Archivgutrettung im Kölner Erstversorgungszentrum

In Porz befindet sich das sog. Erstversorgungszentrum (EVZ) des Historischen Archivs der Stadt Köln. Bald nach dem Einsturz des Stadtarchivs am 3. März konnte man dort ausgedehnte gewerbliche Lagerflächen nutzen, um das in der Severinstraße geborgene Archivgut fachgerecht aufzunehmen und für die Restaurierung vorzubereiten.

Im EVZ kommt ein Teil der insgesamt 38 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Historischen Archivs zum Einsatz; die Kölner Archivare und Restauratoren bewerten den Zustand der angelieferten Materialien und kontrollieren das Sichten, Sortieren und Trocknen der Fundstücke. Zudem leiten sie als Schichtführer die zahlreichen freiwilligen Helfer bei der Arbeit an. Als „Archivar/in vom Dienst“ (AvD) mit rotem T-Shirt und „Restaurator/in vom Dienst“ (RvD) mit grünem T-Shirt und Aufdruck sind sie leicht unter den in weißen Schutzanzügen gekleideten Freiwilligen zu identifizieren.

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Abb. 1: Freiwillige Helferinnen aus hessischen und ostwestfälischen Archiven mit der „AvD“ Karoline Meyntz (Historisches Archiv der Stadt Köln) im EVZ. In Hintergrund: von der Einsturzstelle angeliefertes Archivgut in Reisswolf-Kartons (eig. Foto).

Freiwillige und ehrenamtliche Helfer haben in großer Zahl nach dem Einsturz des Archivs ihre Bereitschaft zur Unterstützung bei den immensen Sortierarbeiten angeboten. Längst konnten noch nicht alle der mehr als 1.700 Angeboten aufgegriffen und wahrgenommen werden – eine zusätzliche besondere logistische und organisatorische Herausforderung, die mittlerweile nicht mehr vom Stadtarchiv selbst geleistet werden muss, sondern durch die Kölner Stadtverwaltung geschieht.

Nun, da die Medienpräsenz des Archiveinsturzes nach und nach durch andere Ereignisse in den Hintergrund gerutscht ist, ist es umso wichtiger, dass weiterhin Hilfsangebote bei der Stadt Köln eingehen. Es werden noch mehrere Wochen und vermutlich Monate lang freiwillige Helfer gesucht, die im Erstversorgungszentrum tätig werden können. Sie sollten nach Möglichkeit eine fachliche Vorbildung besitzen, um beispielsweise Schäden, wie Schimmelbefall, oder Provenienzen erkennen zu können. Der Einsatz von Gruppen, wie Archivschülern aus Marburg, Potsdam oder München, ist dabei ebenso wünschenswert wie eine mehrtägige Anwesenheit im EVZ, um von gewissen Arbeitsroutinen, die sich nach kurzer Zeit einstellen, profitieren zu können.

Angebote von personeller Hilfe durch Archivmitarbeitende sollten als Einzel-, Dienststellen- oder als Abteilungsmeldung an die E-Mailadresse rwwa@koeln.ihk.de gerichtet werden, entsprechende Angebote von Restauratoren an bert.jacek@fh-koeln.de. Bei der Anmeldung wird um folgende Angaben gebeten: Name, Vorname, Dienststelle, Ort, Telefonnummer, E-Mail-Anschrift und Dauer des Einsatzes. Die Daten sollten als Excel-Tabelle gemailt werden.

Auswärtige Helfer werden durch die Stadt Köln in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht. Die Stadt organisiert auch den Transfer zum EVZ per Shuttle-Bus. Derzeit wird im EVZ von montags bis samstags in zwei Schichten gearbeitet, jeweils von 7 bis 14 Uhr und von 14 bis 21 Uhr. Der Shuttle verlässt die Unterkunft in der Boltensternstraße täglich um 6 und um 13 Uhr und macht anschließend noch zweimal Station: um 6.10 bzw. 13.10 Uhr in der Altenberger Straße direkt hinter dem Hauptbahnhof sowie um 6.20 bzw. 13.20 Uhr in der Nähe der Unglücksstelle am Waidmarkt an der Ecke Hohe Pforte/Mühlenbach. Der kostenlose Transfer dauert rund 25 Minuten; zehn Minuten nach Schichtende steht der Shuttle-Bus wieder für die Rückfahrt in die City bereit.

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Abb. 2: Nach getaner Arbeit im EVZ mit dem Shuttle zurück in die Kölner Innenstadt: Thomas Brünnler, Marén Weigel und Silke Erler (v.l.) vom Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abt. Magdeburg und Dessau, waren fünf Tage in Köln im Einsatz (eig. Foto).

Im Erstversorgungszentrum gibt es einige Sicherheitsbestimmungen und Arbeitsschutzvorkehrungen. Ein Wachdienst kontrolliert die Zu- und Abgänge per Unterschriftenliste. Bei der Arbeit ist ein Schutzoverall zu tragen, bei vielen Tätigkeiten zudem ein Atemschutz (P2) und Handschuh. Die Stadt Köln weist die freiwilligen Helfer in der Regel vor dem Einsatz per Mail auf die einschlägigen Bestimmungen und Abläufe hin. – Eigenständiges Fotografieren ist im EVZ nicht gestattet, mittlerweile gibt es abgestimmte Pressetermine, um von der Hilfe und von den Helfern, die aus ganz Deutschland und auch aus den Nachbarländern in Köln eintreffen, berichten zu können. Diese Medienberichte, die die Arbeitsabläufe teilweise etwas verzögern, sind durchaus notwendig, um weiter auf die Unterstützungsmöglichkeiten für das Historische Archiv hinzuweisen und um „Werbung“ für den freiwilligen Einsatz im EVZ zu machen.

Die freiwilligen Helfer arbeiten in der Regel zu zweit an den provisorischen Arbeitstischen und in den verschiedenen Aufgabenbereichen. Es gibt hier drei große Aufgabengebiete, die man bei mehrtägigen Einsätzen durchlaufen kann, aber nicht durchlaufen muss. Entscheidend ist, dass das gerettete Archivgut diese Arbeits- bzw. Behandlungsschritte durchläuft. Dabei handelt es sich erstens um die Sortierstation im ersten Stock des EVZ. Hier wird das in handlichen, weißen Kartons der Firma Reisswolf von der Einsturzstelle angelieferte Archivgut mit Bürsten gereinigt, kategorisiert, grob erfasst und zur weiteren Behandlung umgepackt. Nasses und zum Teil von Schimmel befallendes Archivgut wird, sofern es nicht bereits direkt an der Einsturzstelle separiert werden konnte, einzeln in Stretchfolie gewickelt und in Gittercontainern verstaut, um gesammelt in auswärtige Tiefkühllager zum Schockfrosten verbracht zu werden. Dies verhindert die weitere Ausbreitung von Schädigungen am Material. 

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Abb. 3: In der ersten Arbeitsstation warten gerade angelieferte Kartons mit geborgenem Archivgut auf die Sichtung und Sortierung. Rechts im Bild Gitterboxen für nasse und von Schimmel befallene Archivalien (eig. Foto).

Weitgehend trockenes bis leicht klammes Archivgut nach seiner manuellen Grundreinigung in fortlaufend zu nummerierende, blaue Wannen umgebettet. Dieses Schriftgut wird ebenso wie das nasse grob inhaltlich erfasst, nach Möglichkeit anhand von Archivsignaturen identifiziert, so dass nach und nach eine Übersicht über die geretteten Bestände bzw. Bestandteile des Archivs entsteht. Das weitgehend trockene Material, innerhalb des ersten Monats nach dem Archiveinsturz rund 2.800 Wannen, wird in den blauen Behältnissen in die dritte Etage des EVZ verfrachtet. Dort vollzieht sich die weitere Behandlung der Archivalien, zunächst der zweite Arbeitsschritt.

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Abb. 4: Ein typischer Arbeitsplatz im EVZ mit blauen Wannen für das gereinigte und erfasste Archivgut. An der Wand Hinweise auf Schadenskategorien und Arbeitsabläufe (eig. Foto).

Aus den einzelnen Wannen wird das Archivgut auf Regalwagen gelegt, dabei nach Möglichkeit aufgeschlagen und ausgebreitet, um in provisorischen Trockenkammern für acht bis zwölf Stunden zu lagern und dabei die Reste von Nässe zu verlieren. Die RvD, also die „Restauratoren vom Dienst“, überprüfen den Trocknungsprozess und bestimmen, zu welchem Zeitpunkt das Archivgut die mit Folie abgehängten und mit Heizlüftern ausgestatteten Räume wieder verlassen darf. 

An- und abschließend erfolgt der dritte Arbeitsschritt, der ebenfalls maßgeblich von den freiwilligen Helfern absolviert werden kann: Von den Trocknungswagen, die jeweils den Inhalt nur einer der besagten blauen Wannen tragen, wird das Archivgut in Archivkartons umgebettet. Diese säurefreien Archivkartons – es handelt sich dabei nicht um die mittlerweile bekannten „Kölner Kartons“, sondern um handelsübliche Stülpschachteln – erhalten die jeweilige fortlaufende Nummer der entsprechenden blaue Wanne, so dass die im ersten Arbeitsschritt angelegten Inhaltslisten das spätere Auffinden des Materials ermöglichen. Die gefüllten Stülpkartons werden schließlich auf Euro-Paletten verladen und in verschiedenen Archivmagazinen, wie z.B. beim mittlerweile gefüllten Erzbistumsarchiv in Köln, (zwischen-) gelagert.

Die Tätigkeiten im Kölner Erstversorgungszentrum sind vor allem körperlicher Natur; eine gute Konstitution – und eine volle Tube Handcreme – erleichtert den freiwilligen Helfern den Dienst. Um das leibliche Wohl (Frühstück und Mittagessen während der ersten Schicht, Kaffee und Abendbrot während der zweiten Schicht) kümmern sich Johanniter, Malteser und der ASB. Angestellte eines Umzugsunternehmens helfen bei den Verladetätigkeiten während der Arbeit, und überhaupt ist die gegenseitige, kollegiale Hilfsbereitschaft sehr hoch. Trotz manch frustrierender Funde, wie vollkommen zerrissener und wild durcheinander geratener Archivalien aus mehreren Jahrhunderten innerhalb einer Fundbox, überwiegt bei den freiwilligen Helferinnen und Helfern im EVZ die Freude an der tätigen Hilfe und die Zuversicht, dass erhebliche Teile der Bestände des Historischen Archivs der Stadt Köln gerettet werden können.

Der Kontakt zum Historischen Archiv der Stadt Köln kann per E-Mail an HistorischesArchiv@stadt-koeln.de sowie in Ausnahmefällen telefonisch über die Rufnummern 0221/22128746 und 0221/22124455 erfolgen.

Jens Murken, Bielefeld

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