Kaum ein Land weckt so viele Sehnsüchte und wohlige Gefühle bei den Deutschen wie die Gefilde südlich des Brenners: Jeden Sommer ziehen die Teutonen in Massen an die Adria, in die Toskana oder nach Sizilien. Doch lange bevor Deutsche nach Süden zogen, kamen schon Italiener zu uns in den Norden: Zum Eisenbahnbau, in die Ziegeleien, als Bauhandwerker oder Straßenarbeiter.
Verschiedene Institutionen in der Region haben sich nun zusammengeschlossen, um diesen Teil der italienisch-deutschen Geschichte in Pforzheim und im Enzkreis zu erforschen und zu dokumentieren. „Bereits im 18. Jahrhundert finden wir Spuren italienischer Gäste in unserer Region,“ berichtet Dr. Karl Mayer vom Archiv des Enzkreises, der im Projekt mitarbeitet: „Nicht nur als Erbauer des Graevenitz’schen Schlosses in Heimsheim, auch als Kaufleute, Weinhändler oder Kaminfeger waren sie hier tätig.“
Einige Italiener wurden im Zweiten Weltkrieg zur Zwangsarbeit gezwungen, die weitaus meisten wurden jedoch ab den späten fünfziger Jahren angeworben und fanden in den Fabriken und auf den Baustellen des bundesrepublikanischen Wirtschaftswunder-Landes Arbeit. Aber nicht nur das „Häusle bauen“ prägte die Geschichte der italienischen „Gastarbeiter“ – ebenso groß war das Heimweh, oft verstärkt durch die ablehnende Haltung der eingesessenen Bevölkerung.
Die Spuren, die Italiener hinterlassen haben, sind vielfältig und beschränken sich nicht auf Eisdielen, Pizzaservice oder Motorroller. „Viele der vor etwa 50 Jahren hierher Gekommenen sind geblieben und Teil unserer Gesellschaft und Kultur geworden,“ beschreibt Historiker Mayer. Viele hätten sich zusammen mit Einheimischen in deutsch-italienischen Gesellschaften engagiert. Mayer: „Seither wächst das gegenseitige Verständnis, Vorurteile werden abgebaut. Die große Zahl an Partnerschaften zwischen deutschen Kommunen oder auch dem Enzkreis mit italienischen Pendants und die zahlreichen gegenseitigen Besuche unterstreichen diese wachsende Nähe und die Selbstverständlichkeit im Umgang miteinander.“
Abb.: Die Autobahn Stuttgart-Karlsruhe wurde im Raum Pforzheim in den sechziger Jahren ausgebaut; auf solchen Großbaustellen kamen zahlreiche ausländische Arbeiter zum Einsatz, darunter viele Italiener (Foto: Enzkreis).
Kreisrat Hans-Peter Huber aus Ispringen hatte die Initiative für das Projekt „Geschichte der Italiener im Raum Pforzheim“ ergriffen: „Vor dem Hintergrund von Immigration und Integration, aber auch von Vorurteilen und Missverständnissen finde ich es wichtig, die italienische Geschichte im Enzkreis und in der Stadt Pforzheim intensiv zu erforschen – vor allem, solange die Generation der Zuwanderer aus den Fünfzigern noch lebt.“ Hubers Idee stieß auf große Resonanz: Seit Ende vergangenen Jahres treffen sich Vertreter des Kreisarchivs und des Medienzentrums, der Stadtarchive Pforzheim (Dr. Christian Groh) und Mühlacker (Marlis Lippik), der deutsch-italienischen Gesellschaften Pforzheim (Vittoria Eisen) und Mühlacker (Hermann Fasching) und des italienischen Generalkonsulats (Paola Tassoni).
Inzwischen sind die Planungen abgeschlossen und erste konkrete Schritte unternommen worden, wie Kreisarchivar Konstantin Huber berichtet: „Mein Rastatter Kollege Martin Walter wird ein Buch über das Thema schreiben, Dr. Mayer und ich unterstützen ihn durch Materialsuche in den Gemeindearchiven und betreuen die Herausgabe des Buches.“ Die Stadtarchive Pforzheim und Mühlacker stellen weitere Text- und Bildquellen zur Verfügung. Archivar Walter habe sich als Autor des Werkes „Italienische Spuren im Landkreis Rastatt“ bereits einen Namen gemacht, wie Huber betont.
Parallel organisiert das Medienzentrum unter Federführung von Wolfgang Antritter und Jutta Pleick-Ott Interviews mit italienischen Gastarbeitern der „ersten Generation“; die deutsch-italienischen Gesellschaften stellen die notwendigen Kontakte her. Schüler der 11. Klasse des Mühlacker Theodor-Heuß-Gymnasiums haben erfolgreich Probeinterviews durchgeführt und freuen sich nun auf die Fortsetzung dieser Zeitreise im kommenden Schuljahr. „Die per Interview gewonnenen Erkenntnisse dienen nicht nur als Grundlage der geplanten Buchveröffentlichung. Es soll auch Unterrichtsmaterial für die Schulen zu Geschichte und Gegenwart italienischer Mitbürger im Raum Pforzheim entstehen,“ freut sich Antritter.
„Unser Projekt ist ergebnisoffen,“ betont Konstantin Huber. „Wir wollen nicht nur eine Erfolgsgeschichte schreiben und dokumentieren. Vergangene und noch bestehende Defizite und Vorurteile im Verhältnis zwischen Deutschen und Italienern sollen genauso thematisiert und angesprochen werden – gerade im Schulunterricht.“ Die Mitarbeitenden hoffen, dass so die Beschäftigung mit der „Geschichte der Italiener im Raum Pforzheim“ dazu beitragen kann, das verständnisvolle Miteinander der Menschen unterschiedlicher Herkunft zu fördern.
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Quelle: Enzkreis, Pressemitteilung 211/2008, 29.7.2008