Das Präsidium der Goethe-Universität Frankfurt am Main hat am 19. Mai 2009 einstimmig für den Erhalt des Suhrkamp-Archivs in Frankfurt votiert. „Das Suhrkamp-Archiv gehört ohne Frage zum geistigen Erbe Frankfurts und sollte von hier auch nicht abgezogen werden“, erklärte Universitätspräsident Werner Müller-Esterl zu den sich in den letzten Tagen verdichtenden Medienberichten, nach denen das Deutsche Literaturarchiv Marbach Interesse an einer Übernahme der einmaligen Sammlung zeigt. „Angesichts der großen nationalen und internationalen Bedeutung der Sammlung werden Stadt, Land und Universität an einem Strang ziehen, um ihren Verbleib in Frankfurt zu sichern“, so Müller-Esterl.
Auf der Grundlage eines zwischen Universität und Suhrkamp-Stiftung geschlossenen Vertrages befinden sich seit 2002 bereits Teile der Sammlung in archivarischer Betreuung der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Laut dieser von Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz und dem ehemaligen Universitätspräsidenten Rudolf Steinberg unterzeichneten Vereinbarung sollten in Abständen von jeweils fünf Jahren weitere Teile des einmaligen Dokumentenbestandes in die archivarische Obhut der Goethe-Universität übergehen. Die Vereinbarung zwischen Stiftung und Universität sieht eine dauerhafte Verankerung des Archivs an der Goethe-Universität vor. „Die Universität hat bisher alle sich aus diesem Vertrag ergebenden Verpflichtungen erfüllt“, erklärte Müller-Esterl. „Daher sehen wir mit einiger Verwunderung, dass man hinsichtlich der weiteren Verwendung des Archivs offenbar schon Verhandlungen mit dritter Seite aufgenommen hat, ohne zuvor mit uns das Gespräch gesucht zu haben.“
So seien es erst Wissenschaftler der Goethe-Universität gewesen, die aus dem 2002 in Umzugskisten angelieferten großen Mengen ungeordneten Materials, das sich zum Teil in einem konservatorisch bedenklichen Zustand befand, überhaupt ein Archiv geformt hätten, das diesen Namen verdient. Aus dem Archiv sind innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes bereits eine Vielzahl national und international beachteter Editionen, Buch- und Zeitschriftenbeiträge sowie Ausstellungen und Vorträge hervorgegangen mit dem Ziel, wichtige Teile des Archivs möglichst schnell einer wissenschaftlichen Bewertung zukommen zu lassen. Zuletzt hatte Ende 2008 die Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Theodor W. Adorno und Siegfried Kracauer für erhebliches öffentliches Aufsehen gesorgt. Bereits 2003 war der Briefwechsel zwischen Peter Suhrkamp und Siegfried Unseld erschienen, 2006 dann der Briefwechsel zwischen Wolfgang Koeppen und Siegfried Unseld sowie eine Monografie über Hermann Hesse und den Suhrkamp-Verlag. Weitere Editionen wie die der Briefe Peter Suhrkamps an seine Frau Annemarie Seidel oder der Briefwechsel zwischen Max Frisch und Peter Suhrkamp werden derzeit vorbereitet. Bis spätestens 2014 ist die Integration des Suhrkamp-Archivs in das neue Archivzentrum geplant, das auf dem Campus Westend entstehen wird.
Es sei offensichtlich, dass es zwischen den an der Goethe-Universität beheimateten, reformorientierten Vordenkern des Nachkriegsdeutschlands wie zum Beispiel Adorno und dem Suhrkamp-Verlag eine nahezu symbiotische Beziehung gegeben habe, deren Geist das Archiv atmet. Müller-Esterl: „Ein Verbleib des Archivs an der Goethe-Universität ist schon deshalb sinnvoll, weil es zu einem nicht geringen Teil die Geschichte der Frankfurter Schule enthält. Damit erscheint die Goethe-Universität als der bestmögliche Ort, um dieses Erbe angemessen aufzuarbeiten, zu publizieren und der Wissenschaft und Öffentlichkeit zugänglich zu machen“, so der Präsident. Zudem handele es sich um das umfassendste Archiv, das die Entwicklung der deutschen Nachkriegsliteratur dokumentiert.
Im Dezember 2002 wechselte eine beispiellose Sammlung geisteswissenschaftlicher Quellen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus den Kellern des Suhrkamp Verlags in der Lindenstraße auf den Campus Westend. 2003 nahm das „Archiv der Peter Suhrkamp Stiftung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität“ seine Arbeit auf – eines der bedeutendsten deutschen Literaturarchive der Moderne. Denn Peter Suhrkamp und sein Verlag gaben Autoren wie Hermann Hesse, Bertolt Brecht und Max Frisch, die intellektuelle Heimat, in der herausragende Literatur entstehen konnte. Administrativ ist das Archiv dem Fachbereich Neuere Philologien zugeordnet. Die wissenschaftliche Leitung liegt bei dem Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Volker Bohn, das Archiv wird betreut von dem Germanisten Wolfgang Schopf. Obwohl die konservatorische Sicherung und die Erschließung der Dokumente in der Aufbauphase Priorität genießen, steht das Archiv auch Besuchern (nach Anmeldung) offen. Zudem präsentiert das Archiv Teile des Bestands und eigene Forschungsergebnisse mit der Veranstaltungsreihe »Hauslesung«, die jeweils zum Ende des Semesters stattfindet, durch Ausstellungen und Editionen.
Aus den nur grob geordneten Materialien wuchs langsam ein funktionsfähiges Archiv, auf das Wissenschaftler aus dem In- und Ausland immer häufiger zugreifen. Die Peter Suhrkamp Stiftung stellte der Universität in der ersten Phase ein etwa 250.000 Blatt umfassendes Konvolut als Dauerleihgabe zur Verfügung, damit der Verbleib des Bestandes in Frankfurt, seine wissenschaftliche Aufarbeitung und seine Erschließung für die Forschung gewährleistet werden. Dazu gehören heute bereits der Nachlass des Verlagsgründers Peter Suhrkamp sowie sämtliche Korrespondenzen des Verlags, die erhaltenen Manuskripte und Herstellungsunterlagen sowie die Rezensionen der Bücher aus dem ersten Verlagsjahrzehnt bis zur Übernahme der verlegerischen Verantwortung durch Siegfried Unseld im Jahr 1959. Hinzu kommt die Korrespondenz des Insel Verlags mit seinen Autoren von 1945 bis 1963.
Der Großteil der Dokumente lässt sich in drei Gattungen gliedern: die Korrespondenz der Autoren mit dem Verleger oder den Lektoren, in der die Entstehung von Literatur in Perspektive auf den Autor transparent wird, Herstellungsunterlagen (wie Druckfahnen mit Autorenkorrekturen), in denen die vielen Schritte des Manuskripts auf dem Weg zum Buch deutlich werden, und zeitgenössische Rezensionen sowie weitere Reaktionen meinungsbildender Instanzen, womit die Wechselwirkung von Literatur und öffentlichen Diskursen nachvollziehbar wird.
Kontakt:
Archiv der Peter Suhrkamp Stiftung
an der Johann Wolfgang Goethe-Universität
DSL 2
Grüneburgplatz 1
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Tel.: 0 69 / 798 – 32443
schopf@archiv-suhrkamp-stiftung.de
Quelle: Pressemitteilung der Goethe-Universität Frankfurt am Main, 19.5.2009; Archiv der Peter Suhrkamp Stiftung