Es ist neun Uhr morgens. Der Türöffner am Besuchereingang des Landeskirchlichen Archivs Bielefeld summt. Die ersten Besucher nehmen zielstrebig Kurs auf die Fensterplätze im Benutzerraum. Hier heben sie die Schutzhüllen von den Lesegeräten und vertiefen sich in die Bildschirmarbeit. Sie suchen in den handschriftlichen Einträgen alter Kirchenbücher nach Anhaltspunkten, um Verwandschaftsverhältnissen und anderen genealogischen Fragen auf die Spur zu kommen.
Im Nebenraum sitzt Johann Melzer. Er ist Ansprechpartner für Hobby- und Berufsgenealogen im Landeskirchlichen Archiv: „Die Ahnenforschung ist in den letzten Jahren richtig in Mode gekommen“, so seine Beobachtung. Im vergangenen Jahr gab es rund 870 Anfragen, etliche Besucher kamen aus dem Ausland nach Bielefeld, um hier im Archiv nach ihren Wurzeln zu forschen. Auch in Erbschaftsfragen werden die Dienste des Landeskirchlichen Archivs in Anspruch genommen.
Die flächendeckende Aufzeichnung der Amtshandlungen in den Kirchengemeinden beginnt mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges im Jahr 1648. „Von da an stellen die Kirchenbücher die wichtigsten und bekanntesten kirchlichen Quellen für die Familienforschung dar“, erklärt Archivarin Ingrun Osterfinke, die unter anderem für die Archivbestände im Kirchenkreis Bielefeld zuständig ist. In den Kirchenbüchern sind alle Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Sterbefälle einer Kirchengemeinde verzeichnet. In den älteren Büchern sind die Eintragungen kurz gehalten. Auf deren Basis sind Rekonstruktionen von Familienzusammenhängen kaum möglich: so fehlen in manchen Kirchenbüchern beispielsweise die Namen der Ehefrauen bei den Hochzeitseintragungen.
Erst Mitte des 18. Jahrhunderts steigt der Quellenwert der Kirchenbücher: die Eintragungen werden umfassender. Viele Gemeinden haben in dieser Zeit Register angelegt, die die Suche erleichtern. Bielefeld ist für die genealogische Forschung ein Sonderfall, weil die Kirchenbücher der Altstädter Nicolaikirchengemeinde von 1820 bis 1944 bis auf wenige Ausnahmen im Krieg verbrannt sind und für diesen Zeitraum eine Lücke klafft. „Das ist besonders schade, weil die Altstadt zu der Zeit eine sehr große Gemeinde war und viel Material unwiederbringlich verloren ist“, meint Ingrun Osterfinke.
Familienforschung kann mühsam sein. „Viele Interessenten haben die Vorstellung, dass wir hier nur auf einen Knopf drücken müssen und ihr kompletter Stammbaum erscheint“, schüttelt Johann Melzer den Kopf. Durch die Möglichkeiten im Internet ist der Einstieg in die Ahnenforschung einfacher geworden. Es gibt Suchmaschinen, auf die weltweit zugegriffen werden kann. Doch die elektronischen Datenbanken haben ihre Grenzen. Details über die eigene Familie sind am ehesten in den Kirchenbüchern zu finden.
Um die alten Kirchenbücher vor Überbeanspruchung zu schützen und einem breiten Publikum zugänglich zu machen, sind sie auf „Microfiche“ gespeichert worden. Aufbewahrt werden die rechteckigen Microfiche-Karten in einem Schubladenschrank im Büro von Johann Melzer – sortiert nach Kirchenkreisen und Gemeinden. An den Lesegeräten können Besucherinnen und Besucher die stark verkleinerten Aufnahmen aller existierenden Kirchenbücher in Westfalen bis 1874 ansehen. Die meisten Originale der Kirchenbücher werden in den Gemeinden vor Ort verwahrt. Sie werden nur in Ausnahmefällen vorgelegt. Für Familienforschende mit Wurzeln in Westfalen führt am Landeskirchlichen Archiv kein Weg vorbei.
Das Landeskirchliche Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen, Ritterstraße 19, ist Montag bis Donnerstag von 9–12.30 Uhr, sowie von 13.30–16 Uhr geöffnet und kann nach Voranmeldung besucht werden. Telefon (0521) 594 164.
Quelle: Katharina Aufderheide, EKvW, 25.3.2010