Bewegte Bilder – Filme als historische Quellen. Tagungsbericht

24. Archivpädagogenkonferenz in der Fachhochschule Potsdam in Kooperation mit dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv Potsdam und der Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv Potsdam-Babelsberg, Potsdam, 3. bis 5. Juni 2010

Bereits zum zweiten Mal nach 1998 fand die diesjährige Archivpädagogenkonferenz in der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam statt. Der Fachbereich Informationswissenschaften (Studiengang Archiv) der Fachhochschule Potsdam hatte in Kooperation mit dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv und dem Deutschen Rundfunkarchiv Potsdam vom 3. bis 5. Juni 2010 Archivar/innen, Vertreter/innen der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit aus dem gesamten Bundesgebiet sowie Lehrende und Studierende in die Tagungsräume der Fachhochschule und ins Deutsche Rundfunkarchiv eingeladen. Die Tagung stieß auf außergewöhnlich große Resonanz. Insgesamt folgten fast 60 Interessierte der Einladung der Organisatorinnen Susanne Freund und Ulrike Weichelt (Fachhochschule Potsdam) und diskutierten mit den Referent/innen über den Einsatz von Filmquellen in der Historischen Bildungsarbeit.

Die Tagung begann am Donnerstagnachmittag mit einer Führung durch die Dauerausstellung: „Spione, Mauer, Kinderheim – an der Brücke zwischen den Welten“ in der „Villa Schöningen“ an der Glienicker Brücke. Bei der Besichtigung der multimedialen Konzeption, die neben Objekten und Dokumenten vor allem auf Computerbildschirme als zentrales Medium für die Vermittlung von Filmen, Fotos und Texten setzt, konnten sich die Teilnehmenden bereits auf das Thema einstimmen und erste Diskussionen führen.

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Foto 1: Gartenansicht der „Villa Schöningen“ an der Glienicker Brücke.

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Foto 2: Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die Hausgeschichte und die Rolle der Glienicker Brücke während der deutschen Teilung.

Der Hauptteil der Konferenz fand am Freitag zunächst auf dem Campus Pappelallee in der Fachhochschule statt. Nach der Begrüßung durch den Rektor der Fachhochschule Potsdam Johannes Vielhaber, den Direktor des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Klaus Neitmann und die Vorsitzende des Arbeitskreises „Archivpädagogik und Historische Bildungsarbeit im VdA“ Roswitha Link begann die erste Sektion unter der Moderation von SUSANNE FREUND mit einem Beitrag von AXEL JANOWITZ von der Stasi-Unterlagenbehörde Berlin.

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Foto 3: v.l.n.r. Prof. Dr.-Ing. Johannes Vielhaber, Rektor der FH Potsdam und PD Dr. Klaus Neitmann, Direktor des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Potsdam.

An Hand der DVD „Revisor“ – Überwachung, Verfolgung, Inhaftierung durch das Ministerium für Staatssicherheit: Ein Fallbeispiel für den Unterricht veranschaulichte Janowitz die Chancen und Probleme in der Vermittlungsarbeit mittels dieses audiovisuellen Mediums. Es handelt sich hierbei um ein Lehrvideo der DDR-Staatssicherheit für ihre Mitarbeiter/innen aus dem Jahre 1985, das von der BStU in ungeschnittener, unkommentierter und nur gering anonymisierter Form aufbereitet wurde. Die zusätzliche Bildungs-DVD beinhaltet didaktisches Begleitmaterial, welches ergänzend zum Unterricht als „Quelle für die Schule“ genutzt werden kann. Diese Verwendung von filmischen Originalquellen für Bildungszwecke ist beispielhaft für außerschulische Projektarbeit und kann auch für andere Archive als methodische Vorlage dienen.

Im Mittelpunkt des Vortrags von GABRIELE KONSOR vom Atelier Havelblick Strodehne stand die Präsentation historischen Filmmaterials aus DDR-Zeiten im Rahmen zeitgenössischer Kunst- und Kulturevents. Sie stellte exemplarisch vor, in welcher Form Filme der so genannten Amateurfilmstudios der DDR sowie Spiel- und Dokumentarfilme der DEFA in aktuelle Kontexte gestellt werden. Darüber hinaus erläuterte sie die Kooperation mit der DEFA-Stiftung sowie Filmarchiven und –museen, die bei der Realisierung solcher Projekte einen wichtigen Part einnehmen. Veranstaltungen wie das Amateurfilmfestival „HAVELLAND PRIVAT“ aus dem Jahre 2002 bieten zum Einen ein hohes Maß an Eigenbeteiligung durch die Bereitstellung von Filmmaterial, zum Anderen einen großen Wiedererkennungseffekt in der Alltagsgeschichte. Daher richtet sich dieses Projekt vor allem an Menschen, welche die DDR und die Zeit nach dem Mauerfall bewusst miterlebt haben, schließt jedoch keines Falls die jüngere Generation aus.

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Foto 4: v.l.n.r. Dr. Axel Janowitz (BStU Berlin), Gabriele Konsor (Atelier Havelblick Strohdehne), Prof. Dr. Susanne Freund (FH Potsdam).

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Foto 5: Ein interdisziplinäres Publikum diskutierte am ersten Tagungstag über die vorgestellten Konzepte.

In der zweiten Sektion unter der Leitung von KÄRSTIN WEIRAUCH (Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam) referierte BEATE RABE vom Filmmuseum Potsdam über den konkreten Einsatz von Filmen zur Vermittlung von Geschichte. Sie stellte archiv- und museumspädagogische Konzepte vor, die in Workshops und Führungen praktisch umgesetzt werden. Ziel ist es, Schüler/innen in die Lage zu versetzen, Filme „lesen zu können“. Als Beispiel führte sie den Einsatz von DEFA-Kinderfilmen an. Grundschüler/innen erarbeiten einen Film anhand eines methodischen Leitfadens, der darauf abzielt, die Darstellungsform und filmischen Inhalte mit den eigenen Erfahrungen und Lebensumständen in Verbindung zu bringen. Vergangenheitsdeutung und Gegenwartsbezug werden kindgerecht mit Fragen wie zum Beispiel „Was ist anders? Kommt euch etwas merkwürdig vor? Wie würdet ihr das machen?“ in Beziehung gesetzt. Auf diese Weise können die Schüler/innen motiviert werden, die filmische Situation konkreter zu betrachten, kritisch zu hinterfragen und Differenzen zwischen „Damals“ und „Heute“ zu erkennen.

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Foto 6: Beate Rabe vom Filmmuseum Potsdam.

Als letzter Referent erläuterte PETER SCHWEINHARDT vom Filmgymnasium Potsdam-Babelsberg zwei F-learning-Projekte, die bei den Teilnehmenden großes Interesse hervorriefen. In diesem Beitrag ging es nicht um die unterrichtliche Verwendung von Filmdokumenten, Dokumentarfilmen oder historischen Spielfilmen, sondern um einen wünschenswerten Normalfall des Schulunterrichts: den Umgang mit Filmen als Vehikel zur Schulung methodischer und fachlicher Kompetenz. Schweinhardt beschrieb deshalb Beispiele für die forschungsgestützte, interdisziplinäre Auseinandersetzung mit Geschichte. Zunächst ging er auf eine fächerübergreifende Filmmusikanalyse (Musik / Geschichte) ein. Es handelt sich hierbei um die Verfilmung des ein Jahr zuvor erschienenen Romans The Grapes of Wrath (Früchte des Zorns) von John Steinbeck. Darin wird das Schicksal der Farmerfamilie Joad während der Weltwirtschaftskrise in den USA erzählt. Der vertonte Filmausschnitt umfasst drei Szenen, deren politisch-musikalische Semantisierungsstrategien über die allgemein filmmusikalisch-analytische Untersuchung hinaus erarbeitet werden können. Die Verwendung dieses Materials im Unterricht wurde erst durch jahrzehntelange archiv-detektivische Vorarbeiten in der Rekonstruktion des Filmmusikprojekts ermöglicht. Archivarischen Spürsinn verlangt aber auch das zweite von Schweinhardt skizzierte Projekt. Auf Grundlage der Recherche zu historischen Daten und Fakten werden von Schüler/innen Kurzfilme gedreht, eine innovative neue Lehrmethode, die der Referent an dem Filmbeispiel über Anspruch, Ästhetik und historische Hintergründe der Bautätigkeit Friedrichs II. als Bauherr von Schloss Sanssouci konkretisierte. Ziel dieses Unterrichtsmodells ist es, die Schüler/innen zu Erkenntnissen hinsichtlich der architektonischen Repräsentation von Macht, Herrschaft und Persönlichkeit, der Problematik von Material und Erhalt der steinernen Zeugen und der historischen Quellenlage in Bezug auf Baugeschichte und Herrschaftsstil zu führen. Die Faszination dieser Lehr- und Lernform besteht darin, Historie trotz Lehrplanzwängen kreativ zu rekonstruieren und fassbar zu machen. Geplant ist, dass der Film nach Fertigstellung im Sommer 2010 auf dem YouTube-Kanal der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten zu sehen ist.

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Foto 7: v.l.n.r. Dr. Peter Schweinhardt (Filmgymnasium Potsdam-Babelsberg) und Kärstin Weirauch (Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam).

In der abschließenden Diskussionsrunde berichteten unter der Moderation von ROSWITHA LINK die Mitarbeiter/innen einzelner Archive über neue Projekte zur Historischen Bildungsarbeit und Archivpädagogik. Den Auftakt machte ANNE ROTHSCHENK mit einem ausführlichen Beitrag zu den zahlreichen Aktivitäten des Landesarchivs Berlin in diesem Bereich. Im Anschluss an den intensiven fachlichen Austausch im Plenum endete der erste Tagungstag mit einer Stadtführung durch Potsdam sowie einen gemeinsamen Abendessen im Holländischen Viertel.

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Foto 8: Berichte aus den Archiven unter der Leitung der Vorsitzenden des Arbeitskreises „Archivpädagogik und Historische Bildungsarbeit im VdA“ Roswitha Link (2. v.l.).

Den zweiten Teil der Konferenz richtete das Deutsche Rundfunkarchiv in seinen Räumlichkeiten in Potsdam-Babelsberg aus. Eingeleitet wurde dieser von der Mitgliederversammlung des VdA-Arbeitskreises. Wie bereits am Vortag hatten die Teilnehmenden außerdem die Möglichkeit, ihre Arbeits- und Erfahrungsberichte einzubringen. Unter anderem verwies DIETER KLOSE, Archivpädagoge im Landesarchiv NRW – Abteilung Ostwestfalen-Lippe, auf das Projekt „Kulturstrolche“ der Stadt Münster, das besonders Grundschüler/innen Bildung und Kultur näher bringen und in diesem Zusammenhang unter anderem die Relevanz von archivischem Quellenmaterial hervorheben soll. Darüber hinaus gibt es aktuell Ansätze als neue Nutzer/innen auch Kindergartengruppen einzubeziehen. JOACHIM PIEPER, ebenfalls Archivpädagoge im Landesarchiv NRW – Abteilung Rheinland, stellte dagegen eine Veranstaltung vor, in der Studierende der Universität im Rahmen von Seminaren archivdidaktisch begleitet werden. BRIGITTA HAFIZ vom ArchivGut Potsdam machte auf die Initiative „VIELFALT TUT GUT“ in Brandenburg aufmerksam, die in der Historischen Bildungsarbeit thematische Schwerpunkte setzt und mit didaktischen Handreichungen Kindern und Jugendlichen Geschichtswissen vermittelt. Die Berichte aus den Archiven waren besonders für die Studierenden der Fachhochschule Potsdam interessant, da die Vielfalt der vorgestellten Ideen und Praxisbeispiele den profitablen Mehrwert des Lehrfachs Historische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit für ihre künftige Berufstätigkeit belegt.

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Foto 9: Auch an dem zweiten Konferenztag nahmen Absolvent/innen des Studiengangs Archiv der FH Potsdam teil; in der Mitte Anne Brosin (BStU Berlin).

Nach der offiziellen Begrüßung durch ANGELIKA HÖRTH, Leiterin der Abteilung Information und Dokumentation der Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv Potsdam-Babelsberg, eröffnete SUSANNE FREUND dann die dritte Arbeitssitzung der Archivpädagogenkonferenz.

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Foto 10: Angelika Hörth, Leiterin der Abteilung Information und Dokumentation der Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv Potsdam-Babelsberg.

JÖRG-UWE FISCHER vom Deutschen Rundfunkarchiv referierte über die Magazinsendung „Prisma“ des DDR-Fernsehens und ging dabei explizit auf die Bedeutung dieser Sendung als Quelle für die Alltags- und Konsumgeschichte der DDR ein, welche von der Forschung bislang nur in wenigen Publikationen wahrgenommen wurde. Der Einstieg in die Thematik über einen von Fischer in Auszügen vorgetragenen Leserbrief veranschaulichte die Funktion von „Prisma“ als Forum der DDR-Bürger/innen mittels so genannter „Eingaben“ auf ökonomische und gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen und unterstrich den Wert filmischen Materials bei der Rekonstruktion von und der Arbeit mit Geschichte.

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Foto 11: Dr. Jörg-Uwe Fischer (wiss. Referent des DRA).

Es folgte ein Vortrag seiner Kollegin ALEXANDRA LUTHER zum Internetportal des Deutschen Rundfunkarchivs „Wendezeiten 1989/90 – ein Onlineangebot mit Quellennachweisen zu Hörfunk und Fernsehen der DDR“. Diese Plattform bietet mit Bildern, Tönen und Kommentaren, die kurz vor und nach dem Mauerfall bzw. der Wiedervereinigung aufgenommen wurden, die Darstellung der Ereignisse im DDR-Fernsehen. Die spezielle Sicht der „Aktuellen Kamera“ und anderer Sendebeiträge bot Anlass zur quellenkritischen Auseinandersetzung mit medialen historischen Überlieferungen generell. Nach der Führung durch das Deutsche Rundfunkarchiv waren sich die Teilnehmenden darüber einig, dass Methoden und Werkzeuge der Quellenanalyse noch weiter vertieft und interdisziplinär im Austausch mit der Geschichtsdidaktik erprobt werden sollten.

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Foto 12: Alexandra Luther (wiss. Referentin des DRA).

Diese Option steht im Raum für die Fortführung des Diskurses in der archivarischen Fachwelt, die mit audiovisuellem Material in der Historischen Bildungsarbeit und Archivpädagogik unterschiedliche Zielgruppen anspricht. Dabei ist der Erwerb und Ausbau von Medienkompetenz ebenso so wichtig wie eine weitreichende Vernetzung und Kooperation mit Museumspädagog/innen und anderen Professionen, die teilweise bereits Erfahrungen mit der Visualisierung von Geschichte in der Wissensvermittlung gemacht haben. Ein abschließender Blick auf die 24. Archivpädagogenkonferenz zeigt, dass in Potsdam entscheidende Schritte in die richtige Richtung eingeleitet wurden, das Potenzial historischer Filmquellen für Archive jedoch noch lange nicht erschöpft ist.

Bericht: Diana Finke und Norman Warnemünde (6. Semester, Studiengang Archiv, Fachbereich Informationswissenschaften Fachhochschule Potsdam); Fotos: FHP

Kontakt:
Prof. Dr. Susanne Freund
Fachbereich Informationswissenschaften
Fachhochschule Potsdam
freund@fh-potsdam.de

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