Vorsichtig öffnet Wilhelm Klare die flache Schachtel. Das Pergamentblatt darin ist fast 640 Jahre alt. Der Archivar fasst es mit weißen Handschuhen an und legt es auf den Tisch. Ein dunkles Bleisiegel, etwa 3,5 Zentimeter im Durchmesser, verrät die Herkunft der Urkunde. Papst Gregor XI. ließ sie 1371 ausfertigen und bestätigte darin eine Schenkung an Albert von Sachsen, den damaligen Bischof von Halberstadt.
Die Zeit hat Spuren auf dem Dokument hinterlassen, das heute im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt in Magdeburg aufbewahrt wird. Klare zeigt auf eine reparierte Schriftzeile. Ende des 16. Jahrhunderts war sie wegen einer Beschädigung ergänzt worden. Doch der Schreiber irrte. Als Ausstellungsort schrieb er Rom in das Pergament. Falsch, sagt der Archivar. Gregor XI. hatte seinen Sitz damals nicht in Rom, sondern in Avignon. Um solche Fehler zu vermeiden, hüte man sich heute, fehlende Stellen einfach auszubessern.
In großer Zahl bewahrt das Landeshauptarchiv von Sachsen-Anhalt mittelalterliche Urkunden auf. Sie seien jedoch nur ein Bruchteil dessen, was in dem 1908 errichteten Gebäude in Magdeburg lagert, sagt Leiterin Dr. Ulrike Höroldt. Mehr als 41.000 Urkunden aus rund 1.000 Jahren, 11.000 laufende Meter Akten und 90.000 Karten sowie Pläne haben dort ihren Platz gefunden.
An den anderen Standorten des Landeshauptarchivs wie in Wernigerode, Merseburg und Dessau finden sich weitere Archivalien, zusammen über 45.000 laufende Meter Akten. Längst reicht der Platz in Magdeburg nicht mehr aus. Im Herbst 2008 beginnt deshalb der Ausbau einer alten Kaserne zum neuen Domizil für das Magdeburger Archiv. Die Arbeiten sollen in etwa drei Jahren abgeschlossen sein.
Seine Entstehung verdankt das Landeshauptarchiv der Gründung der Preußischen Provinz Sachsen auf dem Wiener Kongress 1815, für die 1823 die Einrichtung des Königlichen Provinzialarchivs erfolgte. Dort trug man in vielen Jahrzehnten all die Archivalien zusammen, die zuvor in den zur Preußischen Provinz Sachsen gehörenden Regionen lagerten.
Höroldt bezeichnet die Dokumente aus dem Mittelalter als einen «unvergleichlichen historischen Schatz». Nirgendwo gebe es so viele Urkunden aus der Zeit der Ottonen wie in Magdeburg. «123 Exemplare befinden sich in unseren Regalen», sagt die Leiterin des Archivs. Allein 51 wurden von Otto dem Großen ausgefertigt. Auch das Schriftstück, auf das Mecklenburg 1995 sein 1000. Gründungsjubiläum bezog, hüten die Archivare in Magdeburg.
Die älteste Urkunde in dem Archiv stammt aus dem Jahr 902. Ludwig das Kind, der letzte deutsche Karolinger, bestätigt darin der bischöflichen Kirche von Halberstadt die von seinen Vorgängern verliehenen Privilegien. «Solche Bestätigungen waren früher an der Tagesordnung», sagt Klare. Mit ihnen wurde nach dem Tode eines Herrschers Klarheit für die Zukunft geschaffen.
Das Alter der Blätter erfordere ein restauratorisch behutsames Vorgehen, sagt der Archivar. Für Ausstellungen in Museen würden die Dokumente von Zeit zu Zeit ausgeliehen. Dann dürften sie nur gedämpftem Licht ausgesetzt werden. Eine dauerhafte Präsentation verbiete sich von selbst.
Auch die Siegel bereiten Erhaltungsprobleme. Klare breitet ein Schriftstück der Bitterfelder Ratsherren von 1667 aus. 16 Siegel hängen an dieser Urkunde. Schritt für Schritt bekommen die Wachssiegel im Archiv eine separate Hülle. Manches Stück sei faustgroß, berichtet Klare. Die Siegel seien nicht allein Zeitdokumente, sondern meist kleine, filigrane Kunstwerke.
Die Bestände des Landeshauptarchivs können grundsätzlich von jedem genutzt werden, der ein berechtigtes Interesse hat. Die wertvollen und seltenen Dokumente aus dem frühen und hohen Mittelalter würden aber nur in Ausnahmefällen im Original vorgelegt, beispielsweise für einen Schriftenvergleich oder andere wissenschaftliche Untersuchungen, sagt Höroldt. Ansonsten greife man unter anderem auf Mikrofilm oder digitalisierte Formen zurück.
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Quelle: Deutscher Depeschendienst ddp, Pressemitteilung, 5.8.2008