Digitales Firmenerbe in Gefahr

Begleitend zur "Systems", der Business-to-Business-Messe für Informations- und Kommunikationstechnologie, die vom 21. bis 24. Oktober 2008 in München stattfindet, stellt die Financial Times Deutschland (FTD) in Rahmen einer Artikelserie Unternehmenslösungen und -beiträge zu aktuellen Herausforderungen auf dem IT-Sektor vor. Christian Keitel, beim Landesarchiv Baden-Württemberg für den Aufbau des Digitalen Archivs verantwortlich, und Ulrike Gutzmann, Archivarin in der Abteilung Historische Kommunikation bei Volkswagen in Wolfsburg, werden zur Zukunft der digitalen Dokumente in Unternehmen befragt.

Die Problemanzeige ist bekannt: Firmenkommunikation nach innen und außen erfolgt zunehmend papierlos, Dokumente werden digital nachgehalten. Dies stellt die Archivare vor besondere Herausforderungen, insbesondere in Unternehmen, wo Archivierung keine Pflichtaufgabe darstellt. Auf der anderen Seite gibt es breite Digitalisierungspraktiken, so bei Daimler, wo beispielsweise allein die internen Publikationen jährlich drei Europaletten füllen. Daher gehöre es bei den Stuttgarter Autobauern bereits zum Alltag, Archivpapiere durch das Einscannen und Einordnen in Datenbanken in vermeintlich leicht nutzbare digitale Information umzuwandeln.

Die Digitalisierungstechnik ändere das Archivwesen allerdings radikal. Heute komme es darauf an, sich schon vor dem Erzeugen eines Dokumentes im Klaren zu sein, wie es weiter genutzt werden soll, so Ulrike Gutzmann. Auch in ihrer digitalisierten Form können Unternehmensunterlagen zur Plage werden, wenn unterschiedslos alles eingescannt und abgespeichert wird. Bislang seien nur wenige Firmen so weit, die digitale Archivierung ihrer Unterlagen strategisch anzugehen.

Viele Firmen verzichten auf Archive, da ihr Nutzen für das operative Kerngeschäft vielfach nur auf den zweiten Blick erkennbar wird. Erst wenn die Konzernjuristen oder Behörden Einblick in alte Verträge nehmen wollten oder die Marketingabteilung klassische Broschüren aus den 60er Jahren zur Gestaltung neuer Kampagnen benötigte, zeige sich der Wert von Archivarbeit. 

Ein Problem sei in Deutschland das heillose Durcheinander in Bezug auf technologische und methodische Standards des Archivierens. Nahezu jede Archivierungsstelle, sei es nun bei den Ländern, bei den Kommunen oder in der Privatwirtschaft, lege ihre Dokumente nach eigenen Methoden ab und stelle sehr individuelle Anforderungen an die zu verwendende Software. 

Hinzu komme, dass es für die digitale Langzeitarchivierung mehrere Verfahren gebe. Ein Teil der Fachleute setze heute darauf, die aufbewahrten Informationen fortlaufend in neue Formate zu überführen, erläutert Christian Keitel. Alternativ könne alles im Originalformat belassen und Übersetzungssoftware programmiert werden, um die Originaldaten zu lesen. Beide Verfahren bedeuten für die Archivare viel Arbeit, seien aber notwendig, um die digitalen Dokumente auch auf zukünftiger Computertechnik noch lesen zu können. 

Neben dem permanenten Abspeichern von Unterlagen in neuen Formaten und dem Entwickeln immer neuer Übersetzungssoftware, um alte Daten lesen zu können, ist auch eine industrieweite Standardisierung ein wirksames Mittel gegen das Verschwinden archivierter Unterlagen im Daten-Nirvana. 

In einigen Bereichen der Digitaltechnologie sei die Standardisierung immerhin schon so weit fortgeschritten, dass die Gefahr des Verlustes digitaler Daten weitgehend gebannt sei. Für Text- und Bilddaten gebe es bereits zukunftssichere Standard-Formate, sagt Ulrike Gutzmann. Bei Zeichnungen gebe es sie dagegen noch nicht. Und die Archivierung von E-Mails oder Webseiten sei noch nicht einmal ansatzweise geklärt. 

Quelle: Lars Reppesgaard und Wilko Steinhagen, Financial Times Deutschland, 11.10.2008

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