Am 29. April 2008 wurde im Amtsgericht Witten die Ausstellung \“Justiz im Nationalsozialismus\“ eröffnet. Die Ausstellung, in den 90er Jahren von der NS-Gedenkstätte der JVA Wolfenbüttel entworfen (vgl. Bericht vom 10.2.2007), wird heute von der Dokumentations- und Forschungsstelle \“Justiz und Nationalsozialismus\“ an der Justizakademie in Recklinghausen betreut und für Nordrhein-Westfalen erweitert und ergänzt. Als Wanderausstellung ist sie bei den Gerichten in NRW zu Gast und dokumentiert in einem besonderen Lokalteil die ganz konkrete Justizgeschichte vor Ort, so jetzt auch in Witten. Diese örtlichen Bezüge sind in Zusammenarbeit mit dem Wittener Stadtarchiv entstanden.
Obwohl in Witten kein Sondergericht über Leben oder Tod entschied, kein Erbgesundheitsgericht über Zwangssterilisationen Tausender zu beschließen hatte – auch in Witten gab es keinen \“NS-freien\“ Raum: Das kleine Amtsgericht machte die \“Vorarbeiten\“ für das Sondergericht Dortmund: Hier wurden die Zeugen vernommen und Beschuldigte verhört, wenn gegen Wittener ermittelt wurde. Hier wurden die Haftbefehle verkündet, im Gerichtsgefängnis die Untersuchungshaft vollstreckt.
Wenn Wittener vor dem Sondergericht angeklagt waren – dokumentiert sind im Staatsarchiv Münster 34 Fälle, in denen Wittener Bürgerinnen und Bürger sich vor dem Sondergericht Dortmund verantworten mussten – dann tagte dieses im alten Wittener Gerichtsgebäude an der Gerichtsstraße. Vom vermeintlich \“harmlosen\“ Witz bis zum Feldpostdiebstahl – die politische Strafjustiz des \“Dritten Reiches\“ reichte tief in den Alltag der Wittener Bürger hinein.
Der \“Tränenkeller\“ im Gymnasium in der Breddestraße war berüchtigte Folterstätte der SS in Witten für politische Gegner. In der \“Reichspogromnacht\“ kam es zu unfasslich brutalen Übergriffen auf jüdische Familien aus Witten durch SA- und SS-Trupps aus Witten. Die Justiz – an sich zur Strafverfolgung der Täter verpflichtet – schritt nicht ein. Erst nach 1945 gab es Verfahren gegen einzelne Täter, doch die ausgesprochenen, niedrigen Strafen waren oftmals nicht geeignet, die schweren Verbrechen angemessen zu sühnen.
Die Ausstellung, die anhand von Tafeln, Bildern, Lebensläufen, Originalrundfunkaufnahmen und Zeitzeugnissen ein lebendiges und erschreckendes Bild der Justiz im \“Dritten Reich\“ zeichnet, ist von Montag bis Freitag von 8.30 bis 15.30 Uhr im Amtsgericht Witten zu sehen.
Für Gruppen ab fünf Personen werden Führungen angeboten, die der Direktor des Amtsgerichts, Bernd Grewer, unter der Rufnummer (02302) 2006-31 koordiniert. Außerdem können Besucherinnen und Besucher bei der Wachtmeisterei des Amtsgerichts eine spannende Audioführung ausleihen, mit der man im eigenen Tempo die Ausstellung \“erwandern\“ kann. Besonders für Schülergruppen, die sich im Unterricht mit dem Thema \“NS-Zeit\“ beschäftigen, ist die Ausstellung ein guter Einstieg in das komplexe Thema \“NS-Zeit und Recht\“.
Rahmenprogramm:
Dr. Helia Daubach, selbst Richterin am Landgericht und gleichzeitig Leiterin der Dokumentationsstelle, wird am 7. Mai 2008 um 18 Uhr im Amtsgericht unter dem Titel \“Justiz im Nationalsozialismus\“ einen Einblick in die Rolle der Juristen, vor allem der Gerichte, Staatsanwaltschaften und Rechtsprofessoren für das Funktionieren des NS-Staates geben und erläutern, wie der \“Umbau\“ des demokratischen Rechtsstaates der Weimarer Republik in den Unrechtsstaat überhaupt gelingen konnte.
Am 21. Mai 2008 – ebenfalls um 18 Uhr im Amtsgericht – beschäftigt sich Dr. Daubach mit dem Thema \“Rechtspflege (?) während der NS-Zeit\“ in Witten. Wie erlebten die Wittener die NS-Zeit, weswegen wurden Wittener Bürger vor dem Sondergericht angeklagt, gab es eine Wiedergutmachung für die Opfer der NS-Zeit nach 1945, wie liefen die Nachkriegsverfahren gegen SA- und SS-Angehörige aus Witten vor dem Landgericht Bochum ab?
Am 4. Juni 2008 wird im Haus Witten um 9.30 Uhr und 18 Uhr der dokumentarische Spielfilm \“Das Heimweh des Walerjan Wrobel\“ gezeigt. Anschließend ist Gelegenheit für Rückfragen oder eine Diskussion. Der Film, der auf einem authentischen Fall beruht, zeigt die Lebens- und Leidensgeschichte des jungen Polen Walerjan, der im Deutschland der 40er Jahre Zwangsarbeit leisten muss und noch als Jugendlicher vom Sondergericht Bremen zum Tode verurteilt wird. Er bietet gerade jungen Leuten einen Zugang zur NS-Zeit.
Quelle: Universitätsstadt Witten, Pressemeldung, 30.4.2008