Italienische Einrichtungen der Wissenschaft und Kultur von massiven Kürzungen bedroht

Zahlreiche italienische Einrichtungen der Wissenschaft und Kultur kämpfen derzeit um ihre Existenz. Art. 7, Abs. 24, der kürzlich im italienischen Gesetzblatt unter dem Titel \“Sofortmaßnahmen zur Finanzstabilisierung und wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit\“ veröffentlichten und noch vom Parlament zu beschließenden Eilverordnung bestimmt:

\“Mit Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzesdekretes werden die Haushaltsmittel für die entsprechenden Kapitel in den Voranschlägen der zuständigen Ministerien bezüglich der staatlichen Beihilfe für Körperschaften, Institute, Stiftungen und andere Organisationen um 50% gegenüber dem Jahr 2009 gekürzt. Zum Zwecke der Rationalisierung und Neuordnung der Modalitäten, unter denen der Staat zur Finanzierung der vorgenannten Einrichtungen beiträgt, setzen die zuständigen Ministerien innerhalb einer Frist von 60 Tagen nach Inkrafttreten des vorliegenden Dekretes die Aufteilung der verfügbaren Mittel fest.\“

Auf Initiative des Staatspräsidenten Giorgio Napolitano wurde ein Anhang (vgl. die Liste unter <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/index.asp?pn=texte&id=1315>), bestehend aus einer Liste von 232 Kulturinstituten und -einrichtungen, aus dem Dekret vorerst herausgenommen und damit ein regelrechtes \“Massensterben\“ von Einrichtungen der Wissenschaft und der Kultur verhindert, für die jegliche staatliche Beihilfe gestrichen werden sollte. Die Neufassung von Abs. 24 bietet allerdings keinerlei Sicherheit, insbesondere für die nichtwirtschaftlichen öffentlichen Körperschaften wie das Istituto storico italiano per il medio evo (ISIME), das der Kontrolle des Ministeriums für Kulturgüter und kulturelle Aktivitäten unterliegt. Dieses Ministerium muss nach den Bestimmungen des Gesetzesdekretes eine Kürzung des entsprechenden Haushaltskapitels um 50% vornehmen, was weit über den von den Sofortmaßnahmen vorgesehenen Mittelwert von 10% hinausgeht.

Die wichtigsten Historikervereinigungen Italiens haben hierzu kürzlich wie folgt Stellung genommen:

\“Die scientific community der italienischen Historiker sieht in der unterschiedslosen Streichung der Zuwendungen für die Einrichtungen, die wissenschaftliche Bestände, Quellen, Archive und Bibliotheken verwalten, welche für die europäische Geschichte und Kultur von grundlegender Bedeutung sind, ein schweres Symptom der Unkultur und kultureller Armut. Unter Bedingungen, die sich seit Jahren äußerst schwierig gestalten, und dank des Einsatzes von Hunderten von Wissenschaftlern, die oftmals ehrenamtlich arbeiten, fördern die italienischen Kultureinrichtungen Forschungen, Studien und Initiativen, die der Weiterentwicklung und der Vermittlung des Fachwissens und der Fachkenntnisse dienen und dabei auch über die Grenzen der fachwissenschaftlichen Kreise hinausgreifen. Ins Auge fällt das äußerst geringe Gewicht, das die Höhe der gestrichenen Gelder im Gesamtrahmen des Haushaltsmanövers besitzt; an sich von bescheidener Größe, sind die Summen jedoch wesentlich für die Entwicklung der italienischen Kultur auch im internationalen Zusammenhang – einer Kultur, die auf diese Weise schwer getroffen wird, während man sich anschickt, ihre Bedeutung im Rahmen der Feiern zur einhundertfünfzigjährigen Gründung des Einheitsstaates herauszustellen. Ins Auge fällt auch die unterschiedslose Unbestimmtheit einer Maßnahme, während man gleichzeitig die Wichtigkeit von Evaluierung und Leistung betont. Unsere Verbände fordern und hoffen deshalb, dass das Parlament und die politischen Kräfte diesen Haushaltsposten wiederaufnehmen und allenfalls für die Zukunft die Einführung von Beurteilungskriterien vorsehen, welche den Instituten und Stiftungen die Finanzierung für herausragende Forschungsprojekte sicherstellen, die von wissenschaftlicher Seite a priori und a posteriori der Prüfung durch kompetente Fachleute unterliegen. Nicht akzeptiert werden kann der Plan, die Verteilung der verbleibenden Geldmittel zukünftig der Entscheidung des Schatzministers und des Ministerpräsidentenbüros zu überlassen. Der Grundsatz der Fachkompetenz, dieses sichere Fundament für jegliche wissenschaftliche Unternehmung, verlangt, dass die Beurteilung in vollkommen transparenter Weise durch das Ministerium für kulturelle Güter unter Heranziehung der wichtigsten italienischen Fachleute aus den jeweils betroffenen Disziplinen erfolgt.\“

Der Präsident des ISIME, Prof. Massimo Miglio, erklärt: \“Wir sind uns der schwierigen Wirtschaftslage durchaus bewusst, doch die Probleme werden nicht dadurch gelöst, dass man Stätten der Arbeit und Produktion zur Schließung zwingt, die den Nachwuchs ausbilden und die man weltweit für italienische Spitzeneinrichtungen hält. Kürzungen und Streichungen kann und muss man in den unproduktiven Sektoren vornehmen. Eine aufmerksame, vom Ministerium aus dieser Perspektive vorgenommene Prüfung böte auch die Möglichkeit einer organischen, effektiven Neuordnung, die wir alle wünschen; aus diesem Grund streben wir eine Unterredung mit den Verantwortlichen aus dem Ministerium für Kulturgüter und kulturelle Aktivitäten an. […] Das Institut kann wie andere vergleichbare Einrichtungen eine positive Bilanz vorweisen: Es initiiert zahlreiche ehrenamtliche Aktivitäten, gibt den Nachwuchsforschern Arbeit und fördert deren berufliche Kompetenzen, veröffentlicht jährlich ungefähr 15 Werke von hoher wissenschaftlicher Qualität, verfügt über eine Spezialbibliothek und ein bedeutsames historisches Archiv, die frei zugänglich sind, bildet als Träger der Scuola Storica Nazionale di Studi medioevali und der Scuola per l\’edizione delle fonti junge Nachwuchswissenschaftler aus und organisiert zahlreiche Seminare und Tagungen.\“

Das Deutsche Historische Institut arbeitet seit über 100 Jahren mit zahlreichen, von massiven Kürzungen bzw. Schließung bedrohten italienischen Einrichtungen zusammen. Die Nutzung beispielsweise von deren Bibliotheken und Archiven ist für die internationale Community unverzichtbar, auch der bestehende Zeitschriftenaustausch darf nicht gefährdet werden.

Namens des Deutschen Historischen Instituts in Rom und seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter protestieren wir mit Nachdruck gegen den geplanten Kahlschlag, welcher bestehende internationale Kooperationen bedroht.

Wir bitten Kolleginnen und Kollegen in Deutschland, ihre Solidarität zu bekunden, sich diesem Protest anzuschließen und entsprechende Schreiben an folgende, in Auswahl genannte Anschriften zu senden (bitte lassen Sie Kopien der Schreiben dem DHI in Rom zukommen, damit sie ggf. gezielt in die laufenden parlamentarischen Beratungen eingebracht werden können):

Associazione Nazionale Archivistica Italiana (<http://www.anai.org>)
Società Italiana degli Storici medievisti (<http://cisadu2.let.uniroma1.it/sismed/>)
Società Italiana delle Storiche (<http://www.societadellestoriche.it>)
Società italiana per gli Studi di Storia delle Istituzioni (<http://www.storiadelleistituzioni.it>)
Società Italiana per la Storia dell\’Età moderna (<http://www.stmoderna.it>)
Società Italiana per lo Studio della Storia contemporanea (<http://www.sissco.it>)

Associazione delle istituzioni di cultura italiane (<http://www.aici.it>)
Istituto storico italiano per il medio evo (<http://www.isime.it>)
Istituto Nazionale per la Storia del Movimento di Liberazione in Italia (<http://www.italia-liberazione.it>)
Fondazione Lelio e Lisli Basso (<http://www.fondazionebasso.it>)
Fondazione Accademia Musicale Chigiana (<http://www.chigiana.it>)
Fondazione Claudio Monteverdi (<http://www.fondazionemonteverdi.it>)
Fondazione Gioacchino Rossini (<http://www.fondazionerossini.org>)
Fondazione Istituto Nazionale di Studi Verdiani (<http://www.fondazione-internazionale-giuseppe-verdi.org>)

Rom, 17.6.2010

Für das Deutsche Historische Institut in Rom:
Prof. Dr. Michael Matheus (<http://www.dhi-roma.it> – kruse@dhi-roma.it)

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