesdienstes, sie waren plötzlich nicht mehr nur Zuschauer. Luther selbst schrieb zahlreiche Lieder, teilweise auf die Melodien der zeitgenössischen Gassenhauer.
Manche von ihnen wurden gedruckt, bald wurden die ersten Sammlungen auch gebunden herausgegeben. Obwohl bereits 1501 von den Böhmischen Brüdern, einer geistlichen Erweckungsbewegung, eine Sammlung volkssprachlicher Lieder herausgegeben wurde, zählt ein anderes als die "Mutter aller Gesangbücher": Das "Achtliederbuch" von 1524, in dem insgesamt acht Lieder zu fünf verschiedenen Melodien auf zwölf Seiten zusammengetragen sind. Sie stammen von Martin Luther, Paul Speratus und einem anonymen Autor; das erste Lied ist Luthers "Nun freut euch, lieben Christen gmein", das im heutigen Evangelischen Gesangbuch (EG) unter der Nummer 341 immer noch zu finden ist.
Seit der Reformation wurden unzählige neue Gesangbücher herausgegeben, auch von der katholischen Kirche: Schon 1537 zog die römische Kirche nach und veröffentlichte ein Gemeindegesangbuch, das zum Teil auf bearbeiteten Luther-Liedern beruhte. Aber auch die anderen sich entwickelnden Konfessionen gaben ihre eigenen Gesangbücher heraus. Durch den jungen Buchdruck war es möglich, die Bücher in großer Zahl verhältnismäßig kostengünstig zu produzieren.
Nunmehr bis zum 25. März 2011 ist die Ausstellung "Gesangbücher – Weggefährten des Glaubens" im Zentralarchiv der pfälzischen Landeskirche in Speyer am Domplatz 6 zu besuchen. Anschließend soll sie auf Wanderschaft gehen. Interessierte Gemeinden können für Kosten ab 130 Euro alle Bild- und Texttafeln ausleihen und in eigenen Räumlichkeiten aufhängen.
Info:
Gesangbücher – Weggefährten des Glaubens
Zentralarchiv der Evangelischen Kirche der Pfalz
Domplatz 6
67346 Speyer
www.zentralarchiv-speyer.de
Öffnungszeiten: Mo. – Do. 8.00 – 16.00 Uhr; Fr. 8.00 – 13.00 Uhr
Gruppen bitte vorher anmelden unter 06232 667 182 oder archiv@evkirchepfalz.de
Quelle: Ingo Schütz, Schatz von unerkanntem Wert: Das evangelische Gesangbuch, evangelisch.de, 28.5.2010