Hessischer VdA-Landesverband fordert verbesserte Archivpolitik

Unter dem Titel "\’Kulturpolitik heißt, unsere kulturelle Substanz zu bewahren\‘ – Köln ist überall!" hat der Landesverband Hessen im VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. am 29. Juli folgende Erklärung veröffentlicht und darin u.a. eine aktive Archivpolitik für Hessen gefordert.

"Am 3. März 2009 stürzte das Kölner Stadtarchiv, eines der bedeutendsten Archive im deutschen Kulturraum, in eine fast 30 m tiefe Grube, weil die örtliche Bauaufsicht versagt hatte. In Folge dieser Katastrophe tagten am 24. Juni 2009 über 160 Archivexperten aus dem In- und Ausland in Köln. Sie verlangten u.a. eine unabhängige Bauaufsicht und eine wirksamere Notfallvorsorge, Risikoanalysen für die bauliche Unterbringung und den dauerhaften Erhalt von Archivgut.

Insbesondere aber wiesen sie darauf hin, dass die Politik die „schleichende Katastrophe“ des alltäglichen Archivgutverlustes trotz der Ereignisse in Köln noch längst nicht realisiert habe. Historisch wertvolle Dokumente auf Pergament und Papier bedürfen zu ihrem Erhalt der nachhaltigen Fürsorge.

Wie sieht es in Hessen aus?

Im Ländervergleich steht Hessen schlecht da. Die Zeit drängt, um den schleichenden Verlust von schriftlichem Kulturgut zu stoppen! In den Kommunen ist die Lage besonders prekär. Hier benötigt man keinen U-Bahnbau, um das kulturelle Erbe zu vernichten.

Dies besorgt die tagtägliche Vernachlässigung:

  • Das Hessische Archivgesetz überträgt den Kommunen die Verantwortung für die Archivierung ihrer Unterlagen. Diese Vorgabe wird aber kaum beachtet: Weit mehr als die Hälfte aller hessischen Städte und Gemeinden verfügt über gar kein Archiv. Und dort wo Archive existieren, führen sie ein Schattendasein auf Dachböden, in Kellern oder abgelegenen Gewerbegebieten.
  • Als vermeintlich „freiwillige Leistung“ stehen Archive fast immer ganz oben auf der Streichliste der Kommunalpolitiker. Insbesondere leiden sie unter Personalabbau. Allenthalben ersetzt inzwischen das Ehrenamt die ausgebildete Fachkraft.
  • Trotz der klaren Vorgaben des Archivgesetzes bieten die Verwaltungen ihre Unterlagen schon lange nicht mehr systematisch den Archiven an. „Wilde Kassationen“ sind an der Tagesordnung. Rechtswahrendes und historisch wertvolles Schriftgut wird nicht mehr gesichert, sondern achtlos vernichtet.

Sieht man von Frankfurt ab, ist zumal die Personalausstattung der meisten hessischen Kommunalarchive, selbst in den Mittel- und Großstädten völlig unzureichend und die räumliche Unterbringung des Archivguts behelfsmäßig. Hessen hat den Anschluss an die Standards, die in anderen Bundesländern gelten, verloren.

Anforderungen an Archive heute

Die Archive und ihre Mitarbeiter/innen werden mit immer höheren Erwartungen konfrontiert. Aktuell zählen dazu der Aufbau internetfähiger Datenbanken und die Digitalisierung von Archivgut für eine komfortablere Nutzung, die Sicherung digitaler Unterlagen und die Übernahme der Standesamtsregister. Wie sollen sie dies umsetzen, wenn immer mehr Mittel gestrichen werden?

Archive bieten weit mehr als kulturelle Zusatzangebote zur Förderung der Heimatgeschichte:

  • Sie sichern das Wissen über die Vergangenheit und schaffen damit die Basis für eine kulturelle Identitätsbildung in den Gemeinden, Städten und Regionen. Sie sind ein wichtiger Partner bei der Vermittlung historischer Inhalte und Werte in Schulen und an Universitäten, für die Medien und die interessierte Öffentlichkeit.
  • Sie sind Anlaufstellen für Bürgerinnen und Bürger, indem sie zuverlässige und authentische Informationen über das Verwaltungshandeln bereithalten. Sie dienen unmittelbar der Rechtsicherung, fördern den politisch-historischen Diskurs und stabilisieren die Zivilgesellschaft und die Demokratie.
  • Sie sind Servicestellen der Verwaltung, z.B. beim Einstieg in den digitalen Geschäftsgang, denn dieser setzt eine komplexe Analyse der Verwaltungsabläufe voraus, um nicht schon nach kurzer Zeit ein Informations-Chaos, statt Einspareffekte zu produzieren. Transparenz von Verwaltungshandeln muss auch künftig dauerhaft gesichert werden. Archivarinnen und Archivare verfügen in diesen Fragen über Fachwissen, auf das viele Kommunen aus Unkenntnis verzichten.

Perspektiven einer aktiven Archivpolitik

Hessen bedarf dringend einer aktiven Archivpolitik, insbesondere in den Kommunen. Darauf hat der VdA schon 2007 in seiner Stellungnahme zur Novellierung des Hessischen Archivgesetzes hingewiesen. Zur Sicherung der historischen Überlieferung in der Fläche benötigt Hessen deutlich mehr fachlich geführte Archive. Für kleinere Kommunen können Archivverbünde geschaffen werden. Die Kreise müssen mehr Verantwortung übernehmen, indem die wenigen vorhandenen Kreisarchive ausgebaut und weitere gegründet werden. Dass fachlich geführte Kreisarchive eine kontinuierliche Archivpflege in den zugehörigen Kommunen übernehmen können, zeigen die Beispiele Hochtaunuskreis und Kreis Gießen.

Von dem vorhandenen niedrigen Niveau aus können die meisten Kommunen eine aktive Archivpflege aber nicht alleine schultern. Hier ist das Land Hessen gefordert, seine Kulturhoheit ernst zu nehmen.

Als erster Schritt sollte die jüngst eingerichtete Archivberatungsstelle dauerhaft gesichert werden. Das Land sollte darüber hinaus über finanzielle Anreize zur Archivierung des kommunalen Schriftguts nachdenken. Nicht nur im Bereich der Bibliotheken ist die Vergabe von Fördermitteln über den Kommunalen Finanzausgleich sinnvoll und notwendig!

Wie der neueste Rechnungshofbericht klar macht, müssen auch die Staatsarchive präsenter sein und weiter gestärkt werden. Mit einem kompetenten technischen Zentrum für Bestandserhaltung, wie es in anderen Ländern existiert, könnten die Staatsarchive auch den Kommunen im Notfall und bei der regelmäßigen Bestandserhaltung fundiertes Fachwissen anbieten.

Wie handlungsfähig andere Bundesländer sind, zeigen die Entwicklungen in Niedersachsen, Baden-Württemberg, Sachsen sowie jüngst das Beispiel NRW: Es verfügt nicht nur seit langem über eine gut funktionierende Archivberatung für Kommunal- und Adelsarchive. Inzwischen sichert die „Landesinitiative Substanzerhalt“ mit einem Finanzvolumen von 3,2 Mio. Euro jährlich 2,1 Mio. Blatt Archivgut und das Programm „Archiv und Jugend“ verdoppelt zweckgebunden eingesetzte kommunale Finanzmittel.

Als Soforthilfe und zur Unterstützung von Digitalisierungsmaßnahmen stellt das Land NRW dem Stadtarchiv Köln 300.000 Euro zur Verfügung. Stadtväter und Landesregierung haben versichert, dass der Neubau des Kölner Stadtarchivs der innovativste und modernste Kommunalarchivbau in Europa werden soll!

In der Eröffnungsrede zur Kölner Expertenanhörung am 24. Juni 2009 sprach NRW-Ministerpräsident Rüttgers von der Gefahr, „dass sich der Kulturbetrieb nur noch auf die spektakulären Großereignisse konzentriert, auf so genannte Events“. Dagegen würde „das weniger Sichtbare und Spektakuläre, aber Dauerhafte und Bleibende“ leicht vergessen. Rüttgers mahnte: „Kulturpolitik heißt, unsere kulturelle Substanz zu bewahren. Es geht nicht nur um eine Menge alter Dokumente. Es geht auch um unsere Werte.“
Eine nachhaltige Kulturpolitik ist ohne lebendige Archive nicht denkbar – auch nicht in Hessen!

Wiesbaden, 29. Juli 2009
Der Vorstand des Landesverbandes
Dr. Brigitte Streich, Vorsitzende (Stadtarchiv Wiesbaden)
Dr. Thomas Heiler (Stadtarchiv Fulda)
Dr. Karl Murk (Staatsarchiv Marburg)
Birgit Dreuth (Evangelische Kirche Hessen-Nassau)"

Link: http://www.vda.lvhessen.archiv.net

Download: http://www.vda.lvhessen.archiv.net/texte/HessischeErkl2009.pdf

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