Zum Abschluss des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zwischen Januar 2008 und März 2010 geförderten Projekts „Urkundenportal“ fand am 16. Juni 2010 ein Workshop in München (Generaldirektion der staatlichen Archive Bayerns) statt. Die gut besuchte Tagung wurde geleitet und moderiert von Thomas Just (Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien), Joachim Kemper (Staatsarchiv München) sowie Thomas Aigner (ICARUS, Wien). Die Organisation erfolgte durch die staatlichen Archive Bayerns (Joachim Kemper mit Katharina Wolff, Florian Kislinger sowie Michael Unger).
Elf Referenten präsentierten Vorträge, denen teilweise intensive und lebhafte Diskussionen folgten. An der Tagung nahmen insgesamt ca. 50 Gäste aus dem In- und Ausland teil. Eine Publikation der Beiträge im Rahmen der Schriftenreihe des Instituts für Dokumentologie und Editorik (http://www.i-d-e.de) ist geplant.
Einen großen Raum nahm die Vorstellung aktueller Projekte ein. Steffen Arndt (Staatsarchiv Gotha) referierte über das laufende DFG-Projekt „Von Bonifatius bis Napoleon. Online-Edition der Urkunden der Reichsabtei Fulda 751-1837“ und schilderte dabei detailliert die Arbeitsvorgänge von der Zusammenstellung des Materials über die Regestierung und Digitalisierung bis hin zur Online-Publikation.
Sebastian Müller (Universität Marburg) präsentierte das Marburger Lichtbildarchiv Online (LBA Online), gab außerdem einen kurzen Einblick in die Praxis und Modalitäten der zugrunde liegenden Urkundendatenbank und stellte verschiedene Recherchemöglichkeiten im Netz vor.
Franceso Roberg (Staatsarchiv Marburg) referierte, ausgehend von seiner Transferarbeit an der Archivschule Marburg, zum Thema Strategien, Methoden und Ziele bei der Digitalisierung größerer Urkundenbestände. Roberg betonte die Problematik von Vollregesten und plädierte nicht zuletzt aufgrund einer einfachen Kosten-Nutzen-Rechnung für eine (weitgehende) Beschränkung der Archive auf Kurzregesten.
Georg Vogeler (LMU München) ging näher auf das Verhältnis von Archiven und Diplomatik im Netz ein. Er betonte den gegenseitigen Nutzen, aber auch die möglichen Probleme in diesem Zusammenhang und sprach sich ganz klar für eine kollaborative Konzipierung im Sinne des Web 2.0 aus.
Joachim Kemper (Staatsarchiv München) und Katharina Wolff (München) stellten kurz wesentliche Ergebnisse des DFG-Projekts „Urkundenportal“ sowie die einzelnen Arbeitsschritte vor. Derzeit stehen über 16.000 Urkunden (Images und Erschließungsinformationen), die über das Projekt bearbeitet und digitalisiert werden konnten, bereits via „Monasterium“ im Internet zu Verfügung; zum Jahresende werden sämtliche Urkunden (ca. 30.000) online zur Verfügung stehen. Neben dem DFG-Projekt „Urkundenportal“ stellte Kemper das Projekt „Schriftlichkeit in süddeutschen Frauenklöstern“, das EU-Projekt „Charters Network“ und das im Herbst 2010 anlaufende Projekt „Virtuelles deutsches Urkundennetzwerk“ vor. Zu diesen Projekten hinzu kommt bald das umfängliche EU-Projekt „European network on archival cooperation“ (ENArC).
Abb.: Aufbau eines elektronischen, internetbasierten Portals für größere Bestände von digitalisierten Urkunden des süddeutschen Raumes (Urkundenportal): Informationen zu diesem DFG-Projekt unter www.monasterium-bayern.net
In einem von Thomas Just (HHStA Wien) und Karl Heinz (ICARUS) gemeinsam bestrittenen Vortrag wurde der Stand der digitalen Urkundenpräsentationen (Monasterium) am Beispiel Österreichs beschrieben.
Csaba Reisz (Ungarisches Staatsarchiv) schilderte in seinem Vortrag die historische Entwicklung seines Archivs, das zuletzt im Jahr 2008 eine neue organisatorische Struktur erhielt. Deutlich wurde die entscheidende Zäsur des Jahres 1526, als durch die Niederlage gegen die Türken bei Mohacs viele ungarische Dokumente verloren gingen. Heute umfasst das Staatsarchiv eine diplomatische Sammlung sowie eine urkundliche Fotosammlung zu sämtlichen ungarischen Urkunden (auch außerhalb Ungarns). Momentan sind etwa 38.000 Urkunden online veröffentlicht, Tendenz stark steigend.
In einem letzten Beitrag referierten Manfred Thaller (Universität Köln), Maria Magdalena Rückert (Landesarchiv Baden-Württemberg) und Joachim Kemper gemeinsam zum Thema „Urkundendigitalisierung und virtuelle Netzwerke“. Kemper skizzierte das für den Vortrag namengebende neue DFG-Projekt „Virtuelles deutsches Urkundenarchiv“. Thaller stellte anschließend die praktische Umsetzung der Urkundendigitalisierung am Beispiel der Universität Köln vor. Vorrangige Aufgabe seines am Projekt beteiligten Instituts ist dabei die technische Unterstützung der geisteswissenschaftlichen Forschung und Archivpartner, die Arbeit an einer virtuellen Forschungsumgebung im Bereich der Urkundendigitalisierung.
Maria Magdalena Rückert erläuterte abschließend die Zusammensetzung des DFG-Projekts, das im Herbst 2010 anlaufen wird. Neben einigen kleineren Archiven sind die Archivverwaltungen von Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz beteiligt; hinzu kommen mehrere Partner aus dem Bereich der historischen und landeskundlichen Forschung sowie das Kölner Institut von Manfred Thaller.
Die Beiträge des Workshops haben auf vielfältige Weise die Praxis der Urkundenpräsentation im Netz sowie der Digitalisierung verdeutlicht. Neben der Vorstellung aktueller Projekte nahmen die konkreten Arbeitserfahrungen einen großen Raum in den Vorträgen der Referenten ein. Insbesondere die Behandlung technischer Fragen, der Blick auf die Zukunft der Urkundendigitalisierung im zweiten Teil der Veranstaltung und die rege Diskussion zeigten, dass nach wie vor ein großer Informationsbedarf in diesem Zusammenhang besteht und eine kritische Hinterfragung der aktuellen Arbeitsabläufe notwendig bleibt.
Florian Kislinger M.A.
Kontakt:
Florian Kislinger M.A.
Bayerisches Hauptstaatsarchiv
Schönfeldstr. 5-11
80539 München
EU-Projekt „Charters Network“
florian.kislinger@bayhsta.bayern.de