Das Landeskirchenarchiv Eisenach stellte den kirchlichen Archiven aus Mittel- und Süddeutschland in großer Offenheit seine Erfolge und Probleme vor, um zur Erkundung neuer Pfade archivischen Arbeitens aufzurufen. Teil der Bemühungen um die gebührende Berücksichtigung des Landeskirchenarchivs in der landeskirchlichen Personal- und Finanzplanung ist das „Eisenacher Modell“, das verstärkt ehrenamtliche und fachfremde Mitarbeitende unter Leitung von Facharchivaren auch für archivarische Kernaufgaben einsetzt. Wie Dr. Hannelore Schneider, Margit Köppe und Hans-Günther Kessler in ihrem einleitenden Referat ausführten, erreichte Dr. Schneider seit ihrem Dienstantritt 2005 beim Landeskirchenamt der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen die Zuordnung weiterer Mitarbeiter aus verschiedenen Arbeitsfeldern, unter ihnen auch Ehrenamtliche. Das Landeskirchenarchiv verfügt jetzt über eine wissenschaftliche Archivarin, einen Archivar (FH), einen Pfarrer, der alle genealogischen Benutzungen bearbeitet, sowie (in Teilzeitarbeitsverhältnissen) eine Archiv- und eine Verwaltungsangestellte. Dieser Stab leistet mit nebenamtlichen Archivpflegern die Archivarbeit in der gesamten Landeskirche. Das Landeskirchenarchiv Eisenach ist weiterhin nur mit 2,75 Planstellen ausgestattet. Angesichts wachsender Anforderungen, ausgereizter Magazinkapazität und Verzeichnungsrückständen bleibt den beiden Archivaren im Moment keine Zeit für die Kernaufgaben Bewertung und Verzeichnung. In der Sicherungsverfilmung z. B. hat das Landeskirchenarchiv bereits 7 der 18 Superintendenturen (Kirchenkreise) in Zusammenarbeit mit dem Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar verfilmt. Zur Durchführung der Vorbereitungen leitet Kessler halbjährlich wechselnde Zeitarbeitskräfte und ehrenamtliche Mitarbeitende an. Er selbst wird von den Verhandlungen mit den Kirchgemeinden um die korrekte Durchführung der Sicherungsverfilmung zu sehr beansprucht, als dass er Kirchenbücher verzeichnen könnte. Einen interessanten Kontrast markierte Dr. Schneiders Kurzreferat über die Geschichte der thüringischen Archivpflege, die seit den 1920er Jahren eine solche Bedeutung erlangt hatte, dass 1938 dem zusätzlich zum Landeskirchenarchiv eingerichteten Landeskirchenarchivwart 16 Planstellen bewilligt worden waren. Wenngleich der Zweiten Weltkrieg diesen Ausbau der Archivpflege verhinderte, wurde das Nebeneinander von Landeskirchenarchiv und Landeskirchenarchivwart erst in der Nachkriegszeit beendet.
Ein neues Konzept zur Erschließung der Bestände des Landeskirchenarchivs wie der Kirchengemeindearchive stellte als ehrenamtlicher Mitarbeiter Dr. Johannes Michael Scholz vor, früher Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt/Main. Es basiert auf Verzeichnung und Auswertung der Bestände der Kircheninspektion, der Superintendentur und der Kirchgemeinde Kaltennordheim. Er schlug vor, die Verzeichnung der Bestände mit ausführlichen typisierenden Beschreibungen von Amtsbüchern und Akten zu verbinden, die auf andere Pfarrarchive übertragbar sind und interessierten Ehrenamtlichen in der jeweiligen Gemeinde die Erschließung ihres Kirchengemeindearchivs ermöglichen. Dr. Scholz’ Auswertung von Kirchenrechungen des Eisenacher Oberlands zeitigte faszinierende Erkenntnisse zum kirchlichen Finanzwesen dieses Raums in der Frühen Neuzeit. Die Umsetzung auf der Gemeindeebene, die zu einer „Entdeckung neuer Formen von Gemeinsinn“ wie dem Angebot sinnvoller Arbeit an Ruheständler und Erwerbslose genutzt werden soll, steht noch aus. Auch die entstandenen Findbücher und Findhilfsmittel wurden nicht vorgestellt. Dr. Udo Wennemuth, Landeskirchliches Archiv Karlsruhe, bat um die Veröffentlichung des Beitrags in „Aus evangelischen Archiven“, damit eine fundierte Fachdiskussion möglich wird. Diese Aspekte des Eisenacher Modells entsprechen durchaus in einzelnen landeskirchlichen Archiven praktizierten Arbeitsformen.
Widerspruch löste jedoch der Beitrag des 2. stellvertretenden Direktors der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) Michael Lörzer aus: „UrMEL (University Multimedia Electronic Library) Digitalisierung und multimediale Aufbereitung an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek – (k)eine Lösung für Thüringer Kirchenbücher?“ Lörzer stellte dieses Portal der Friedrich-Schiller-Universität Jena, das u. a. ein Publikationsforum für Online-Zeitschriften und einen Hochschulschriftenserver umfasst, ausführlich vor. Unter Collections@UrMEL bietet es u.a. digitalisierte Sammlungen, die z. T. im Rahmen von DFG-Projekten erschlossen werden. Hier findet sich z. B. KORAX, das multimediale Archiv der Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz. Das Thüringische Hauptstaatsarchiv Weimar präsentiert dort – gegen Beteiligung an den Kosten – Sammlungsgut wie z. B. Theaterzettel. Aktenbestände sind von der Digitalisierung grundsätzlich ausgeschlossen, wie Bettina Fischer, HStA Weimar, erläuterte.
Anders „Kirchenarchive in Jena“, das Online Kirchenarchiv der Superintendentur Jena. Es umfasst bislang hauptsächlich das Kirchengemeindearchiv Jena, soll aber die Archive weiterer Gemeinden einbeziehen. Lörzer schilderte vor allem das Rechtemanagement. Die im Internet angebotenen Metadaten der Archive in der Superintendentur Jena wurden nicht präsentiert, auch die Rechtsgrundlage und Arbeitsweise mussten die Tagungsteilnehmer in der Diskussion vom Referenten und dem Verantwortlichen bei der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Jena, Dr. Hagen Naumann, erfragen. Alle Kirchenbücher und Akten wurden unabhängig von zu beachtenden Schutzfristen von Mitarbeitern in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vom Original digitalisiert. Ein sorgfältiges Rechtemanagement gewährt den Zugang zu den Digitalisaten nur Benutzern in der Superintendentur Jena und Wissenschaftlern und Studenten der FSU Jena in der Handschriftenabteilung der ThLUB. Über weitere Nutzer entscheidet allein die Superintendentur. Ein differenziertes Rechtemanagement für jede einzelne Akte ist möglich, auch Untermanager könnten angelegt werden. Eine direkter Zugang über das Internet ist möglich, im Moment jedoch nicht geplant. Die vorhandenen Schnittstellen könnten bei einer Anwendung für alle thüringischen Kirchenbücher dem Landeskirchenarchiv Eisenach eine Datenzugangsregelung ermöglichen.
Dr. Gabriele Stüber, Ev. Zentralarchiv Speyer, hinterfragte die Rechtsgrundlage für das isolierte, nicht mit dem Landeskirchenarchiv Eisenach abgestimmte Vorgehen in Jena. Die faktische Übergabe kirchlichen Archivguts an eine nichtkirchliche Einrichtung stehe im Widerspruch zum in der EKD geltenden Archivrecht. Sie stellte in Kürze das Kirchenbuchportal des Verbandes kirchlicher Archive vor, das die Nutzung erleichtern, aber verhindern soll, dass sich kommerzielle Kirchenbuchanbieter und die Mormonen Angaben für ihre Datenbanken beschaffen. Es wird ab 2009 auch Digitalisate bereitstellen. Diese Gesamtlösung sieht sie durch „Kirchenarchive in Jena“ in Frage gestellt, weil eine kirchliche Kontrolle der Nutzung nicht mehr gegeben ist. Ihre Befürchtung, dass faktisch kirchliches Archivgut einer nichtkirchlichen Einrichtung überlassen worden ist, bestätigten die Auskünfte auf die Fragen Bettina Fischers und Dr. Carlies Maria Raddatz’, Landeskirchenarchiv Dresden, zur dauerhaften Sicherung der Kirchenbücher und ihrer Digitalisate. Die erfolgreich fortschreitende landeskirchliche Sicherungsverfilmung hatte die Kirchengemeinde Jena nicht genutzt, auch eine Hybridverfilmung wurde nach Auskunft des Vertreters der Kirchengemeinde, Dr. Naumann, nicht vorgenommen. Die sog. Langzeitarchivierung der Digitalisate erfolgt ausschließlich über das Universitätsrechenzentrum der FSU, das für UrMel 30 Terabyte Speicherkapazität vorzuhalten und ständig zwei Mitarbeiter einzusetzen hat. Die Digitalisate werden als unkomprimierte Tiff-Dateien auf einem weiteren Server der Universität gespiegelt. Die dauerhafte Sicherung dieser bedeutenden kirchlichen Überlieferung ist damit nicht gegeben, Grundanforderungen der Bestandserhaltung wurden nicht beachtet [vgl. das gemeinsame Positionspapier der ARK-Fachausschüsse „Bestandserhaltung“ und „Sicherung und Nutzung durch bildgebende Verfahren – Fototechnik“ "Digitalisierung von Archivgut im Kontext der Bestandserhaltung", März 2008]. Rechtsgrundlage ist eine Kooperationsvereinbarung der ThULB mit der Superintendentur Jena; für einen förmlichen Vertrag mit der Universität ist – so Lörzer – die Superintendentur Jena ein zu kleiner Partner. Zur Wahrung des Datenschutzes konnten weder Lörzer noch Dr. Naumann präzise Angaben machen. Dr. Naumann begründete das Vorgehen mit dem ausschließlichen Interesse seiner Gemeinde, die Kirchenbücher vor weiterer Schädigung durch ständige, oft auch unbeaufsichtigte Benutzung zu sichern: „Wissenschaft interessiert uns feuchten Kehricht.“ Hier habe sich die Einbeziehung in UrMEL der Gemeinde angeboten, weil sie nichts kostete und keinen Personaleinsatz der Kirchengemeinde verlangte. Die ABM-Mitarbeiter scannten das kirchliche Archivgut in der ThLUB. Die zu erwartenden Nutzungsprobleme und die entgegenstehenden kirchlichen wie staatlichen archivrechtlichen Regelungen wären für seine Kirchengemeinde völlig irrelevant, da sie seinerzeit die Vereinbarung zu einer juristischen Bestätigung vorgelegt hätten. (Sie war nach Auskunft Dr. Schneiders „in Magdeburg“ genehmigt worden.) Dieser Gesprächsverlauf überzeugte alle anwesenden Archivare und Archivarinnen, dass UrMEL keinesfalls eine Lösung für thüringische Kirchenbücher sein kann. Im Gegenteil: weitere Projekte dieser Art sind durch eindeutige archivrechtliche Regelungen und die Stärkung der Position des Landeskirchenarchivs Eisenach als archivfachlich kompetenter Entscheidungsinstanz zu unterbinden.
Abschließend dankte Dr. Stüber im Namen aller Anwesenden der Ev.-Luth. Landeskirche in Thüringen für ihre Gastfreundschaft, die die ca. 30 Teilnehmenden zu ausführlichen Führungen im Lutherhaus und im Bachhaus und zu einem Abendessen durch Oberkirchenrätin Kallenbach eingeladen hatte. 2009 findet die Regionaltagung Süd in Karlsruhe statt. Themen sollen sein: das Kirchenbuchportal, Einsatz ehrenamtlicher Mitarbeiter, elektronische Aktenführung und Archivpädagogik.
Carlies Maria Raddatz, Dresden