Die Kölner haben ihren eigenen Humor. Am Eingang der großen Halle, in der die Funde aus dem eingestürzten Historischen Archiv der Stadt Köln lagern, hängt ein Plakat mit dem „Kölsche Grundgesetz“. Es besteht aus elf Redensarten, die typisch für die Stadt am Rhein sind. Dick unterstrichen ist hier Artikel 4: „Wat fott es, es fott.“
Entgegen dieser Weisheit finden sich die Kölner aber nicht damit ab, dass ihre Schätze fort sind. Und viele Kolleginnen und Kollegen helfen ihnen, eine erste Ordnung in das große Durcheinander zu bringen.
Am 3. März 2009 stürzte das Historische Archiv in der Kölner Severinstraße ein. Es wird wohl noch lange nach den Ursachen und möglichen Anzeichen für das Unglück gesucht werden. Seine erste Bilanz war erschreckend. Zwei Menschen aus der Nachbarschaft kamen ums Leben. Schriftlichen Spuren einer reichen Geschichte, die Regalreihen von 28 km Länge füllten, schienen unwiederbringlich verloren. Aber für das größte bürgerliche Archiv nördlich der Alpen mehrten sich bald die guten Anzeichen. Unerwartet viele Schriftstücke haben den Einsturz überdauert, wenn auch unter Massen von Schutt und Staub oder im Grundwasser. Um sie zu sichern und zu ordnen, wird fachkundige Hilfe gebraucht.
Auch der Verband kirchlicher Archive (EKD) setzt sich dafür ein. Die Vorsitzende Dr. Bettina Wischhöfer schrieb noch im März ihre Kolleginnen und Kollegen an, um über die Hilfsmöglichkeiten zu informieren. In ihrem eigenen Haus, dem Landeskirchlichen Archiv Kassel, erklärten sich drei Mitarbeiter spontan zu einem Einsatz in Köln bereit.
Abb.: Thomas Gothe, Peter Heidtmann-Unglaube und Bernd Breidenbach (von links) vom Landeskirchlichen Archiv Kassel beim Hilfseinsatz in Köln (Foto: Landeskirchliches Archiv Kassel)
Thomas Gothe, Bernd Breidenbach und Peter Heidtmann-Unglaube machten sich am 27. Mai auf den Weg. In Köln erwartete sie eine bereits gut eingespielte Organisation. Untergebracht und verpflegt werden die Hilfskräfte in einer ehemaligen Kaserne. Von dort führt eine eigens eingerichtete Buslinie zum Arbeitsort. Das ist nicht die Ruine des Historischen Archivs in der Severinstraße, sondern eine Lagerhalle außerhalb der Stadt. Auf drei Etagen werden dort die geborgenen Archivalien angeliefert, gesäubert, sortiert und für die Restaurierung vorbereitet.
Die Sicherheitsvorschriften sind streng. Wer die Halle betritt oder verlässt, muss sich auf einer Liste ein- und austragen. Gearbeitet wird in Schutzanzügen, die den ganzen Körper einhüllen, mit Handschuhen und mit Mundschutz. Das Atmen fällt schwer, und im Verlauf der siebenstündigen Einsätze wird auch das Stehen zur Herausforderung.
In zwei Schichten arbeiten jeweils etwa 50 Helferinnen und Helfer, schleppen Kartons heran, breiten ihren Inhalt auf langen Tischen aus, trennen die Schriftstücke vom Schutt und notieren, was sie gefunden haben. Alles Beschriebene wird aufgehoben, selbst kleine Schnipsel mit wenigen Buchstaben. Vielleicht werden sie später mit Computerprogrammen geordnet, die bei den zerstückelten Stasi-Akten der früheren DDR zum Einsatz kamen. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Zunächst steht die grobe Arbeit an. Ungefähr 12000 Kartons mit Fundmaterial sind aus der Ruine des Historischen Archivs in der Severinstraße gekommen. Gut 100 davon haben die drei Helfer aus dem Landeskirchlichen Archiv Kassel bis zum 29. Mai abgetragen. Drei Tage hatte sie die Landeskirche dafür vom Dienst freigestellt. In dieser Zeit haben sie eine Menge Betonbrocken aussortiert, Staub weggewischt und Texte entziffert.
Darunter war viel Papier mit wenig Unterhaltungswert, etwa Steuer- und Gewerbeakten der letzten 3 Jahrzehnte. Manche Fundstücke ließen aber auch die Herzen höher schlagen. So tauchten im Schutt mehrere dicke, auf Pergament geschriebene Bücher aus dem Mittelalter auf. Es fanden sich gebundene Akten über den Strafvollzug in Köln um die Mitte des 16. Jahrhunderts und Unmengen von Quittungen aus den 1490er Jahren. Gerade diese frühen Dokumente sind erstaunlich gut erhalten.
So bestehen gute Aussichten für die alte Stadt Köln, ihr Historisches Archiv und damit ihr Gedächtnis zurückzuerlangen.
Peter Heidtmann-Unglaube